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"Er war sicher ein großer Papst"

Angesichts des bevorstehenden Todes von Papst Johannes Paul II. hat der CDU-Politiker Heiner Geißler die Leistungen des Kirchenoberhauptes in der Weltpolitik gewürdigt. Der Kommunismus wäre mit Sicherheit ohne ihn nicht besiegt worden, erklärte Geißler.

    Reinhard Bieck: Auch hier in Deutschland haben nicht Tausende, aber doch einige hundert Menschen die Nacht nicht alleine verbringen wollen, zum Beispiel in Köln vor dem Dom, vor der Münchner Frauenkirche, aber auch etwa im Erzbistum Paderborn. Was empfindet ein gläubiger Katholik in diesen Stunden? Heiner Geißler ist so ein Gläubiger, aber auch kritischer Katholik. Herr Geißler, wie sind Ihre Empfindungen in diesen Stunden?

    Heiner Geißler: Sie sind zunächst einmal eine Erinnerung. Ich habe den Papst auch einmal besucht als Bundesminister. Damals kam gerade die Broschüre von der Katharina Zimmermann, der "Zeit"-Redakteurin, heraus, mit neuen, noch nie da gewesen Bildern über die Entwicklung des Embryos und ich habe ihm diese Broschüre mitgebracht und er hat sich mit mir an diesen Tisch gesetzt, wie man auch im Fernsehen gesehen hat und er hat diese Broschüre über eine halbe Stunde angeguckt, ich bin länger bei ihm gewesen, als vorgesehen. Er war sicher an dieser Broschüre interessiert, er war außerordentlich interessiert, neugierig und wollte alles genau wissen. Es ging damals um das ganze Thema Abtreibung und ich hatte die Gelegenheit ihm damals die Position der Bundesregierung, und auch der CDU, darzulegen.

    Bieck: Sie haben dem Papst auch immer kritisch gegenüber gestanden. Verstummt solche Kritik angesichts des nahenden Todes?

    Geißler: Gut, man müsste es nun nicht unbedingt am heutigen Tage so äußern, aber es würde ihm nicht gerecht werden, wenn man das verschweigen würde. Er war sicher ein großer Papst, der vor allem die Weltpolitik beeinflusst hat. Der Kommunismus wäre mit Sicherheit ohne ihn nicht besiegt worden. Er hat sich furchtlos, mutig gegen die andere beherrschende Ideologie der heutigen Zeit, den Kapitalismus, gestellt, hat ihn mit scharfen Worten verurteilt, und klar gemacht, dass das heutige Wirtschaftssystem mit dem Evangelium nicht vereinbar ist. Er hat sich gegen den Krieg gewandt im Irak, ohne Erfolg, das muss man hinzufügen, aber er hat mit seiner Position eben vielen Menschen Hoffnung gegeben. Er war ein Papst zum Anfassen. Er ist von seinem Thron heruntergestiegen und hat sich den Menschen gezeigt, hat sich anfassen lassen, er hat sich Attentaten ausgesetzt. Also, er hat sich den Menschen auch in seiner Krankheit und in seinem Leiden gezeigt, wobei ich mir gewünscht hätte, dass in den letzten Wochen auch die Berichterstattung etwas zurückhaltender geworden wäre, denn dadurch ist das Bild zum Schluss doch sehr verfälscht worden und ich glaube, das, was an Nachrichten und an Bildern von ihm, auch durch den Vatikan, an die Öffentlichkeit gelangt ist, ist seinem großen Ansehen, nach dem, was er geleitet hat, nicht gerecht geworden. Man darf die Widersprüche natürlich nicht vergessen.