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"Er muss sie kennen, sehr nah und sehr eng"

Steffen Seibert wird heute offiziell von der Kanzlerin als neuer Regierungssprecher vorgestellt. Uwe-Karsten Heye, selbst vier Jahre der Sprecher Gerhard Schröders, sagt Seibert eine nicht ganz einfache Zeit voraus: Die Kanzlerin sprühe ja nicht gerade vor Offenheit.

16.08.2010
    Stefan Heinlein: Heute ist Angela Merkel zurück von den Höhen der Südtiroler Berge in den Niederungen der Berliner Politik. Eine ihrer ersten Wege führt sie am Mittag in die Bundespressekonferenz. Dort wird die Kanzlerin ihren neuen Regierungssprecher Steffen Seibert persönlich vorstellen. Der bisherige ZDF-Mann und Moderator des "heute Journals", wird künftig die Arbeit der schwarz-gelben Regierung erklären und verkaufen. Angesichts der absehbaren Turbulenzen kein einfacher Job, zumal sein Vorgänger, Ulrich Wilhelm, recht große Fußstapfen hinterlässt. Der künftige Intendant des Bayerischen Rundfunks galt als enger Vertrauter der Kanzlerin und war bei den meisten Hauptstadtjournalisten hoch angesehen. – Über die künftige Arbeit von Steffen Seibert möchte ich jetzt reden mit Uwe-Karsten Heye, von 1998 an vier Jahre lang Regierungssprecher von Gerhard Schröder und heute Chefredakteur des "Vorwärts". Guten Morgen!

    Uwe-Karsten Heye: Einen wunderschönen guten Morgen!

    Heinlein: Herr Heye, ist Steffen Seibert der richtige Mann an der Seite der Kanzlerin?

    Heye: Das kann ich nicht beurteilen, muss ich ehrlich sagen. Ich kann für ihn nur hoffen, dass er sich bei seiner Entscheidung sozusagen der Sache bewusst war, auf die er sich da einlässt, und die Voraussetzungen gut kennt, die man braucht, um in dieser Funktion eine angemessene Funktion zu machen.

    Heinlein: Auf was lässt er sich denn ein und welche Voraussetzungen muss er erfüllen?

    Heye: Na ja, ich denke, man muss einfach klar zwei Dinge sehen. Erstens: Die Funktion des Bundeskanzlers, der Bundeskanzlerin ist herausgehoben innerhalb des Kabinetts. Das bedeutet aber auch für den Regierungssprecher, dass er möglichst nah, eng, unmittelbar – wie soll ich sagen? -, vertrauensvoll mit der Regierungschefin in diesem Fall also verbunden sein muss, weil er in ihrer Abwesenheit nicht nur den Eindruck erwecken darf, sondern die klare Funktion hat, für sie zu sprechen. Das heißt, er muss sie kennen, sehr nah und sehr eng, wie sie tickt, nach welchen Regeln sie sich selbst verortet und welchen Wertekanon sie dahinter verbirgt. Das alles muss er wissen, damit er weiß, was er zu tun hat.

    Heinlein: Muss sich Steffen Seibert dieses Vertrauen, diese Nähe zur Kanzlerin erst in den kommenden Wochen und Monaten erarbeiten?

    Heye: Das mag sein. Deswegen sage ich ja, ich hoffe, er weiß, was seine Entscheidung auch für ihn selber bedeutet. Wenn die beiden sich jetzt erst kennenlernen, dann ist das nicht einfach. Es ist für beide nicht einfach. Ich meine, diese Kanzlerin ist ja nicht gerade eine, die vor Offenheit sprüht und wo man das Gefühl hat, sie ist zu jeder Zeit einem offenen Buch gleich, in dem man blättern kann. Das ist, glaube ich, nicht der Fall, sondern sie ist, glaube ich, eine sehr schwierig zugängliche Person und ich hoffe sehr, dass Seibert, damit er seine Arbeit machen kann, möglichst schnell einen intensiven Zugang zu ihr findet und ihr Vertrauen erobert, wie umgekehrt er ihr Vertrauen dringend braucht.

    Heinlein: Sie haben Gerhard Schröder schon lange gekannt, bevor Sie Regierungssprecher für ihn wurden, und waren, wenn ich mich richtig erinnere, eine Zeit lang sogar in einer Art Wohngemeinschaft zusammen mit dem Kanzler. War dieses tägliche Zusammensein ein Vorteil für Ihre Arbeit?

    Heye: Naja, ich habe ihn als Journalist beobachtet und von daher war er mir immer auf eine bestimmte Weise nahe, wie ein Gegenstand, den man eben beobachtet, einem nahe sein kann. Danach kam von ihm aus die Frage und Bitte, ob ich für ihn arbeiten wollte, und ich habe es geknüpft an die Notwendigkeit, dass das wirklich nur funktionieren kann, wenn sich beide Seiten darauf einlassen wollen, und das heißt, eine Beratungsfähigkeit auch da ist, damit man als Sprecher nicht als Beiboot läuft, das irgendwie funktioniert, zu funktionieren hat, aber sozusagen keine eigenen Inhalte vermittelt.

    Heinlein: Beratungsfähigkeit, Herr Heye. Heißt das, Sie haben am Frühstückstisch morgens schon Gerhard Schröder auch mal ganz kräftig kritisiert?

    Heye: So ist es. Wir haben fast jeden Morgen, wann immer es möglich war, es sei denn, wir waren irgendwo auf Auslandsreise, im Kleeblatt bei ihm im Büro zusammengesessen, das heißt der Chef des Kanzleramtes, Frank-Walter Steinmeier, seine Büroleiterin und ich und er selbst natürlich, um sozusagen abzuklopfen, was die politische Landschaft an Themen bereithält. Das ist sozusagen die eine Ebene.
    Die andere Ebene ist, dass man natürlich in vielerlei Situationen unmittelbaren Kontakt zu ihm haben muss und haben kann, und auch die Bereitschaft, diesen Kontakt zu nutzen. Das ist alles notwendig, um diesem ausgebufften Pressekorps in Berlin deutlich zu machen, da sitzt jemand, der nicht heiße Luft produziert.

    Heinlein: Herr Heye, Sie haben es erwähnt: die meisten Regierungssprecher – Sie auch – waren vor ihrem Job zumeist Journalisten. Woran liegt das?

    Heye: Das liegt daran, dass man für die, für die man spricht, in eine Medienlandschaft hinein denken muss, die man kennen muss. Man muss die Gesetzmäßigkeiten drauf haben, die da eine Rolle spielen. Ich weiß, das war bei Wilhelm nicht ganz so der Fall, aber er hat sich dort, glaube ich, ganz gut darauf eingestellt, so weit ich das bewerten und beurteilen kann. Das ist sozusagen die eine Ebene.
    Die andere Ebene ist, dass man etwas in Berlin bedenken muss, was ganz, ganz notwendig ist. Dort ist man nicht derjenige, der Journalisten zitiert, sondern Journalisten zitieren den Regierungssprecher. Die Bundespressekonferenz als Ergebnis der Schreckenserfahrung der Nazi-Zeit ist das Forum, das die Regierung einlädt, und dort werden die Themen bestimmt und nicht durch die Regierung, wenn es auch natürlich einen inneren Zusammenhang gibt, den ich nicht kleinschreiben will.

    Heinlein: Herr Heye, Ulrich Wilhelm, wir wissen es, wird zum Jahreswechsel Intendant des Bayerischen Rundfunks. Steffen Seibert wechselt vom ZDF in die Politik. Was ist der Grund für dieses Wechselspiel zwischen Öffentlich-rechtlichem und der Politik?

    Heye: Das ist schwer zu sagen. Es hängt, glaube ich, an den Personen. Ich bin nicht so sicher, ob man immer unmittelbar aus dem politischen Raum in eine so herausgehobene journalistische Funktion, oder in eine mediale Funktion wie der Intendant einer Rundfunkanstalt, wechseln kann oder wechseln soll. Ich hoffe sehr, dass Wilhelm weiß, dass er da nicht der Zuschläger der CSU ist, sondern derjenige ist, der das öffentlich-rechtliche journalistische System fördern und bewahren muss. Das ist eine andere Rolle. Ich wünsche ihm Glück und hoffe, dass er das kann.
    Umgekehrt: Seibert ist einfach ein, wie ich glaube, durch das, was man sehen konnte, jemand, der als Ankerman im "heute journal" doch schon auch bewiesen hat, dass er keiner ist, der sozusagen fixiert ist, ideologisch, sondern einer, der sehr offen nachdenklich ist. Das kann ihm helfen in der Landschaft, in die er sich da hinein begibt.

    Heinlein: Er hat sich dennoch, Herr Heye, ein Rückkehrrecht zum ZDF offen gelassen. Braucht er sich also keine Gedanken machen über seine künftige Karriere, sollte nach drei Jahren oder schon früher Schluss sein?

    Heye: Na ja, das kommt immer darauf an, wie er in der Funktion, in der er jetzt ist, sich bewährt. Das Rückkehrrecht zum ZDF ist ja kein Rückkehrrecht ins "heute journal", sondern da gibt es viele Möglichkeiten.

    Heinlein: Intendant zum Beispiel.

    Heye: Ja, das wäre vielleicht etwas hoch gegriffen. Ich glaube nicht, dass wir diese Art von politisch vorbestimmter Karriere im Journalismus gebrauchen können. Das ist aber eine andere Ebene, ich lasse das mal außen vor. Ich glaube, dass er recht hat. Das ist eine Funktion als Regierungssprecher, wo man auch die Möglichkeit haben muss zu sagen, stopp, ich merke, das funktioniert hier nicht, sei es in der unmittelbaren Beziehung zur Kanzlerin, sei es aus anderen Gründen, und zu sagen, okay, ich bin hier frei genug, um zu sagen, Schluss, das ist der falsche Weg gewesen.

    Heinlein: Schluss jetzt auch für dieses Interview, Herr Heye. Heute Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige rot-grüne Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, heute Chefredakteur des "Vorwärts". Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Heye: Es war mir ein Vergnügen.