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"Er war ein Popstar"

Heute vor 250 Jahren wurde Friedrich Schiller geboren. Daran wird noch immer noch erinnert, aber nicht mehr so groß wie einst: Schillers hunderter Geburtstag hat die "Nationen in Raserei versetzt", berichtet Hubert Winkels, Literaturredakteur des Deutschlandfunkes. Schiller sei noch immer sehr präsent - er wirke aber nicht mehr ins intellektuelle öffentliche Leben hinein.

Hubert Winkels im Gespräch mit Dirk Müller | 10.11.2009
    Dirk Müller: Wir brauchen also mehr Friedrich Schiller, hat Thomas Mann 1955 versucht zu sagen. Mehr Schiller also. 45 Jahre ist er nur geworden, aber er hat allerhand geschafft in seinen wenigen Lebensjahren, von vielen Höhen und persönlichen Tiefen geprägt, geschaffen könnte man sagen, nicht nur für die Zeitgenossen, sondern eben auch für die Nachwelt. Friedrich Schiller wurde heute vor 250 Jahren als Sohn eines Offiziers in Marbach am Neckar geboren. "Wilhelm Tell", "Die Räuber", "Wallenstein", "Kabale und Liebe", "Don Carlos", die ganz großen Werke. Schiller liebte die Freiheit, das Individuum, das Heldentum, die Revolution, die Rebellion. Wie kein zweiter konnte der Theaterdichter Schiller sein Publikum begeistern, aber eben auch polarisieren. Bei uns im Studio ist nun Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hubert Winkels. Guten Morgen.

    Hubert Winkels: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Winkels, rüttelt Schiller immer noch auf?

    Winkels: Dass wir zu viel oder zu wenig Schiller hätten, ist schwer zu sagen. Man sieht es ja an den Feierlichkeiten jetzt wieder. Es ist nicht ganz so schlimm wie 1859, wo Schillers 100. Geburtstag quasi Nationen in Raserei versetzt hat, was man sich heute kaum noch vorstellen kann, aber der Rummel um Schiller, und zwar in kurzen Abständen - das Jubiläum zu seinem Todestag kommt ja immer kurz vor dem Jubiläum zu seinem Geburtstag; das andere ist erst knapp fünf Jahre her -, ist gewaltig. Man kann sagen, Schiller ist im Grunde als Chiffre in der Öffentlichkeit sehr präsent und auf der anderen Seite - das weiß ich jetzt zufällig, weil ich zwei schulpflichtige Kinder habe - auch in der Schule. Der Kleine, der jetzt in der 8. Klasse ist, musste "Die Bürgschaft" schon auswendig lernen, was zu Hause so einige Abende gekostet hat, und die ältere Tochter, die so in Richtung Abitur geht, musste kürzlich erst "Don Carlos" interpretieren, diesen berühmten, ziemlich am Ende, glaube ich, stehenden Dialog zwischen Philipp II. und dem Großinquisitor, eine relativ schwere Lektüre. Man kann sagen, in der Schule, jedenfalls im Gymnasium, wird Schiller auch immer noch sozusagen durchgenommen. Er ist also präsent auf allen Ebenen.
    Eine ganz andere Frage ist, ob er hineinwirkt in unser intellektuelles öffentliches Leben, und da würde ich zweifeln. Das hat aber zu tun mit einer Unzugänglichkeit aller Literatur vor der im Grunde Prosa-Literatur, die Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Man muss sich klar machen, dass zu Goethe und Schillers Zeiten man in Versen schrieb. Wenn man das nicht tat, war es wirklich sehr die Ausnahme. Der Werther ist eine Ausnahme, der Wilhelm Meister ist eine Ausnahme. Das kommt uns nicht so vor, weil sie so berühmt sind, aber die beiden haben sich vorgenommen, in Versen zu schreiben. Sie haben ihre Stücke zuerst in Prosa geschrieben, größtenteils auch Schiller seine Stücke, und anschließend versifiziert, also sehr wohl überlegt, welches Versmaß nehme ich und was passt, der Jambus, der Drängelnde und so weiter, und dann gesagt, wir müssen es verkünsteln, damit es schwer wird, unzugänglich, so ein bisschen wie später Brecht mit der Verfremdung, und überhaupt mal die Würde eines Kunstwerks gewinnt. Das alles ist uns heute natürlich weitgehend fremd und da ist die Frage, wie wir den Zugang zu diesen Formen überhaupt heute bahnen, anstelle jetzt nur von Kanzeln reden, wie wichtig war uns dieses Zwei-, Drei-, Viergestirn aus Weimar.

    Müller: Sie haben, Herr Winkels, eben das Beispiel Schule genannt. Wie war es bei Ihnen? Haben Sie damals Schiller lesen müssen, oder lesen wollen?

    Winkels: Wir waren immerhin mit Schiller im Theater, aus einem Neusser humanistischen Gymnasium ans Theater nach Düsseldorf gefahren, um Schiller zu sehen. Das war sehr eindrücklich, weil es, glaube ich, für die meisten das erste große Theaterereignis war. Dieser Zugang ist, glaube ich, auch ganz günstig noch heute, je nach Theater. Es ist ja so, dass zumindest in Nordrhein-Westfalen die Theaterspielpläne mit den Kurrikula der Oberstufe sogar weitgehend koordiniert sind, so dass die Schüler, die jetzt Lessing oder Schiller in der Oberstufe haben, in einem Theater in ihrer Nähe in aller Regel die besprochenen Stücke auch gucken können. Das ist natürlich ganz schön, weil da schon in aller Regel eine Übersetzung in die Gegenwart stattgefunden hat, wenn man jetzt nicht wieder schimpfen will, dass das Regietheater das auch wieder kaputt macht, aber es ist natürlich grundsätzlich die Bemühung, das schon in die Gegenwart zu übersetzen. Dann kann es im besten Fall dazu führen, dass es einen unmittelbaren Anschluss der jüngeren Zeitgenossen an schillersche Themen und Motive gibt, und dann ist die Frage, ob das sinnvoll, gut und richtig ist. Da würde ich vorab mal sagen ja, das glaube ich im Falle Schillers schon.

    Müller: Also immer noch in der 9. Klasse, in der 10. Klasse "Wilhelm Tell", "Don Karlos". Das ist ja schwerer Stoff.

    Winkels: Ja. Ob es jetzt wirklich für einen in der Oberstufe schwer ist? Man muss ja sagen, Schiller war jemand, bei aller Schwere und Höhe des Gedankens, der unbedingt ans Publikum gedacht hatte. Er wollte wirklich den Erfolg. Er hat auch anders als Goethe und andere immer überlegt, was haut die Leute um, was fegt die wirklich um im Theater. Man muss sagen, er war ein Popstar und er war glücklich, wenn das Theater völlig aus dem Häuschen war und quasi ihm huldigte, was selten der Fall war, weil er immer nur in Weimar war. Der kam aus Weimar nicht heraus. In Leipzig hat er das aber mal erlebt oder gehört, es wurde ihm zugetragen, dass er wirklich kultig verehrt wurde, und das ging nur durch den totalen Publikumsbezug.

    Müller: Er war ein Mozart des Dramas?

    Winkels: Kann man sagen. Was den Willen zur Unterhaltung wäre falsch, aber zur Eindringlichkeit angeht ja. Er hat jetzt nicht den süßen lieblichen Weg beschritten, sondern eher den brutalen überrumpelnden. Es gibt viele Elemente der Grausamkeit, der Heftigkeit in Schillers Stücken, was Goethe immer sehr bemängelt hat. Goethe war ja immer das mäßigende Genie und der war ihm zu wild. Das ging ja mit den Räubern los. Die Räuber waren verfemt. Bis ans Ende seiner Tage war an den Fürstenhöfen Schiller immer irgendwie schwierig, schwierig als Fall, weil die Räuber ein so grausames und wildes Stück waren, und das gilt für viele Stücke. Er war eigentlich in der Hinsicht auch ein Berserker und man kann, glaube ich, mit seinem Freiheitspathos, mit seiner Freiheitsliebe, die abgeleitet von den Gedanken Kants auch eine sehr philosophisch triftige Fassung hat, auch heute noch sehr viel anfangen. Und es ist nicht ganz zufällig, dass seine Ode an die Freude als Europahymne taugt, denn sein Freiheitsbegriff war schon einer sehr stark im Sinne der Menschenrechte und der Grundrechte, wie sie zu seiner Lebenszeit ja in Frankreich entwickelt worden sind. Er hatte ja auch am Anfang Sympathie für die französische Revolution.

    Müller: Herr Winkels, wenn wir ein Klischee mal einbringen, zwischen Wahnsinn und Genie, zwischen Wahn und Genie, das kommt ja immer wieder in vielen Zusammenhängen. Wenn das auf einen zutrifft, trifft es auf Schiller zu?

    Winkels: Nein, auf Schiller auf keinen Fall, obwohl es fast paradox klingt, eher auf Goethe, zumindest im Selbstverständnis. Goethe war jemand, der immer von sich gesagt hat, ich schöpfe aus den dunklen Kräften, aus meinem Unbewussten, aus meiner Verbindung mit der Natur, die mir nicht selber transparent ist, während Schiller war immer der Philosoph, der Deduzierer, der alles von klaren Gedanken ableitete. Das war seine große Sorge, dass er quasi seine Stücke, seine Theaterstücke deduziert wie einen Aufsatz, dass sie blutleer sind und Ableitungen des Gedankens. Dagegen hat er kämpfen müssen und die Einbildungskraft ins Spiel bringen. Das heißt, er war hoch kontrolliert, hoch rational. Das war sein absolutes Markenzeichen. Deswegen ist er ja einer der größten Philosophen überhaupt der Deutschen. Er ist ja zwischen Kant und Fichte der größte Philosoph, von Fichte selber als größter Philosoph seiner Zeit bezeichnet - das muss man sich vorstellen - mit seiner ästhetischen Theorie. Nein, nein, er war vom Wahn so weit entfernt wie Hegel und Kant.

    Müller: Bei uns im Studio Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hubert Winkels. Vielen Dank!