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"Er war heute ein sehr guter Redner"

Der Historiker und Publizist Professor Arnulf Baring hat sich beeindruckt von der Berliner Rede Horst Köhlers gezeigt. Dem Bundespräsidenten sei es gelungen, eine eindrucksvolle, emotional gebremste, aber doch optimistische und energische Rede zu halten. Obwohl sich die Rede in vielen Teilen auf die Wirtschaftskrise bezog, sei es Köhler gelungen, alle Teile der Gesellschaft anzusprechen.

Arnulf Baring im Gespräch mit Dirk Müller | 24.03.2009
    Dirk Müller: Die Berliner Rede, was ist das, werden sich viele fragen. Inzwischen seit 12 Jahren das Codewort für eine vermeintlich große konzeptionelle Rede des deutschen Staatsoberhauptes, also des Bundespräsidenten. Die Ruck-Rede von Roman Herzog beispielsweise 1997:

    O-Ton Roman Herzog: Der Nachholbedarf an Reformen hat sich bei uns geradezu aufgestaut. Es wird alle Kraft und alle Anstrengung kosten, die Erneuerung voranzutreiben. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen, wir müssen Abschied nehmen von lieb gewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, die großen mehr, die kleinen weniger, aber es müssen auch alle mitmachen.

    Müller: Die Rede von Roman Herzog, eine Rede, die in Erinnerung geblieben ist. Heute Vormittag die diesjährige Berliner Rede von Horst Köhler. Nur noch wenige Wochen, dann steht der amtierende Bundespräsident wieder zur Wahl in der Bundesversammlung.
    Die Rede ebenfalls verfolgt hat für uns der Historiker und Publizist Professor Arnulf Baring. Guten Tag!

    Arnulf Baring: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Baring, Sie haben Horst Köhler zugehört. Lohnt es sich, Horst Köhler zuzuhören?

    Baring: Ja, ich fand die Rede sehr bemerkenswert. Ich würde auch den Korrespondenten, der eben gesprochen hat, in einem ganz wesentlichen Punkt korrigieren wollen, nämlich in dem Anfang der Köhler-Rede. Da sagte er, wie eben vollkommen richtig berichtet wurde, "Ich will Ihnen eine Geschichte meines Scheiterns berichten". Aber was er dann hinzugefügt hat, fand ich außerordentlich interessant. Er sagte nämlich, "Es fehlte damals der Wille, den Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten durchzusetzen". Das Scheitern war also nicht ein persönliches Scheitern, sondern er ist mit seinen Versuchen, die Politik zur Rahmengesetzgebung, zur Kontrolle der Finanzmärkte anzuhalten, nicht durchgedrungen. Das fand ich als Auftakt der ganzen Rede außerordentlich interessant, weil es ja zeigt, dass für ihn die Krise nicht überraschend gekommen ist, nicht sozusagen vom Himmel fiel, sondern dass er schon vor fast einem Jahrzehnt den Eindruck hatte, das geht schief, aber eben damals mit seinen Anstößen, seinen Versuchen, das zu regeln, nicht durchgekommen ist.

    Müller: Herr Baring, wir haben bei uns im Deutschlandfunk in der Redaktion diese Rede so gut wir konnten natürlich auch verfolgt und einige haben dann gesagt, gerade bei dieser Eingangsbemerkung, die Sie gerade erwähnt haben, "Schlauberger, jetzt weiß er es".

    Baring: Nein! Entweder haben Sie nicht richtig zugehört, oder habe ich nicht richtig zugehört. Meiner Meinung nach eben nicht Schlauberger, sondern er hat ja gesagt, ich habe damals versucht - das hat er deutlich gesagt -, das zu regulieren, die Politik zum Handeln zu veranlassen, und - ich habe es ja eben schon gesagt, wörtlich aufgeschrieben von mir - "Es fehlte damals der Wille, den Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten durchzusetzen". Er war ja nicht Politiker; er hat ja versucht, das sozusagen aus seiner Währungsverantwortung zu formulieren.

    Müller: War das jetzt, wenn wir auf die gesamte Rede blicken - es ging ja in erster Linie um die Finanzmärkte, um die Wirtschaftskrise, um die Reaktion in der Politik. Herr Baring, ist das richtig, dass der Bundespräsident im Grunde die Aufgabe der Kanzlerin übernimmt?

    Baring: Nein, das ist nicht die Kanzlerin, die dafür verantwortlich ist, den Kenntnisreichtum von Köhler zu ersetzen. Ich selber war auch wie Ihr Korrespondent ein wenig nervös, als er sozusagen über Monate hinweg nichts sagte, sich zurückhielt, der Regierung eben da auch nicht ins Handwerk pfuschen wollte. Aber dass er jetzt diese Berliner Rede dazu benutzt hat, mal deutlich seine Sicht der Dinge und auch seine Kenntnis einzubringen, das habe ich sehr, sehr begrüßt.

    Müller: Ist die Berliner Rede eine Rede für die Politiker, die ohnehin immer in der ersten Reihe sitzen, oder auch eine Rede für die Bürger?

    Baring: Wissen Sie, das ist bisher auch noch nicht zur Sprache gekommen. Ich fand ja hoch interessant, wie er redete. Er war ja am Anfang etwas nervös, angespannt, sehr ernst, sehr emotional für seine Verhältnisse. Er hat ja weithin frei gesprochen. Das fand ich auch interessant. Er hatte zwar ein Manuskript da, auf das er gelegentlich guckte, aber an sich sprach er sozusagen frei, was ja immer besser wirkt bei der Bevölkerung und bei den Menschen überhaupt. Er wurde auch zunehmend souveräner. Ich fand, dass er gegen Ende auch Optimismus ausstrahlte, lockerer wurde, gewissermaßen die Anspannung von ihm wich. Das alles fand ich sehr in der Tonlage wichtig, denn wissen Sie, sie können ja eine gute Rede so vortragen, dass alle Welt sich angeödet abwendet, und sie können eine schwache Rede sozusagen so vortragen, dass alle Welt begeistert ist. Ich übertreibe jetzt ein bisschen. Dies war eine gute Rede, gut vorgetragen und das fand ich schon sehr bemerkenswert.

    Müller: Damit wäre Horst Köhler ein guter Rhetor?

    Baring: Ja. Auch der Ort war übrigens gut gewählt. Ich habe mich damals bei der Rede von Herzog, die ja eben noch mal zitiert wurde, sehr gewundert, dass er ins Adlon gegangen war, weil ich der Meinung war, damals hätte er in die Ruine des Reichstages gehört, hätte auch sozusagen wie diesmal richtig einen Querschnitt durch die gesamte politische, aber auch gesellschaftliche - da war ja auch der Kardinal von Berlin heute da und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, ich habe auch Gewerkschaftsvertreter gesehen, Vertreter des Diplomatischen Korps, etwa den italienischen, aber auch afrikanische Botschafter -, ich fand das sehr gut, dass es ein Querschnitt war, der zeigt, wir reden hier nicht zu einer bestimmten Gruppe, etwa zu den Bänkern, wir reden hier zu einem Querschnitt der deutschen, ja sogar der internationalen Öffentlichkeit.

    Müller: Herr Baring, Sie sind ja bekannt als scharfer Kritiker. Ich möchte die Frage noch einmal wiederholen, Sie haben die Rede verfolgt. Ist Horst Köhler ein guter Rhetor?

    Baring: Ich fand, er war heute ein sehr guter Redner, ja. Ich fand auch, dass die Dinge, die noch öffentlich hervorgehoben werden müssen, viel deutlicher herausgestellt werden müssen, zum Beispiel, dass er zwar gesagt hat, jetzt müsste eine höhere Staatsverschuldung in Kauf genommen werden, aber vorher sehr scharf kritisiert hat, dass wir uns in dieser Hinsicht lange Zeit vollkommen verhoben haben, dass wir viel zu viele Schulden haben, dass wir einen Lebensstandard uns geleistet haben - und das gilt ja für breite Teile der Bevölkerung -, der nicht finanzierbar war, der sozusagen auf Schulden, auf den Schultern unserer Kinder und Enkel geleistet worden ist. Da hat er sehr deutlich gebrandmarkt und das fand ich war auch sehr wichtig und sehr richtig.

    Müller: Gehen wir noch einmal auf die Details ein beziehungsweise auch auf die Atmosphäre. Sie haben das angesprochen, Schauplatz. Was war für Sie wichtig und gut, das zu wählen? Die Politiker sitzen in der ersten Reihe. Peer Steinbrück haben wir da gesehen, Peter Ramsauer und so weiter, also die Fraktionsspitzen, die Minister und so weiter. Eine Regierung, die es nicht schafft, sich über Jobcenter zu einigen, hat die das Recht, bei einer Köhler-Rede zu klatschen?

    Baring: Ja. Ich meine, dass die sich nicht einigen können, das hängt ja nun mit vielen Faktoren zusammen. Das ist ja auch keine tolle Lösung, die sich da ein Teil der Politik ausgedacht hat. Dass man da Zweifel hat, ob das sozusagen eine angemessene Lösung ist, diese Zweifel würde ich teilen. Nein, natürlich hat die Regierung nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich auch gelegentlich anzuhören, zum Beispiel die Warnung, den Wahlkampf jetzt nicht zur Selbstprofilierung zu nutzen, statt den Problemen des Landes zu Leibe zu rücken. Das finde ich schon wichtig.

    Müller: Und Horst Köhler hat mit dieser Rede keinen Wahlkampf für sich auch indirekt oder direkt gemacht?

    Baring: Fand ich nicht. Aber ich fand, dass er die Finanzmärkte sehr scharf kritisiert hat. Dass er vor allem die Investment-Banker, die ja doch eine lausige Berufsgruppe sind, mal deutlich auf ihre Pflichten und ihre Versäumnisse hingewiesen hat, das fand ich schon sehr, sehr wichtig.

    Müller: Aber noch mal auf diese Frage zurückzukommen: Die Politiker sitzen in der ersten Reihe. Ist das ein richtiges Signal in Richtung Bundespräsident, Volkspräsident, wie immer man das auch genauer definieren will, schon wieder die Politiker in der ersten Reihe?

    Baring: Da saßen aber auch ganz unterschiedliche Leute. Da saß auch zum Beispiel der Kardinal, der nicht zu den Politikern gehört. Da saßen eine ganze Reihe von Leuten, die durchaus nicht in die erste Reihe gehören. Nein! - Was wollen Sie mit der Frage sagen?

    Müller: Ich möchte Sie noch mal fragen, ob die Berliner Rede eine elitäre Rede bleiben soll?

    Baring: Erstens soll sie es nicht bleiben und sie wird es auch nicht bleiben, soweit überhaupt der Bundespräsident jemand ist, der ja nun auch nicht die geballte Macht der Medien beeinflussen kann. Ob das Land sich davon berühren lässt oder nicht, das kann ich natürlich nicht voraussagen, aber dass die Rede eine sehr eindrucksvolle, eine emotional gebremste, aber dann doch optimistische, aber zugleich energische Rede war, das würde ich deutlich unterstreichen und ich würde sagen, insofern war es eine große Rede, in meinen Augen sogar eine bessere Rede als die Herzog-Rede damals, die eben weil sie nur an die Wirtschaft ging meines Erachtens an der eigentlichen Zielgruppe, nämlich allen Teilen der Gesellschaft, vorbei ging. Das war diesmal anders.

    Müller: Klare Worte von Arnulf Baring bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Mittag". Vielen Dank für das Gespräch, Herr Baring, und auf Wiederhören.

    Baring: Danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!