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"Er war mit dieser Aufgabe offenbar überfordert"

Für Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte an der FU Berlin, gibt es keine Alternative zum Fortführen der Reformbemühungen der SPD. Nachdem Parteichef Beck "gegangen" worden sei, müsse die SPD wieder internen Boden gutmachen und langfristig wieder zur Volkspartei - eventuell auch durch ein "aufsaugen" der Partei Die Linke - werden.

    Jochen Spengler: Noch einmal wollen wir über diese entscheidende und dramatische Phase der großen deutschen Volkspartei SPD sprechen, und zwar mit Paul Nolte, Professor für neuere Geschichte an der FU Berlin. Guten Morgen, Herr Nolte.

    Paul Nolte: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Herr Nolte, hat Kurt Beck seiner Partei einen Dienst erwiesen oder einen Bärendienst?

    Nolte: Es ist die Frage, ob er ihr überhaupt einen Dienst oder Bärendienst erwiesen hat. Das setzt ihn ja als Handelnden voraus.

    Spengler: Er ist ja immerhin zurückgetreten.

    Nolte: Ich habe ihn weniger als Handelnden gesehen. Er ist gegangen worden. Ich glaube, das ist doch ziemlich deutlich. Da haben auch irgendwelche Medienintrigen und Falschinformationen nicht die entscheidende Rolle gespielt. Ich sehe ihn ganz stark, auch wenn Steinmeier das natürlich gestern nicht so sagen konnte, als Getriebenen. Steinmeier musste ihn - ich will es mal ganz zugespitzt sagen - los werden, weil das sonst mit seiner Kandidatur nicht funktioniert hätte.

    Spengler: Ist das denn ein Wendepunkt, ein Befreiungsschlag?

    Nolte: Zunächst einmal ist es natürlich ein Befreiungsschlag, denn die Situation der letzten Monate, des letzten halben oder fast schon ganzen Jahres konnte offensichtlich so nicht weitergehen. Man muss Kurt Beck selbstverständlich für einen ganz honorigen Politiker, für einen ganz überzeugenden Menschen und Charakter halten, aber er war mit dieser Aufgabe offenbar überfordert und deswegen musste er gehen. Deswegen ist jetzt die Bahn frei.
    Befreiungsschlag? Ob es schon der Wendepunkt ist, der jetzt die SPD wirklich in sicherere Gewässer führt, das muss man sehen, denn die programmatische Auseinandersetzung ist ja noch gar nicht ausgetragen und wie da die Frontlinien verlaufen, ist noch nicht zu sehen. Im Moment sind zwei Agenda-Leute vorne, aber das löst die programmatischen Fragen, die Fragen nach der Fortsetzung der Agenda-Politik, nach der Abgrenzung zur Linkspartei noch gar nicht.

    Spengler: Professor Nolte, lassen Sie uns die programmatischen Fragen noch ein bisschen zurückstellen. Lassen Sie uns noch einen Moment bei den Personen bleiben. Müntefering und Steinmeier, das sind herausragende Sympathieträger der SPD. Dass die nun das Heft in der Hand halten, das müsste beim Wähler doch eigentlich gut ankommen?

    Nolte: Wir werden sehen. In der Tat, Programme hin oder her. Man sieht das ja immer wieder: die Personen - wir blicken ja auch viel auf den amerikanischen Wahlkampf - und die Sympathien spielen eine ganz entscheidende Rolle. Von daher ist das jetzt für die SPD erst einmal schon eine Erlösung, dass da zwei Menschen sind, von denen man weiß, damit kann sich die Bevölkerung, damit kann sich auch die klassische Anhängerschaft der SPD identifizieren. Dieser Sympathiefaktor ist ganz wichtig.

    Spengler: Aber es reicht nicht und da kommen wir doch zur Programmatik. Klaus von Dohnanyi hat hier vor wenigen Minuten dafür plädiert, offene Auseinandersetzung in der SPD nicht zukleistern. Hält das die SPD Ihrer Ansicht nach aus?

    Nolte: Die offenen Auseinandersetzungen sind irgendwann geführt worden, ohne Klaus von Dohnanyi zu sehr widersprechen zu wollen. Natürlich kann niemand dafür sein, Auseinandersetzungen zuzukleistern. Aber irgendwann muss die SPD diesen Sack "Agenda 2010" auch mal zumachen. Das muss irgendwann gegessen sein. Jeder vernünftige Mensch im Lande weiß, dass es zu dieser Ausrichtung des Landes und auch der SPD, einer Reformpartei SPD jenseits der alten Bundesrepublik, zu einer Reformpartei SPD unter Verhältnissen der Globalisierung überhaupt keine Alternative gibt. Also die Kritiker müssen jetzt irgendwann auch eingebunden werden mit dem Versuch und dem Konzept - das wird jetzt entscheidend sein -, auch über die Agenda 2010 von Steinmeier und Müntefering hinauszudenken, denn wir haben jetzt bald 2010. Also reicht es auch nicht mehr für die Reformer zu sagen, das was Schröder damals gemacht hat war richtig und darauf ruhen wir uns jetzt aus. Der Handlungsbedarf, der Begründungsbedarf liegt ganz stark auch auf der Seite der Reformer, das weiterzudenken. Hartz IV 2003, das haben wir gehabt. Was kommt danach? Das ist die große Frage an Steinmeier und Müntefering.

    Spengler: Also Hartz V?

    Nolte: Hartz V, Steinmeier I, überzeugende Antworten darauf, wie wir in dieser Welt der Globalisierung, der Energiekrise, der Verunsicherung vieler Menschen durch steigende Lebenshaltungskosten leben können. Die Situation ist eine andere als die 2003 oder 2004. Damals haben wir uns Sorgen gemacht um die demographische Entwicklung und die Sicherheit der Rentensysteme. Da haben wir viel getan. Wir hatten Angst davor, dass aus fünf Millionen Arbeitslosen acht Millionen Arbeitslose werden. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt stellt sich ganz anders dar. Von daher ist auch eine Anpassung der Agenda, aber nicht im Sinne eines Rückwärtsruderns notwendig.

    Spengler: Was halten Sie denn für wahrscheinlicher, dass der SPD dieses gelingt, auch mehrheitlich, dass möglicherweise das Drittel, von dem Klaus von Dohnanyi sprach, das reformmüde ist oder in die Zeit vor der Agenda zurück möchte, eingebunden wird, oder dass es sich abspaltet, zur Linkspartei geht und wir dann irgendwann zwei linke 20-Prozent-Parteien haben?

    Nolte: Ich halte das erste Szenario weiterhin für wahrscheinlicher, dass es der SPD gelingt, da wieder Boden gut zu machen und selber nicht mehr als 40-Prozent-Partei - das gilt ja auch für die CDU wohl -, aber als 30 bis 35-Prozent-Partei dazustehen, langfristig vielleicht sogar die Linke aufzusaugen und wieder auf den heimischen Boden der Sozialdemokratie zurückzuführen. Das wird aber eine ganz lange Auseinandersetzung sein und ein Weg, der auch nicht bis 2009 und auch nicht bis 2013 abgeschlossen ist.

    Spengler: Professor Paul Nolte, Professor für neuere Geschichte an der FU Berlin. Danke für das Gespräch.

    Nolte: Vielen Dank, Herr Spengler.