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"Er war vor allem sehr, sehr breit"

Der Tornado in Oklahoma hat eine kilometerbreite Schneise der Zerstörung hinterlassen. Thomas Sävert von der Unwetterzentrale Meteomedia führt die enorme Kraft und Größe dieses Wirbelsturms auf die Wetterbedingungen vor Ort zurück: sehr warme, feuchte Luft vom Golf von Mexiko und Temperaturen von etwa 30 Grad Celsius.

21.05.2013
    Ralf Krauter: Die Bilder sind erschreckend, die Bilanz verheerend: Mindestens 24 Tote hat der Tornado im US-Bundesstaat Oklahoma gefordert. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 320 Kilometern hinterließ der Wirbelsturm eine kilometerbreite Schneise der Zerstörung. Wie es dazu kam, das wollen wir jetzt den Tornado-Experten Thomas Sävert fragen, der als Meteorologe für das Unwetterzentrum Meteomedia arbeitet. Herr Sävert, Tornados sind in den USA ja nichts Ungewöhnliches, es gibt jedes Jahr Hunderte davon. Die meisten davon richten aber zum Glück weniger Schaden an als der gestern. Was genau war es, das diesen Sturm so schlimm werden ließ?

    Thomas Sävert: Das war vor allem natürlich die Stärke an sich. Es gibt ja diese Tornado-Skala von F0 bis F5. Da hat er mindestens die zweithöchste Stufe erreicht, vielleicht sogar die stärkste – das muss man noch näher untersuchen. Und er war vor allem sehr, sehr breit – von den Ausmaßen her. Das heißt, bis zu drei Kilometer breit war die Schneise, die er durch Moore geschlagen hat. Und das ist schon sehr, sehr ungewöhnlich. Gestern traf einfach alles zusammen. Die Bedingungen waren äußerst günstig für die Tornadobildung. Sehr warme Luft vom Golf von Mexiko, sehr feuchte Luft strömte bis nach Oklahoma – 30 Grad waren es da teilweise tagsüber und eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit. Dazu kam in der Höhe starker westlicher Wind. Das heißt also, mit der Höhe änderte sich die Windrichtung sehr stark und nahm sehr stark zu. Das heißt also, Luft, die aufstieg und Gewitterwolken bildeten sich – die konnte also richtig in starke Drehbewegungen versetzt werden.

    Krauter: Und diese rotierenden Gewitterwolken sind letztlich das, woraus dann solche heftigen Tornados immer entstehen?

    Sävert: Nicht immer, aber viele, viele Gewitter und Tornados im Mittleren Westen entstehen aus solchen Superzellen – so nennt man sie. Das sind langlebige, rotierende Gewitterzellen. Bei uns sieht es vielleicht ein bisschen anders aus. Wir haben auch viele Tornados, die aus kleinen Gewittern oder Schauern entstehen. Aber dort in der Gegend sind dieses Superzellen sehr berüchtigt.

    Krauter: So, wie Sie das beschreiben, war ja eigentlich schon relativ lange vorher klar, dass sich da etwas Großes zusammenbraut. Wann genau wussten Sie und Ihre Kollegen, wie unheilvoll das werden könnte?

    Sävert: Eigentlich auch erst wenige Minuten vorher. Man kann leider eben zwar die Wetterlage schon frühzeitig erkennen, also einen Tag vorher auch schonmal sehen, eben morgen könnte einiges drohen, aber nicht genau wann, nicht genau wo – und das ist einfach das Problem. Konkrete Tornado-Warnungen sind erst wenige Minuten vorher möglich. Das heißt also: Wenn diese Gewitterzelle entstanden ist, dann kann man auf Radarbildern schon erkennen, wie gefährlich diese Gewitterzelle ist – und dann mithilfe der Meldungen von Stormchasern, also diese Sturmjäger, die wir auch aus dem Fernsehen kennen… die melden das dann an die Wetterdienste weiter, wenn ein Tornado entsteht. Und dann kann man konkrete Warnungen rausgeben. Von daher sind also Vorwarnzeiten von 5 oder 10, vielleicht 15 Minuten normal. Und in diesem Fall war es sogar relativ viel, also mehr einfach nicht.

    Krauter: Wenn dieser Tornado-Rüssel, den die Stormchaser dann gesichtet haben, erstmal den Boden erreicht hat: kann man denn dann präzisere Vorhersagen machen? Also kann man dann sagen mit 20 oder 30 Minuten Vorlauf, wo der Rüssel seine Schneise der Zerstörung hinterlassen wird?

    Sävert: Ja, kann man schon, aber auch eben nur begrenzt. Also meistens da, wo der Tornado entsteht, hat man natürlich sehr wenig Vorwarnzeit, wenige Minuten höchstens. Und in diesem Fall war es zumindest ein bisschen mehr. Aber viel mehr als 15, 20 Minuten ist eigentlich in den seltensten Fällen drin.

    Krauter: Das heißt, die Meteorologen wissen, es könnte etwas passieren, aber letztlich weiß man nicht, wann und wo es passieren wird – ist das der Status Quo der Tornado-Prognose heute?

    Sävert: Genau. Das ist das einfach. Also wenn wir natürlich konkrete Meldungen haben von den Sturmjägern, die unterwegs sind, die vor Ort sind, dann sieht es ein bisschen anders aus, dann weiß man, da ist jetzt ein Tornado auf dem Boden. Und dann weiß man eben: Wenn der die bestimmte Richtung einschlägt, wo er dann hinziehen kann und wo er Schäden anrichten kann.

    Krauter: Das entscheidende für die Betroffenen wäre ja, die Vorwarnzeiten zu verlängern. Sehen Sie da irgendwelche Chance, diese Prognosen künftig zu verbessern, mehr Frist zu haben, um zu handeln und früher auch und regional zielgerichteter warnen zu können – oder ist das Ganze dafür zu komplex?

    Sävert: Man kann vielleicht die Vorwarnzeit nochmal um wenige Minuten – also vielleicht ein, zwei, drei Minuten noch erhöhen, im Einzelfall wird es aber auch immer wieder Fälle geben, in denen es gar nicht klappt. Also von daher sehe ich da nicht wirklich die große Chance, dass man schon Stunden vorher sehen kann, wo jetzt ein starker Tornado auftritt.

    Krauter: Wäre ein Sturm dieses Ausmaßes, wie wir ihn jetzt in den USA gesehen haben, auch in Deutschland denkbar?

    Sävert: Ja, auf jeden Fall. Also, das Thema wird leicht immer heruntergespielt – ist leider der Fall. Aber solche Tornados, auch in der Stärke, gibt’s in Deutschland – natürlich nicht so oft, weil Deutschland auch viel kleiner ist als das betroffene Gebiet dort in den USA. Das kommt dazu. Aber wir haben solche Tornados auch in der Stärke. Man muss sich einmal vorstellen: Zum Beispiel 1979 gab es einen sehr starken Tornado in Brandenburg, bei dem sind sogar tonnenschwere Mähdrescher Hunderte Meter durch die Luft geflogen. Also von daher sieht man schon: Es ist auch bei uns möglich.



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