Dirk Müller: "Ich trete nicht zurück", sagt Jean-Claude Juncker als Ministerpräsident von Luxemburg. Aber er geht dann doch, um Neuwahlen zu ermöglichen. Am Telefon ist jetzt Chris Mathieu, Chefredakteur von "L´essentiel Online", eine der führenden Tageszeitungen in Luxemburg. Guten Morgen!
Chris Mathieu: Guten Morgen! – Grüße nach Köln!
Müller: Grüße zurück. - Herr Mathieu, das müssen Sie uns erklären: Rücktritt und dann doch nicht und dann wieder doch.
Mathieu: Der Premierminister hat gekämpft. Er hat gekämpft wie ein Löwe und wollte eigentlich die Abgeordnetenkammer, das Parlament noch mal auf seine Seite ziehen, für sich gewinnen, und das ist misslungen. Das wurde immer deutlicher in der Debatte, die seiner Rede folgte. Er hat eine zweistündige Rede gehalten, wo er alle Vorwürfe probiert hat, bei Seite zu wischen. Letztendlich haben die Sozialisten nicht mitgezogen, sein Koalitionspartner, haben ihm die Gefolgschaft verweigert, und kurz bevor es zum Misstrauensantrag kam, trat Juncker noch mal auf die Bühne und gab bekannt, wenn dem so ist, wenn ich die Abgeordneten hier nicht überzeugen konnte, dann gehe ich morgen zum Großherzog, also heute Morgen, und biete den Rücktritt der Regierung an.
Müller: Also hat er diese politische Schlacht eindeutig verloren?
Mathieu: Es sieht so aus, dass er zumindest seinen Koalitionspartner nicht mehr im Griff hatte. Dieser hatte noch Mitte Juni einen Misstrauensantrag gegen den Finanzminister von Juncker nicht mitgetragen, was heute den Schluss zulässt, wahrscheinlich zielte man damals schon auf Juncker ab.
Müller: Jetzt haben wir in Deutschland oder viele in Deutschland den Eindruck, dass Jean-Claude Juncker in Luxemburg genauso fest installiert ist wie der Großherzog. Das heißt, es gibt sehr, sehr viel Zustimmung, auch jetzt ist wieder die Rede davon, dass 60, 70 Prozent bei den Neuwahlen eindeutig für Jean-Claude Juncker votieren werden. Ist das nach wie vor so?
Mathieu: Man darf gespannt sein. Es ist sicher, dass Juncker ein Großteil des Großherzogtums ausmacht. Es war auch gestern ganz deutlich abzulesen. Jeder Luxemburger, der irgendwie über einen Rechner verfügte oder Internetzugang, hat diese Debatte verfolgt, live und in Echtzeit. Es gab unglaublich viele Kommentare auf allen sozialen Netzwerken. Was aber auch Fakt ist: Diese Regierungskrise ist ein Ergebnis der Wirtschaftskrise. Das luxemburgische Gesellschaftsmodell, das so hoch gepriesen wird, steht am Scheideweg. Vor zwei Jahren kippte die Tripartite. Das ist eine Einrichtung, wo Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer zusammen an einem Tisch sitzen, um sich über die Wirtschaftspolitik zu einigen. Seit zwei Jahren klappt das nicht mehr. Und nun ist die Regierungskoalition gekippt. Der Wahlkampf wird all diese Fragen zu einem sehr heißen Herbst weiter hochkochen, meine ich.
Müller: Herr Mathieu, Konsensdemokratie – wenn wir so was hören, denken viele an die Schweiz, aber viele – Sie haben das gerade auch erwähnt – auch an Luxemburg. Sind die Zeiten jetzt definitiv vorbei, oder kann Luxemburg jetzt im Herbst wieder zusammenrücken?
Mathieu: Das ist eine schwierige Frage. Juncker ist sicherlich jemand, der die Luxemburger hinter sich vereinen kann. Aber die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Die Affäre um den Geheimdienst, die Affäre um diese mysteriöse Bombenanschlagsserie in den 80ern, wo doch einiges an Sachschaden entstanden ist, hat viele Fragen bei den Luxemburgern aufgeworfen bezüglich ihres Staates, bezüglich der Verfassung und bezüglich der Dinge, die da zum Teil in den Kulissen passieren. Es wird spannend. Auf jeden Fall kämpft Luxemburg um sein Gesellschaftsmodell.
Müller: Kann das sein, dass Jean-Claude Juncker aufgrund dieser einzigartigen Position als demokratisch legitimierter Ministerpräsident nahezu "unumstritten" ist, jedenfalls so wie wir das oft dann mitbekommen, dass er zu weit entrückt ist, dass er zu weit weg ist von den Menschen?
Mathieu: Er hat sich ja von dem Vorsitz der Euro-Gruppe verabschiedet, um sich wieder mehr um Luxemburg kümmern zu können. Das haben ihm die Menschen dort hoch angerechnet. Er ist dort immer noch eine tragende Figur und er hat auch gleich gestern Abend, obwohl das war eigentlich seine schwerste politische Niederlage im Großherzogtum, sofort danach den Journalisten bekannt gegeben, die nach der Debatte auf ihn gewartet haben, natürlich werde ich meine Partei anführen, natürlich kandidiere ich wieder für den Posten des Premierministers. Und man darf gespannt sein: Es wird ein kurzer Wahlkampf, aber dafür knackig.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Chris Mathieu, Chefredakteur von "L´essentiel Online", eine der führenden Tageszeitungen in Luxemburg. Danke für das Gespräch, noch einen schönen Tag.
Mathieu: Wünschen wir Ihnen auch. Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Chris Mathieu: Guten Morgen! – Grüße nach Köln!
Müller: Grüße zurück. - Herr Mathieu, das müssen Sie uns erklären: Rücktritt und dann doch nicht und dann wieder doch.
Mathieu: Der Premierminister hat gekämpft. Er hat gekämpft wie ein Löwe und wollte eigentlich die Abgeordnetenkammer, das Parlament noch mal auf seine Seite ziehen, für sich gewinnen, und das ist misslungen. Das wurde immer deutlicher in der Debatte, die seiner Rede folgte. Er hat eine zweistündige Rede gehalten, wo er alle Vorwürfe probiert hat, bei Seite zu wischen. Letztendlich haben die Sozialisten nicht mitgezogen, sein Koalitionspartner, haben ihm die Gefolgschaft verweigert, und kurz bevor es zum Misstrauensantrag kam, trat Juncker noch mal auf die Bühne und gab bekannt, wenn dem so ist, wenn ich die Abgeordneten hier nicht überzeugen konnte, dann gehe ich morgen zum Großherzog, also heute Morgen, und biete den Rücktritt der Regierung an.
Müller: Also hat er diese politische Schlacht eindeutig verloren?
Mathieu: Es sieht so aus, dass er zumindest seinen Koalitionspartner nicht mehr im Griff hatte. Dieser hatte noch Mitte Juni einen Misstrauensantrag gegen den Finanzminister von Juncker nicht mitgetragen, was heute den Schluss zulässt, wahrscheinlich zielte man damals schon auf Juncker ab.
Müller: Jetzt haben wir in Deutschland oder viele in Deutschland den Eindruck, dass Jean-Claude Juncker in Luxemburg genauso fest installiert ist wie der Großherzog. Das heißt, es gibt sehr, sehr viel Zustimmung, auch jetzt ist wieder die Rede davon, dass 60, 70 Prozent bei den Neuwahlen eindeutig für Jean-Claude Juncker votieren werden. Ist das nach wie vor so?
Mathieu: Man darf gespannt sein. Es ist sicher, dass Juncker ein Großteil des Großherzogtums ausmacht. Es war auch gestern ganz deutlich abzulesen. Jeder Luxemburger, der irgendwie über einen Rechner verfügte oder Internetzugang, hat diese Debatte verfolgt, live und in Echtzeit. Es gab unglaublich viele Kommentare auf allen sozialen Netzwerken. Was aber auch Fakt ist: Diese Regierungskrise ist ein Ergebnis der Wirtschaftskrise. Das luxemburgische Gesellschaftsmodell, das so hoch gepriesen wird, steht am Scheideweg. Vor zwei Jahren kippte die Tripartite. Das ist eine Einrichtung, wo Regierung, Gewerkschaften und Unternehmer zusammen an einem Tisch sitzen, um sich über die Wirtschaftspolitik zu einigen. Seit zwei Jahren klappt das nicht mehr. Und nun ist die Regierungskoalition gekippt. Der Wahlkampf wird all diese Fragen zu einem sehr heißen Herbst weiter hochkochen, meine ich.
Müller: Herr Mathieu, Konsensdemokratie – wenn wir so was hören, denken viele an die Schweiz, aber viele – Sie haben das gerade auch erwähnt – auch an Luxemburg. Sind die Zeiten jetzt definitiv vorbei, oder kann Luxemburg jetzt im Herbst wieder zusammenrücken?
Mathieu: Das ist eine schwierige Frage. Juncker ist sicherlich jemand, der die Luxemburger hinter sich vereinen kann. Aber die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Die Affäre um den Geheimdienst, die Affäre um diese mysteriöse Bombenanschlagsserie in den 80ern, wo doch einiges an Sachschaden entstanden ist, hat viele Fragen bei den Luxemburgern aufgeworfen bezüglich ihres Staates, bezüglich der Verfassung und bezüglich der Dinge, die da zum Teil in den Kulissen passieren. Es wird spannend. Auf jeden Fall kämpft Luxemburg um sein Gesellschaftsmodell.
Müller: Kann das sein, dass Jean-Claude Juncker aufgrund dieser einzigartigen Position als demokratisch legitimierter Ministerpräsident nahezu "unumstritten" ist, jedenfalls so wie wir das oft dann mitbekommen, dass er zu weit entrückt ist, dass er zu weit weg ist von den Menschen?
Mathieu: Er hat sich ja von dem Vorsitz der Euro-Gruppe verabschiedet, um sich wieder mehr um Luxemburg kümmern zu können. Das haben ihm die Menschen dort hoch angerechnet. Er ist dort immer noch eine tragende Figur und er hat auch gleich gestern Abend, obwohl das war eigentlich seine schwerste politische Niederlage im Großherzogtum, sofort danach den Journalisten bekannt gegeben, die nach der Debatte auf ihn gewartet haben, natürlich werde ich meine Partei anführen, natürlich kandidiere ich wieder für den Posten des Premierministers. Und man darf gespannt sein: Es wird ein kurzer Wahlkampf, aber dafür knackig.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Chris Mathieu, Chefredakteur von "L´essentiel Online", eine der führenden Tageszeitungen in Luxemburg. Danke für das Gespräch, noch einen schönen Tag.
Mathieu: Wünschen wir Ihnen auch. Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.