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Tornados "von mehr als 500 Stundenkilometern" möglich

Nur etwa 15 Minuten vorher könne vor einem Tornado gewarnt werden, sagt Andreas Friedrich, Tornado-Experte des Deutschen Wetterdienstes. Er sei ein relativ kleinflächiges und kurzlebiges Ereignis. Der Experte erklärt, wie man sich vor Schaden schützen kann.

Andreas Friedrich im Gespräch mit Peter Kapern | 21.05.2013
    Peter Kapern: Moore, so heißt also der Vorort von Oklahoma City, der gestern Abend weltweit zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. Ein Tornado raste mit mehr als 300 Stundenkilometern durch die Siedlung und legte unter anderem eine Schule in Schutt und Asche, in der sich Lehrer und Schüler verschanzt hatten. Auch durch andere Ortschaften zog der Sturm, eine Schneise der Verwüstung.

    - Mitgehört hat Andreas Friedrich, der Tornado-Experte des Deutschen Wetterdienstes. Guten Tag, Herr Friedrich!

    Andreas Friedrich: Ja hallo! Schönen guten Tag an Sie.

    Kapern: Herr Friedrich, wir haben es gerade gehört. Der Mittlere Westen, gerade die Region um die Stadt Oklahoma City, die die Hauptstadt der sogenannten Dust Bowl, der Staubschüssel der Vereinigten Staaten ist, wird immer wieder von solchen Tornados heimgesucht. Warum eigentlich? Warum diese Region?

    Friedrich: Ja, diese Region liegt leider für die Betroffenen in einer Region, in der immer wieder extreme Luftmassengegensätze zustande kommen. Das muss man sich vorstellen: Aus dem Süden - der Golf von Mexiko ist nicht weit entfernt, zumindest meteorologisch gesehen ein Katzensprung für die Luftmassen. Dort können sich sehr warme und feuchte Luftmassen nach Norden bewegen. Das war gestern der Fall. Gleichzeitig östlich der Rockies strömt aus Kanada extrem kalte, auch in höheren Lagen kalte und trockene Luft nach Süden. Und diese Luftmassen prallen direkt dann über dieser Tornado Alley rund um Oklahoma zusammen. Und führen eben dazu, dass sich dann diese gefährlichen Wolken auftürmen und unter diesen Wolken dann die Bedingungen auch erfüllt sein können, dass sich Tornados - und zwar diese verheerenden Tornados - bilden. Das heißt, man braucht dann noch sehr viele Inkredenzien oder Zutaten, die nur selten der Fall sind, aber dort sind sie sehr oft der Fall. Das heißt, die Luft muss sich mit der Höhe, mit der Richtung und der Geschwindigkeit ändern, sie muss sehr feucht sein, diese Wolken müssen eine ganz niedrige Basis haben über der Erde. Und wenn alles zusammenkommt, dann kann sich so ein Tornado wie gestern bei Oklahoma City bilden.

    Kapern: Gleichwohl stellt man sich die Frage, auch als, nun sagen wir mal, beiläufiger Beobachter von Wetterphänomenen, der auch immer wieder gebannt auf die Wetterkarten schaut, wenn dort Hurricanes zu sehen sind: Wie kann ein solcher Sturm eine solche Gewalt, eine solche Kraft von mehr als 300 Stundenkilometern entwickeln?

    Friedrich: Ja, das sind wirklich die höchsten Windgeschwindigkeiten, die es auf unserer Erde gibt. Die findet man in Tornados, nicht in Hurricanes. Dort gibt es auch sehr viel Wind, aber die höchsten Windgeschwindigkeiten in extremen Tornados hat man schon abgeschätzt von mehr als 500 Stundenkilometern, rausgefunden, dass sich der Wind dort so schnell bewegt hat. Das passiert eben dadurch, dass sich die Atmosphäre, der Wasserdampf, der sich bildet, der führt zu einem selbstverstärkenden Prozess. Das heißt, dieser Drehimpuls, der wird immer schneller, es wird Energie frei durch diesen Wolkenrüssel, der sich bildet. Und wenn sich dann die Luft bis zum Boden praktisch durchsetzt, diese Drehbewegung, dann kann es zu diesen extremen Windgeschwindigkeiten kommen, die dann bis zu 500 Stundenkilometer betragen. Und die verursachen dann auch diese gefährlichen Schäden. Das heißt, die Leute werden wirklich dann auch durch Trümmer getroffen und die Häuser werden zerstört. Wie gesagt, das ist ein selbstverstärkender Prozess. Es wird immer noch geforscht, auch in den USA. Es ist immer noch nicht ganz geklärt, was alles in der Atmosphäre passiert, wenn so ein Tornado sich bildet.

    Kapern: Wir haben es eben in dem Beitrag meines Kollegen Marcus Pindur gehört: Diesmal gab es eine Vorwarnzeit von 16 Minuten. Und das gilt schon als eine sehr ausgedehnte Vorwarnzeit. Nun sehen wir, wenn sich Hurricanes entwickeln über dem Meer, wie diese Sturmwirbel tagelang ihre Bahnen über die Wetterkarten ziehen. Und Tornados scheinen demgegenüber ein blitzartiges Phänomen zu sein. Warum ist das so?

    Friedrich: Genau, das ist der entscheidende Unterschied. Sie haben es schon gesagt: Ein Tornado ist ein sehr kleinräumiges Ereignis. Man spricht am Anfang von wenigen Dutzend Metern, wenn das losgeht. Wie gestern, kann der sich mal auf ein paar Hundert Meter Durchmesser ausdehnen. Auch der zeitliche Ablauf ist schnell. Es kann sich quasi aus dem Nichts, aus einer Wolke, die eben noch gar nichts Verdächtiges gezeigt hat, innerhalb von, ich sage mal, zehn Minuten ein F4-, F5-Tornado bilden, der dann wirklich diese Schäden wie gestern verursacht. Das heißt, es geht in Minutenschnelle. Und es ist so kleinräumig, dass wir weder mit Wettersatelliten, noch mit Wetterradar-Geräten den Tornado erkennen können. Das heißt, wir sind hier sogar auf Augenbeobachtungen angewiesen. Das heißt, die Meteorologen auch in den USA müssen warten, bis man weiß, da ist jetzt ein Tornado unter einer Wolke, der hat jetzt den Boden erreicht oder wird ihn gleich erreichen. Dann werden sofort diese Meldungen in das Warnzentrum gegeben. Man vergleicht das dann mit den Radarbildern, da sieht man nämlich nur die Wolke und die Niederschlagsteilchen, die in der Wolke sich eventuell dann schon anfangen zu drehen. Dann kann man diese Wolkenbewegung verlagern und hat dann eine Vorwarnzeit – Sie sagten es schon – von 15 Minuten. Das ist auch das Ziel, das sich der amerikanische Wetterdienst setzt. Dass man genau diese 15 Minuten der Bevölkerung noch geben kann. Mehr ist aus wissenschaftlichen Gründen nicht möglich. Das heißt, das System ist so schnell in der Entwicklung und so kleinräumig. Es gibt keine Chance, mit irgendwelchen wissenschaftlichen Methoden mehr als 15 Minuten zu warnen. Oder Sie müssen morgens sagen, ganz Oklahoma soll bitte bis Abends in den Keller gehen, aber das ist nicht realistisch.

    Kapern: Ist das auch der Grund, warum Tornados überhaupt keinen Namen bekommen von den Meteorologen, weil sie so kurzlebig sind?

    Friedrich: Ja, wahrscheinlich. Erstens gibt es sehr viele in den USA, pro Jahr etwa tausend Tornados. Hier in Deutschland sind es 20 bis 60. Das sind wirklich so kleinräumige Ereignisse, da macht es keinen Sinn und es wäre eigentlich auch nicht angebracht, dann jedem dieser Tornados mit einem Namen zu verbinden. Die Namen stehen ja eigentlich immer für die Orte. Man spricht dann von dem Tornado Oklahoma oder in Moore. Das heißt, diese Tornados werden eigentlich immer mit dem Ort dann in Verbindung gebracht, wo sie aufgetreten sind.

    Kapern: Es wird nicht lange dauern, Herr Friedrich, dass nach diesem jüngsten gigantischen Tornado wieder einmal der Klimawandel als Argument angeführt wird. Hat der Klimawandel, der einsetzende Klimawandel, Auswirkungen auf Zahl und Stärke dieser Tornados?

    Friedrich: Bisher noch nicht. Man untersucht das weltweit, natürlich vor allem mit Schwerpunkt in den USA. Dort hat man Beobachtungen und auch eine sehr hohe Sicherheit, dass man ungefähr weiß, wie viele Tornados da pro Jahr auftreten. Und man stellt fest in den letzten 30, 40 Jahren, dass die Tornadozahlen zwar schwanken – das hängt immer mit den Wetterlagen zusammen -, aber dass es keine stetige Zunahme gibt. Ähnliches gilt für Deutschland. Nur in Deutschland gab es in den letzten 30 Jahren einen Beobachtungseffekt. Das heißt, man hat heute durch Handys, durch Alarmsysteme, durch Sturmjäger, die auch in Deutschland mehr und mehr durch die Landschaft fahren im Sommer und uns diese Tornados melden, haben hier in Deutschland einen Nachholeffekt. Das heißt, wir kriegen jetzt mehr Tornados mit, die wir vor 30 Jahren überhaupt noch nicht beim Wetterdienst registriert hatten. Aber es ist noch keine meteorologische Steigerung feststellbar weltweit. Die Klimamodelle, die ja berechnen, was passiert in den nächsten 30, 50 Jahren, die versuchen ja auch so regionales Wetter und extremes Wetter abzuleiten aus diesen Simulationen. Danach kommt heraus, dass wir nicht unbedingt mit mehr Tornados rechnen müssen, aber wenn sie mal im Sommer dann auftreten, können sie durchaus heftiger werden. Das ist so etwa der Trend, den man aus dem Klimawandel ziehen kann. Wir müssen in den nächsten Jahrzehnten eher mit heftigeren, aber nicht mit häufigeren Tornados rechnen.

    Kapern: Sie sagten eben, 20 bis 60 Tornados gibt es in Deutschland. Und wir erkennen immer mehr davon, weil wir immer genauer hinschauen. Aber die Tatsache, dass sie offenbar keine größeren Schäden anrichten, die wir uns nachträglich anschauen können, kann die mich beruhigen?

    Friedrich: Na ja, ich kann Sie beruhigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man als Mensch, als Betroffener jemals einen Tornado sieht und damit auch konfrontiert wird, wirklich sehr gering ist. Das sind sicherlich ganz geringe Zahlen. Wenn Sie sich mal eine typische Zahl von 30 Tornados in Deutschland nehmen und Sie nehmen die Fläche von Deutschland, können Sie sich ausrechnen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist. Aber wenn alles Negative zusammenkommt, dann ist es auch in Deutschland eine tödliche Gefahr. Und deshalb sollte man wissen, dass man sich beim Tornado in gewisser Weise verhalten muss, um sich vor so einem Ereignis dann zu schützen und sein Menschenleben zu retten.

    Kapern: Wie denn?

    Friedrich: Anders als zum Beispiel beim Gewitter. Das wissen ja viele in der Bevölkerung. Da geht man ins Auto, da ist man sicher vorm Blitz oder im Haus. Hinter der Glasscheibe ist man auch sicher. Beim Tornado kann beides eine tödliche Entscheidung sein. Ein Auto – Sie haben gestern Bilder gesehen aus Oklahoma – kann zur tödlichen Falle werden, das wird vom Tornado mal locker in die Höhe gewirbelt oder wird von Trümmerteilen getroffen. Trümmerteile sind auch das Stichwort fürs Haus. Hier ist man nämlich nicht in der Garage sicher oder hinter der Glastür oder der Scheibe. Man muss entweder ausweichen. Wenn man ein Auto hat, kann man oftmals noch nach links oder rechts ausweichen. Das schafft man meistens, dann steht man neben dem Tornado und nur 500 Meter entfernt passiert einem eigentlich gar nichts. Oder, wenn man in einem Haus ist oder eines erreichen kann, sollte man dort möglichst in den Keller gehen, wo keine Öffnungen sind, keine Türen und Fenster. Dort ist man am sichersten aufgehoben und dort übersteht man dann auch einen starken Tornado meistens unbeschadet.

    Kapern: Herr Friedrich, jetzt müssen Sie uns noch verraten, wo in Deutschland die Tornado Alley liegt.

    Friedrich: Ja, die Frage wird immer wieder gestellt. Es gibt auch unter uns Kollegen und Tornado-Forschern oder Tornado-Experten in Deutschland so eine kleine Tornado Alley, die man so ein bisschen herauskristallisieren möchte, über dem Nordwesten Deutschlands. Ich sage mal von der Nordseeküste, Schleswig-Holstein, Niedersachsen. Aber ich würde es nicht als Tornado Alley bezeichnen. Da sind vielleicht die meisten beobachtet worden. Das hat vielleicht auch ein bisschen mit der Beobachtungssituation zu tun, da ist der Horizont relativ frei, dort hat man gute Chancen, den Tornado zu entdecken, wenn einer auftritt. In Bayern, in bewaldeten Gebieten, da werden Sie oftmals den Tornado gar nicht sehen, wenn er hinterm nächsten Hügel ist. Meine Aussage als Tornado-Beauftragter ist: In Deutschland gibt es keine Alley und keine Region, wo man viel mehr Tornados erwarten kann. Tornados können in Deutschland, wenn auch selten, überall auftreten. Da gibt es keine bestimmte Region.

    Kapern: Andreas Friedrich, der Tornado-Experte des Deutschen Wetterdienstes. Herr Friedrich, danke für Ihre Einschätzungen und Informationen. Schönen Tag noch – tschüss!

    Friedrich: Ja, auch an Sie. Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.