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"Er hat seine Sache so schlecht nicht gemacht"

Norbert Geis, innenpolitischer Experte der CSU-Landesgruppe im Bundestag, ist enttäuscht über die Abstrafung, mit der die Wähler auf die eigentlich erfolgreiche Politik seiner Partei in Bayern reagiert haben. Gleichzeitig warnte er davor, nach einem Sündenbock zu suchen. Sollte Parteichef Erwin Huber die Solidarität der Partei erhalte, müsse er auch im Amt bleiben können.

Norbert Geis im Gespräch mit Silvia Engels |
    O-Ton Angela Merkel: CDU und CSU tragen Siege gemeinsam und genauso Enttäuschungen natürlich. Das gilt auch für das gestrige Wahlergebnis. Es ist ganz offensichtlich nicht gelungen, das Vertrauen der Menschen in eine absolute Mehrheit, das heißt eine Alleinregierung der CSU zu kräftigen und auch zu bekommen.

    Silvia Engels: Bundeskanzlerin Angela Merkel heute in Berlin mit ihrer Einordnung des gestrigen Wahldebakels der CSU.

    Der bitterste Moment in meinem politischen Leben, das sagte heute Edmund Stoiber, der langjährige CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident in München. Seine Nachfolger, Parteichef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein, haben Stoibers Erbe der Zwei-Drittel-Mehrheit im bayerischen Landtag verspielt. Am Vormittag tagten die ersten CSU-Parteigremien.

    Am Telefon hat mitgehört der langjährige innenpolitische Experte der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Norbert Geis. Er sitzt seit 1987 im Deutschen Bundestag und er hat folglich die Höhen und Tiefen der CSU in den letzten Jahrzehnten immer mitbekommen. Guten Tag, Herr Geis.

    Norbert Geis: Ich grüße Sie herzlich. Wir kennen uns ja.

    Engels: Ja. - Herr Geis, ist diese Katastrophe für die CSU - das sind ja die Worte von Horst Seehofer - mit irgendetwas vergleichbar, was Sie mit Ihrer Partei bis jetzt je erlebt haben?

    Geis: Mit dem, was ich selber miterlebt habe, nicht vergleichbar. Ich habe Vergleichbares selbst noch nicht miterlebt. Es kann sein, dass sich zu früheren Jahren, in den 50er Jahren anderes, andere Dinge sich abgespielt haben, die ich aber jetzt so vom internen her nicht kenne. Ich selbst habe das noch nicht erlebt, nein.

    Engels: Sie haben ja selbst wahrscheinlich schon mit Parteifreunden gesprochen. Sie selbst kennen die Stimmungslage. Wie ist die Reaktion bei den CSU-Parteifreunden, die Sie bis jetzt überblicken?

    Geis: Im höchsten Maße betroffen, vor allen Dingen auch betroffen deshalb, weil man ein wenig ratlos dasteht, denn es ist ja so, dass jeder die bayerische Politik gelobt hat. Jeder sagt, Bayern ist Spitze, und jeder sagt, wir haben die geringste Arbeitslosigkeit. Das ist also eigentlich nicht jetzt ein Fehler, der nun politisch so relevant wäre, dass wir eine solche Abstrafung - und etwas anderes ist es ja nicht - vom Wähler bekommen haben. Das ist für uns nicht ganz nachvollziehbar. Deswegen wird gerätselt, warum und weshalb. Natürlich sind die Freien Wähler stärker geworden und dort sind Gestalten oder Persönlichkeiten, die Vertrauen gewonnen haben, und uns ist das irgendwo verloren gegangen. Aber trotzdem haben wir ja alle oder fast alle Direktmandate gewonnen. Das muss man ja auf der anderen Seite auch wieder sehen. Also ich meine, als Fazit würde ich sagen, jetzt darf man nicht übereilt marschieren. Wir sind keine SPD. Wir sind da etwas disziplinierter, hoffe ich. Man sollte Entscheidungen aber bald treffen, damit das Hin und Her nicht zu lange dauert. Entweder so oder so. Und man sollte sich vor allen Dingen Gedanken darüber machen, wie wird es gelingen, wieder das bürgerliche Lager, das ja nicht geschwächt aus dieser Wahl herausgegangen ist - wenn man FDP und Freie Wähler und CSU zusammenrechnet, ist es ja nicht geschwächt herausgegangen -, wieder auf die CSU zuzuziehen.

    Engels: Aber, Herr Geis, wenn Sie sagen, Sie seien ratlos, dann kann ich Ihnen zwei Punkte nennen, die in den ersten Wahlanalysen herauskommen. Bemängelt wird von Wählern, die jetzt nicht mehr für die CSU gestimmt haben, vor allen Dingen die Arroganz der CSU, die sich vom einfachen Menschen wegbewegt habe, und unglaubwürdige Entscheidungen in Sachen Bildungsreform, Pendlerpauschale, Rauchverbot und Ähnlichem. Teilen Sie diese Analyse?

    Geis: Die Arroganz, das ist ein schnelles Wort, das vor allen Dingen von den Medien verbreitet worden ist. Ich weiß nicht. Ich empfinde mich nicht als arrogant.

    Engels: Aber Sie sagen selber, man habe sich vielleicht wegbewegt von den Bedürfnissen der einfachen Menschen. Das sei nicht gelungen.

    Geis: Nein, das habe ich so nicht sagen wollen. Wenn ich es gesagt habe? Nein, nein. Ich glaube, dass es in Bayern keine Partei gibt, die sich so sehr um die Einzelheiten, um die Einzelsorgen der Menschen kümmert, und es gibt auch keine Mandatsträger - davon können Sie ganz sicher ausgehen -, die so eng an der Basis sind wie die CSU-Mandatsträger. Die gibt es nicht. Ich kann das beurteilen, weil ich selber täglich unterwegs bin.

    Engels: Dann schauen wir auf das, was jetzt zwangsläufig kommt.

    Geis: Jetzt kommt aber die nächste Frage, die Sie genannt haben. Das war die Bildungspolitik. Hier ist es nicht gelungen, das klar zu machen und den Leuten klar zu machen, warum nun G8, vorher nicht G8, dann doch G8. Diese Dinge waren schwierig rüberzubringen. Und das Rauchverbot? Nun gut, vielleicht hat man da wirklich die bayerische Seele etwas übersehen. Das meine ich schon war nicht erforderlich. Und die Pendlerpauschale, die haben wir vertreten und vertreten wir ja nach wie vor. Da muss ich eine Kritik an die CDU richten und auch an Frau Merkel richten. Da hätte man erkennen müssen, dass das ein wichtiges Anliegen ist, und da hätte man mehr auf uns zukommen müssen. Das meine ich schon. Man hätte nicht so sehr auf die SPD hören müssen. Inzwischen kriegen die Ärzte ja auch 2,7 Milliarden mehr und es kriegen die Krankenhäuser 3,2 Milliarden mehr. Die Pendlerpauschale hätte 2,1 Milliarden gekostet. Das wäre natürlich ein Stück Geld gewesen, das wollen wir nicht vernachlässigen.

    Engels: Herr Geis, jetzt an dem Tag muss auch über Personalentscheidungen gesprochen werden. Kann sich Parteichef Erwin Huber halten?

    Geis: Dazu werde ich hier per Telefon überhaupt nichts sagen, weil ich überhaupt nicht weiß, wie die Gespräche in München laufen. Ich meine nur, jetzt jemandem allein die Schuld in die Schuhe zu schieben, einen Sündenbock zu suchen, das halte ich auch für falsch. Das widerstrebt mir innerlich.

    Engels: Aber kann man im Amt bleiben, wenn man mehr als 17 Prozent verliert? Er ist ja nun als Parteichef für die Gesamtverantwortung zuständig.

    Geis: Das ist richtig und das wird auch schwer zu tragen sein. Hier kommt es darauf an, wie sich die Spitze entscheidet, ob er die Solidarität innerhalb der Spitze und innerhalb des Vorstandes findet. Wenn die verweigert wird, dann wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als sich zurückzuziehen und den Parteivorsitz anderen zu überlassen. Aber wenn er die Solidarität erhält, dann sehe ich keinen Grund, denn er hat seine Sache so schlecht nicht gemacht. Das soll man jetzt nicht alles dem Erwin Huber zuschieben.

    Engels: Er will auch offenbar kämpfen. Es stehe heute in keiner Form eine Personalentscheidung an. Das hat er ja gesagt. Kann sich denn die CSU einen möglichen internen Machtkampf über Wochen jetzt leisten?

    Geis: Das glaube ich nicht, dass die CSU das macht. Ich sage Ihnen auch, wir werden nicht einfach so Vorsitzende verschleißen, wie die SPD das gemacht hat. Da sind wir schon vorsichtiger und ich glaube auch kameradschaftlicher.

    Engels: Ein Nachfolger wäre Horst Seehofer?

    Geis: Das wäre sicherlich ein Nachfolger, der ins Gespräch gebracht wird und der ja auch damals bei der Wahl vor einem Jahr dem jetzigen Parteivorsitzenden unterlegen ist. Der gilt in jedem Fall als eine Möglichkeit.

    Engels: Norbert Geis, der langjährige innenpolitische Experte der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Geis: Danke Ihnen auch.