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"Er ist der Held der Armen"

Der niederländische Schriftsteller und Afrikakenner Adriaan van Dis sieht Südafrikas neuen Präsidenten Jacob Zuma mit starkem Rückhalt bei der schwarzen Bevölkerung. Der ungebildete Zuma sei ein Mann des Volkes. Südafrikas größtes Problem sei die Gewalt. Diese könne nur überwunden werden, wenn es den Menschen ökonomisch besser ginge. Ob Zuma für bessere Bildung und mehr Prosperität sorgen werde, könne keiner mit Sicherheit sagen, betonte van Dis.

Adriaan van Dis im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.05.2009
    Tobias Armbrüster: Südafrika bekommt heute einen neuen Präsidenten. Jacob Zuma vom National African Congress (ANC). Er hat die Wahlen vor zwei Wochen mit deutlichem Abstand gewonnen. Am Mittwoch wurde er vom Parlament gewählt, heute nun folgt die feierliche Vereidigung in Prätoria. Jacob Zuma ist nicht unumstritten, er gilt als Populist, der gerne markige Sprüche macht und sich in typischer afrikanischer Manier als big man - also großer, starker Mann - präsentiert.

    Ich hatte vor dieser Sendung Gelegenheit mit dem niederländischen Schriftsteller und Afrikakenner Adriaan van Dis zu sprechen. Er bereist Südafrika seit gut 40 Jahren und hat schon mehrere Bücher über das Land geschrieben. Ich habe ihn zuerst gefragt, was sich unter einem Präsidenten Jacob Zuma ändern wird.

    Adriaan van Dis: Das fragen sich viele, und auch in Südafrika. Wie alle Politiker hat er viel versprochen. Er ist der Held der Armen, und die Armen glauben wirklich, jetzt wird er's ändern. Weil jetzt gibt es mehr Geld in schwarzen Händen als in weißen, so man kann sagen, das hat doch Erfolg gehabt, dieses neue Südafrika. Aber das ist nicht gut verteilt. Es ist eine kleine Gruppe von sehr reichen und eine sehr große Gruppe von armen Leuten. Und die armen Leute sehen sehr gut, wie reich die Reichen geworden sind, und sie haben nichts bekommen.

    Sie haben diesen ungebildeten Menschen Zuma, der tanzt in einer Tigerhaut, der nicht Shakespeare zitiert wie Mbeki, der ein Mann des Volkes ist. Sie denken, er wird die neue Zukunft besser machen. Aber viele glauben, dass das vielleicht nicht der Fall ist, weil die Probleme sind sehr groß in Südafrika. 30 Prozent Arbeitslose. Und alles wird jetzt in Farbe benannt. Es ist jetzt ein Zulu, der eigentlich ja ein bisschen zurückgeht nach den Zulu-Idealen, das man überall in der Welt sieht, dass es eine fundamentalistische Attitüde gibt. Weil die Welt so schnell ändert, suchen die Leute ja eine afrikanische Renaissance. Aber das sind schöne Wörter, aber die große Ökonomie in der Welt gibt schon Probleme in Südafrika.

    Armbrüster: Lassen Sie uns, Herr van Dis, mal kurz über diese schillernde Person Jacob Zuma sprechen. Aus unserer europäischen Perspektive erscheint diese Wahl ja etwas merkwürdig. Der Mann, dem in den letzten Jahren Korruption und Vergewaltigung vorgeworfen wurde, der drei Ehefrauen hat und der mal gesagt haben soll, man könne sich gegen Aids schützen, indem man nach dem Geschlechtsverkehr gründlich duscht. Wie gelangt dieser Mann an die Spitze eines so wichtigen Landes wie Südafrika? Wie findet er diese breite Zustimmung?

    van Dis: Weil er immer unter Mbeki gearbeitet hat. Mbeki hatte niemals Kontakt mit den Leuten machen können. Wir wissen jetzt, dass er sich auch bereichert hat mit vielen Millionen mehr als Zuma. Es handelt sich um vielleicht 100.000 Euro, dass er sich bereichert hat, Zuma. Er redet die Sprache wie ein Berlusconi des Volkes. Die Leute lächeln. Sie wissen, dass es nicht seriös ist. Und dass er so viele Weiber hat, das macht ihn einen richtigen Mann. Ich habe mit ihm gesprochen für das holländische Fernsehen, mehr als eine Stunde. Er ist eine charmante Persönlichkeit. Vielleicht ist er ein Hochstapler, aber ein charmanter Hochstapler. Und dass heute mit all dieser mediatike Politik, macht ihn einen populären Menschen. Die Leute, die ihn wählen, lesen keine Zeitungen, lesen keine Analysen. Sie sehen einen Mann, der tanzt, und er singt, "Wo ist mein Maschinengewehr", weil er war in dem Widerstand, aber nicht wie die anderen, die im Widerstand waren, im Ausland, er war immer in Südafrika. Er versteht die Leute besser, denkt man.

    Armbrüster: Sie haben jetzt längere Zeit in Südafrika gelebt bis vor wenigen Wochen. Was haben Sie dort an kritischen Stimmen gegen Jacob Zuma gehört?

    van Dis: Die kritischen Stimmen kommen von den weißen Gemeinden, die jetzt auch sehr stark weiß gewählt haben. Wir haben in dem Kap jetzt Frau Zille von der demokratischen Allianz, eine weiße Premier im Westkap. Die kritischen Stimmen kommen vielleicht von den Schwarzen, die etwas zu verlieren haben, die in der ökonomischen Oberlage leben, und von Leuten, die immer kritisch waren vor der Änderung und danach und von den weißen Intellektuellen und schwarzen Intellektuellen. Aber die große Menge von Leuten, ja, sie tanzen mit. Wir wissen eigentlich nicht, was passiert. Zuma hat die ganze Geschäftsgemeinde besucht, und man denkt ja vielleicht, er hat ja gesagt, nicht sich ändern auf diesem Niveau. Wir werden mal sehen. Das ist sehr schwer, etwas davon zu sagen. Es ist auch möglich, dass er ein guter Präsident wird.

    Armbrüster: Erzbischof Desmond Tutu hat bereits gesagt, er schämt sich für seinen Landsmann Zuma, und die Oppositionspolitikerin Helen Zille - Sie haben sie erwähnt - sieht das Land auf dem Weg bergab unter Jacob Zuma. Kann dieser Mann Südafrika einen oder meinen Sie eher, kommt es, 20 Jahre nach Ende der Apartheid, zu einer neuen Spaltung der südafrikanischen Gesellschaft?

    van Dis: Das Land befindet sich in einer Übergangsphase. Und in dieser Übergangsphase sieht man, dass die Leute versuchen, die Grenzen des Zulässigen brutal zu erkunden. Alles wird versucht, und er versucht das, Herr Zuma. Aber es ist auch möglich, dass er etwas tut. Sie müssen wissen, all diese Kritik hat einen rassistischen Untergrund. "Sie können es eigentlich nicht, die Schwarzen", das spielt auch eine wichtige Rolle. Ich weiß nicht, was ich denken muss.

    Armbrüster: Wer sagt das, "Sie können es nicht, die Schwarzen?"

    van Dis: Das sagen die Weißen jetzt und das sagt man auch in den Zeitungen. Das, was politisch nicht korrekt war, ist jetzt korrekt, es laut zu sagen. Und es wird mehr. Wir haben alle Angst gehabt nach dieser Änderung, dass es bergabwärts gehen soll, aber es ist nicht bergabwärts gegangen, es ist eigentlich sehr gut gegangen. Kein Streit, kein Blutvergießen, nichts, es ist ein demokratisches Südafrika, aber eine sehr schwierige Situation. In dieser Übergangsphase soll eine Widerstandspartei eine Regierungspartei werden, und das, ich weiß nicht, ob Zuma das kann. Ich habe keine Antwort, ich kann nicht sagen, was passieren wird, aber die Möglichkeit, dass es bergabwärts geht, ist anwesend. Das große Problem in dieser Gemeinschaft ist die Gewalt. Das Einzige, das sich demokratisiert hat, ist die Gewalt. Jeden Tag liest man in der Zeitung Überwältigung, Diebstahl, Mord - unglaublich, was dort passiert. Und das ist das größte Problem Südafrikas, die Gewalt.

    Armbrüster: Und kann der neue Präsident darauf eine Antwort finden?

    van Dis: Nein, er kann eine Antwort finden, wenn es ökonomisch besser geht, wenn die Armen es ökonomisch besser, wenn Leute besser gebildet werden. Aber das ist leider nicht der Fall. Die Schulen sind in schlechter Situation, ein Drittel der Gewählten in Gemeinderäten hat Probleme beim Lesen und Schreiben. Ja, das sind die neuen Realitäten Südafrikas.

    Armbrüster: Mit dieser Wahl von Jacob Zuma sind auch zwei große Oppositionsparteien in Südafrika international bekannt geworden. Wie groß, Herr van Dis, schätzen Sie die Chance ein, dass Südafrika bei einer der nächsten Präsidentschaftswahlen einen anderen als einen ANC-Präsidenten bekommen kann?

    van Dis: Sehr klein. Die Leute stimmen noch immer ANC. Das ist die Partei, die immer zu schwarzen Leuten gesprochen hat. Sie haben Unterdrückung immer von ANC gehört. Man sieht es auch in den schwarzen Stadtteilen, 98 Prozent, auch in der weißen Kap-Provinz haben ANC gewählt. Nur die Farbigen, das sind die Leute, die zwischen braun und schwarz und weiß leben und auch das Resultat von schwarz und braun sind, wählen auch weiß. Und das ist auch ein großes Problem, dass diese farbige Gemeinschaft hat sich jetzt bei den Weißen angeschlossen, sind nicht mehr bei den Schwarzen, aber sind kleine Percentagen. Es ist 8 Prozent COPE, das ist dann diese Partei, die von ANC abgekommen ist, aber noch 92 Prozent ANC. Und in den farbigen Stadtteilen haben 98 Prozent der Leute für die DA, demokratische Allianz gewählt. So man sieht, es ist eine Farbe, die stimmt, aber die Farbigen und die Weißen sind eine Minderheit, sodass wird immer vorläufig schwarz bleiben und ANC bleiben.

    Armbrüster: Aber Sie meinen, es geht nicht mehr länger nur um schwarz und weiß, sondern es wird etwas komplizierter, dass sich sozusagen die Wahlneigung davon abhängig macht, inwieweit die Hautfarbe schwarz gefärbt ist?

    van Dis: Wenn man das liest in den Zeitungen, alles wird mit Farbe benannt. Und Farben, diese Farbempfindlichkeit, ist sehr, sehr stark. Das ist natürlich ein Erbe von der Apartheid, aber das gehört auch zu Menschen. Rassismus gibt es überall, auch unter schwarzen Leuten. Und in dem Streit gegen die Apartheid waren die Farbigen und die Schwarzen alle schwarz, und jetzt sind die Farbigen nicht schwarz genug und sie kommen wieder in die weiße Welt zurück. Aber das ist eine Minderheit. Die Majorität ist noch immer schwarz. Das Geld wird verdient in Gauteng, Johannesburg-Provinz, und das ist die schwarze Politik und die ANC-Politik.

    Armbrüster: Herr van Dis, Sie beschäftigen sich in ihren Büchern häufig mit Afrika und mit Südafrika und mit den Verbindungen dieses Kontinents nach Europa, auch in Ihrem neuen Buch "Ein feiner Herr und ein armer Hund". Was macht diesen Kontinent und was macht Südafrika für Sie als Niederländer so interessant?

    van Dis: Ja, ich komme selber aus einer Familie, die aus der Kolonie kommt, das ist Niederländisch-Indonesien. Meiner Mutter erster Mann war ein Javaner, ich habe drei sehr braune Schwestern. Ich kenne die Farbempfindlichkeit in meiner Familie, ich war das rosarote Schweinchen. Ich bin aufgewachsen in einem Haus mit 51 farbigen Leuten. Ich habe schon als Student Südafrika besucht und habe mich sehr interessiert in politischen Sachen, aber das möchte ich gerne in einem Roman einen Platz geben, ohne Botschaft, nur dieser, wie sagt man das, gemalte politische Hintergrund, das interessiert mich sehr.

    Und jetzt wohne ich in Paris. Paris, größte afrikanische Stadt außer Afrika, Sénégal sur Seine wird es genannt, Sahara sur Seine. Da sieht man das eigentlich auch, da gibt es auch so viele schwarze Leute, die Arbeit machen, und die Franzosen sehen es nicht, sie verneinen es. Aber abends um sieben Uhr sieht man eine schwarze Metro nach dem Nordostteil von Paris fahren. Und wenn ich das in Südafrika gesehen habe, dann kann ich nicht sagen, dass es in Europa so etwas nicht gibt. Es gibt nicht die Gesetze der Apartheid, aber trotzdem, das Leben ist auch da. Es gibt ein schwarzes Leben, ein weißes Leben, und das sind die Sachen, die auch in "Ein feiner Herr und ein armer Hund" eine wichtige Rolle spielen.

    Armbrüster: Zur Amtseinführung des neuen Präsidenten von Südafrika haben wir mit dem niederländischen Schriftsteller Adriaan van Dis gesprochen. Vielen Dank, Herr van Dis, für dieses Gespräch!