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"Er leuchtet die düsteren Stellen im Finanzsystem aus"

Die Finanzexpertin der Grünen, Christine Scheel, hat die geplante Reform der Finanzaufsicht in den USA als einen mutigen Ansatz gewürdigt. Von den Maßnahmen gehe ein wichtiges Signal aus. Es sei richtig, die Notenbank zu stärken. Die Abgeordnete, die Mitglied im Finanzausschuss ist, forderte die Bundeskanzlerin auf, sich stärker für eine Bankenregulierung in Europa einzusetzen. Dort sei der Prozess ins Stocken geraten, Deutschland müsse als Vorbild vorangehen.

Christine Scheel im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Dass US-Präsident Barack Obama einer Fliege sehr wohl etwas zu Leide tun kann, das wissen wir ja jetzt, seitdem er Anfang der Woche in einem Fernsehinterview eine Fliege mit bloßer Hand erschlagen hat. Selbstverständlich verbietet sich jede Schlussfolgerung daraus zu seiner Politik, und der Vergleich zwischen Finanzinvestoren und Heuschrecken, der kam ja auch nicht von Obama. Aber es zeichnet sich ab, dass er gegenüber den US-Finanzmärkten nun eine härtere Gangart einschlagen will. In der Nacht hat Obama seine Pläne für die umfassendste Finanzreform in den USA seit mehr als 70 Jahren vorgestellt.

    Wir wollen diese Fragen in den kommenden Minuten noch ein wenig vertiefen. Am Telefon ist Christine Scheel, für Bündnis 90/Die Grünen sitzt sie im Finanzausschuss des Bundestages. Guten Tag!

    Christine Scheel: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Lassen Sie uns zunächst auf die US-Pläne blicken. Eine verschärfte Kontrolle strebt Barack Obama ja an. Gehen seine geplanten Schritte weit genug?

    Scheel: Ich finde, er leuchtet völlig zurecht die düsteren Stellen im Finanzsystem aus. Er hat einen sehr mutigen Ansatz, das muss man wirklich sagen, und es gibt einzelne Vorschläge, neue schlagkräftige Aufsichtsstrukturen. Das ist wichtig, wo man jetzt auch feststellt, dass die Amerikaner anscheinend doch nicht so gut aufgestellt waren wie sie immer taten. Was die Position der Fed anbelangt, die Fed zu stärken ist richtig, und was mir natürlich auch als Grüne gut gefällt ist, dass die Verbraucherrechte ausgebaut werden sollen, weil wenn man die Märkte stärken will, muss man auch Verbraucherrechte ausbauen, und das hat Obama wohl erkannt und hat das jetzt auch mit aufgegriffen. Auch das ist positiv. Hinzu kommt, dass er den Kernsatz, der ja aus dem G20-Beschluss kommt, dass kein Markt, kein Produkt, kein Akteur unbeaufsichtigt bleiben darf, wirklich ernst nimmt und auch jetzt in seinen Forderungskatalog oder in sein Grünbuch mit aufgenommen hat.

    Schulz: Aber ist es nicht, wenn wir auf die Rolle der Fed blicken, gleichzeitig auch heikel, die Kompetenzen noch weiter zu steigern? Die Fed hat ja in der Finanzkrise eine nicht gerade unwichtige Rolle gespielt.

    Scheel: Ja. Es ist schon so: Man muss überlegen, im Investmentbereich, Geschäftsbank, Immobilien und so weiter, da muss man eine schlagkräftige Kontrollkompetenz haben. Die Fed hat, das ist völlig richtig, sich jetzt in dieser ganzen Krise und im Vorfeld nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber vielleicht hing das auch mit den Strukturen zusammen, wer was beaufsichtigt, welche Leute an der Spitze sitzen und welche Philosophie dahinter steckt.

    Wenn die neue Philosophie in Amerika dann umgesetzt werden würde, dass man sagt, wir brauchen, wenn wir vernünftigen Markt haben wollen, wenn Märkte gut funktionieren sollen, Finanzmärkte, klare Regeln und das wird dann auch von der Fed umgesetzt, dann haben wir natürlich ein wichtiges Signal hier, was insgesamt weltweit eine Ausstrahlung haben wird.

    Schulz: Es geht ja auch um neues Vertrauen. Können das die alten Institutionen überhaupt schaffen?

    Scheel: Die Institutionen zu erneuern ist wichtig. Man kann nicht hergehen und kann sagen, wir schaffen jetzt neue Institutionen, die machen das dann alles besser, sondern man muss sehen, dass das, was an Struktur da ist, verändert wird, weiterentwickelt wird und in die heutige Zeit passt und auch die Entwicklung der Finanzprodukte und deren Undurchsichtigkeit ins Auge gefasst wird. Das heißt, die Aufgaben müssen sich verändern und es muss ein anderer Blickwinkel herbei. Das kann man durch die Weiterentwicklung der Strukturen tun. Das würde für uns bedeuten, dass wir in Europa dafür sorgen müssen, dass auch wir schlagkräftige Aufsichtsstrukturen haben. In Europa werkeln Dutzende von nationalen Behörden nebeneinander her, anstatt gemeinsam den Finanzdschungel zu lichten. Leider ist es bis auf irgendwelche Versprechungen, man wolle doch irgendwann mal eine Verbesserung erreichen, da nicht viel weitergegangen in der letzten Zeit und ich finde, da müssen die Bundeskanzlerin und auch Herr Steinbrück mehr Druck machen.

    Schulz: Wo genau steht Europa jetzt?

    Scheel: Europa ist in der Situation, dass man eine ganz gute Analyse gemacht hat über das, was sich da abgespielt hat, dass man sich Ziele auch gegeben hat, wie man damit umgeht, dass allerdings - und das sieht man in den Entwicklungen der Diskussionen in den verschiedenen Ländern, ob das jetzt in Großbritannien oder in Frankreich ist - das Ganze insoweit stockt, weil man glaubt, man hat jetzt erkannt, was falsch gelaufen ist, und sagt, das war's dann jetzt, und dann gehen die Geschäfte ungefähr so weiter bisher.

    Schulz: In welcher Reihenfolge muss dieser Prozess, muss diese Entwicklung jetzt weitergehen? Muss sich jetzt erst Europa einigen, um dann zu einer neuen globalen Einigung zu finden, oder muss das jetzt auf der G20-Ebene laufen?

    Scheel: Ich finde schon, dass es richtig ist, dass man auf der einen Seite jetzt sieht, da geht jetzt ein hervorragendes Signal von Obama aus, der US-Finanzmarkt ist mit der wichtigste der Welt und was dort passiert, strahlt über den gesamten Globus, und die deutschen und die anderen europäischen Regierungen können sich an vielem natürlich auch ein Beispiel nehmen. Das heißt aber nicht, dass man jetzt von deutscher Seite aus alles auf die europäischen Gremien schiebt oder auch auf die G20, sondern dass auch national gehandelt werden kann, dass man ein Stück Vorbild auch sein kann im positiven Sinne, was Regulierung anbelangt. Ich denke da zum Beispiel an die Diskussion um den Stresstest, was bedeutet, dass klar wird, wie sind die Banken wirklich aufgestellt - wir haben das ja im Zusammenhang mit der Bad-Bank-Diskussion jetzt diskutiert -, oder auch das mit den Bonizahlungen, wo eigentlich alle wissen, dass diese Entwicklung bei den Bonizahlungen für die Manager dazu geführt hat, dass diese Bonizahlungen wie Brandbeschleuniger gewirkt haben.

    Schulz: Frau Scheel, das sind ja alles Schritte, in denen es jetzt darum geht zu verhindern, dass sich die gleiche Katastrophe so noch mal ereignet.

    Scheel: Genau!

    Schulz: Ist das denn überhaupt realistisch? Wird die Katastrophe, wenn sie wiederkommt, nicht in einer ganz anderen Gestalt wiederkommen?

    Scheel: Es ist schon so, es gibt immer wieder Bewegungen auf den Märkten und es gibt auch Fehlentwicklungen. Da muss die Aufsicht, auch unsere deutsche Bankenaufsicht auch mehr Möglichkeiten haben zu bewerten, welche Risiken in bestimmten Entwicklungen liegen. Bislang ist es so, dass die Aufsicht jede kleinste Sparkasse kontrolliert, teilweise auch ein bisschen überzogen, was die einzelnen Kontrollgeschichten anbelangt, aber die wirklichen Probleme, die es in der internationalen Entwicklung gibt, was wir im Verbriefungsmarkt jetzt ja auch gesehen hatten, Auslöser Amerika, aber alle haben dann hier mitgespielt, keiner hat die Produkte wirklich verstanden, aber man war irgendwie im Spiel dabei. Da hätte die Aufsicht die Aufgabe gehabt, diese Warnzeichen, die es ja gab, auch aufzugreifen und dementsprechend damit umzugehen. Das heißt, die brauchen einen politischen Auftrag, damit sie das dürfen, weil sie derzeit nur die Bilanzen angucken, schauen, wie die Rating-Agenturen die Produkte bewerten, und das gehört auch dazu, dass wir uns überlegen, ist denn das richtig, wie die Bewertungen vorgenommen worden sind. Ich finde, was die Rating-Agenturen da abgeliefert haben, das war auch ziemlich katastrophal.

    Schulz: In den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk waren das Einschätzungen von Christine Scheel, für Bündnis 90/Die Grünen im Finanzausschuss des Bundestages. Danke schön!

    Scheel: Bitte schön! Schönen Tag.