Stefan Heinlein: Den Gastgeber des gestrigen Treffens, den Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz, begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen.
Martin Schulz: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Schulz, Tony Blair, ein Wolf im Haus Europa oder Kreide gefressen? Können Sie diese Frage unserer Korrespondentin beantworten?
Schulz: Ich glaube, heute Morgen werden wir weder einen Wolf noch einen hören, der Kreide gefressen hat. Ich glaube, Tony Blair wird ziemlich nüchtern sein Programm für die britische Präsidentschaft vorstellen. Da wird es ganz viele Punkte geben, unter denen die finanzielle Vorausschau, also die mittelfristige Finanzplanung, nur einer ist, aber sicherlich die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, das ist ganz klar. Ich hatte gestern Abend spät noch die Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren und ich gehe einmal davon aus, dass das heute Morgen eine sehr gespannte Atmosphäre sein wird, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch zu einer sehr sachorientierten Debatte kommt.
Heinlein: Was hat Ihnen denn Tony Blair gestern noch am Telefon verraten?
Schulz: Er hat ziemlich klar angekündigt, dass er heute Morgen keinen Jota Abstrich machen will von seinen Prioritäten, dass er Reformen in der europäischen Finanzstruktur will und dass er sie auch thematisieren will. Aber das ist ja nichts Neues. Ich habe ihm dann geantwortet, dass ich es nicht sinnvoll finde, dass er seine Programmatik in den Boulevardblättern Europas, ja nicht nur in Deutschland sondern insgesamt in Europa, veröffentlicht, bevor er damit ins Parlament kommt. Er soll vielleicht auch einmal erläutern, warum er das macht.
Heinlein: Wie hat Tony Blair auf diese Kritik reagiert?
Schulz: So wie er immer auf Kritik reagiert, er hat sie sich freundlich angehört. Ich gehe davon aus, dass er mir heute Morgen Antwort gibt, das ist auch nicht üblich, dass ein Ratspräsident einem Fraktionsvorsitzenden, selbst wenn man der gemeinsamen politischen Familie angehört, vorab mitteilt, was er dann auf die Kritik, die ich ihm vorab mitgeteilt habe, heute dem gesamten Parlament sagen will. Er war sehr freundlich, hat gesagt, ja, er findet das interessant und gucken wir mal heute Morgen.
Heinlein: Herr Schulz, Tony Blair, da sind sich alle einig, ist in der Vergangenheit noch nie als besonders überzeugter Europäer aufgefallen. Das britische Hemd ist ihm stets näher als die europäische Hose. Warum sollte sich dies im kommenden Halbjahr ändern?
Schulz: Weil er einen andere Rolle wahrzunehmen hat. Der Vorsitzende des Europäischen Rates hat in den sechs Monaten, in denen er das Amt ausübt, eine Vermittlerrolle. Schauen Sie einmal, was Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident, in dieser Funktion in den letzten sechs Monaten geleistet hat, vor allen Dingen am vergangenen Wochenende geleistet hat. Daran, glaube ich, kann man sehen, worin die Aufgabe des Ratsvorsitzenden besteht, eben nicht nur ausschließlich die Interessen seines Landes zu vertreten, sondern das Wohl der Gemeinschaft im Auge zu haben. Ich finde, wir werden Tony Blair, das habe ich ihm gestern Abend gesagt, das werde ich ihm auch heute Morgen noch mal sagen, die Glaubwürdigkeit des eigenen Forderns misst sich immer auch an der Bereitschaft, auch selbst etwas zuzugeben. Zur Zeit sehen wir aber nur, dass gefordert wird und nichts zugegeben wird.
Heinlein: Ist das reiner Zweckoptimismus oder glauben Sie wirklich daran, dass Tony Blair jetzt mit der Übernahme des Amtes seine Haltung etwa zum Britenrabatt aufgeben wird?
Schulz: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass der Ratsvorsitzende Tony Blair einen Kompromiss schließen will, denn er will ja auch einen Erfolg seiner Ratspräsidentschaft. Ich glaube nicht, dass Tony Blair am Ende der sechs Monate eine Bilanz ziehen will, die lautet, wir sind mit nichts vorangekommen. Alle seine Ziele, die er da formuliert, die wird er nur erreichen, wenn die Finanzstruktur der EU steht. Damit sie steht, braucht man Kompromisse, also wird er diesen Kompromiss irgendwie suchen müssen. Wenn er das nicht macht, finde ich, dann vergeuden wir sechs Monate Zeit in der EU.
Heinlein: Welche Folgen hätte denn ein solcher monatelanger Stillstand bei der Finanzplanung unter britischer Ratspräsidentschaft?
Schulz: Irgendwann wird es die Finanzplanung geben müssen. Und die Finanzplanung, die einerseits die Reformen, die ja notwendig sind in der erweiterten EU, auch die Finanzierung der Aufgaben in den neuen Ländern, die Reform der Agrarpolitik, die Reform der Strukturpolitik, all das bedarf ja der Umsetzung in einer Finanzplanung von 2007 bis 2013. Wenn die nicht steht bis 2007, dann werden jährliche Haushalte verabschiedet werden müssen, und dann werden all die Ausgaben, die wir hier die so genannten obligatorischen Ausgaben nennen, ohne weitere Diskussion sowieso erst mal geleistet werden müssen. Der Hauptblock der obligatorischen Ausgaben sind die Agrarausgaben. Das heißt, wer da was verändern will, der braucht also im Umkehrschluss die Einigung bei der finanziellen Vorausschau. Da beißt sich die Katze am Ende in den Schwanz. Also glaube ich, dass er selbst ein Interesse daran haben muss und auch wird, zu einer Einigung zu kommen.
Heinlein: Ist, Herr Schulz, dieser grundsätzliche Richtungsstreit, diese Sinnkrise der Europäischen Union, also politische Union oder Freihandelszone, herbeigeredet oder gibt es diesen Grundsatzstreit tatsächlich?
Schulz: Ich neige dazu, den ersten Teil der Frage zu bejahen. Der Maastrichter Vertrag war schon ein sehr hoher Integrationsstandard in Europa, also ein Verzahnen, ein Integrieren der Politik. Der wurde durch Amsterdam fortgeschrieben und der Nizzavertrag, der die jetzige Rechtsgrundalge ist, den hat ja Großbritannien unterschrieben. Hinter den kann auch Großbritannien nicht zurück und der ist viel mehr als eine Freihandelszone. Also ein Stück hin zur politischen Union haben wir uns ja schon entwickelt in den letzten Jahren. Insofern ist das ein künstlicher Streit.
Ich glaube nicht, dass es Tony Blair, selbst wenn er es wollte, gelingen könnte, aus Europa wieder eine Freihandelszone zu machen. Mein Eindruck ist, diese Debatte hat extrem viel mit der Innenpolitik vieler Länder zu tun, auch mit der britischen Innenpolitik. Ich glaube, das ist zur Zeit auf der Insel sehr populär, was Tony Blair da macht. Man darf auch nicht vergessen, es gibt auch einen Konkurrenten von ihm in seiner eigenen Partei, der im Verhältnis zu Tony Blair noch skeptischer gegenüber der EU ist. Dem will er, glaube ich, auch nicht allzu viel Raum lassen.
Heinlein: Herr Schulz, will Tony Blair also ein Europa, das angelsächsischer, britischer wird, mehr Markt und weniger Staat?
Schulz: Wenn er das wollte, dann überschätzt er sich. Man kann Europa nicht gestalten nach dem Modell eines einzigen Landes. Wenn er das will, dann wird er sich überheben. Deshalb glaube ich nicht, dass er das will. Er will vielleicht mehr Einfluss nehmen während seiner Ratspräsidentschaft, die eine oder andere Reform, aber mit Sicherheit wird er Europa nicht nach angelsächsischem Modell gestalten können. Ich glaube, da wird Herr Chirac auch nicht mitmachen.
Heinlein: Eine kurze Frage noch, Herr Schulz. Nicht nur die Finanzplanung ist in Brüssel vorerst gescheitert, auch die Europäische Verfassung liegt auf Eis. Jetzt gibt es immer lautere Stimmen, gerade hier in Deutschland, nach einer europäischen Volksbefragung. Ist das ein Gedanke, für den Sie sich grundsätzlich erwärmen können?
Schulz: Grundsätzlich ja. Ich bin nur immer erstaunt, wenn diese Diskussion, die kommt ja jetzt seit zwei Jahren wie das Ungeheuer von Loch Ness hochkommt, dass diejenigen, die sie hochbringen - meistens sind das die Leute, die Verfassungsdebatten führen - übersehen, dass wir kein Bundesstaat sind. Die EU ist kein Bundesstaat, in dem man zur gleichen Zeit eine solche Volksbefragung durchführen könnte, sondern wir sind eine Staatenbund. Ich versuche es praktisch klarzumachen: Nehmen wir mal an, es gäbe diese Volksabstimmung zum gleichen Zeitpunkt, am gleichen Tag und jetzt stimmt einer Mehrheit aller Europäer für die Verfassung, aber die Mehrheit der Franzosen dagegen. Glauben Sie, dass die Franzosen dann sagen würden, ja gut, weil jetzt in allen anderen Ländern die Völker dafür gestimmt haben, übernehmen wir die Verfassung? Da bin ich ziemlich sicher, nach dem Ergebnis der Volksabstimmung in Frankreich würden die das nicht akzeptieren. Also, solange wir ein Staatenbund souveräner Staaten sind, wo jeder einzelne Staat entscheidet, werden sie ein europaweites Referendum maximal als konsultatives Referendum machen können, also als Empfehlungsbeschluss und dann werden sie genau das erleben, was ich gerade beschrieben habe: da sagt eine Mehrheit vielleicht Ja, aber wenn in einem bestimmten einzelnen Fall eine Mehrheit Nein sagt oder umgekehrt, dann wird das dort nicht verbindlich werden nur weil woanders alle anderen anders abgestimmt haben. Das ist ziemlich illusorisch, finde ich, und insofern kann man das als theoretische Übung akzeptieren, aber praktisch wird das wohl kaum etwas werden.
Martin Schulz: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Schulz, Tony Blair, ein Wolf im Haus Europa oder Kreide gefressen? Können Sie diese Frage unserer Korrespondentin beantworten?
Schulz: Ich glaube, heute Morgen werden wir weder einen Wolf noch einen hören, der Kreide gefressen hat. Ich glaube, Tony Blair wird ziemlich nüchtern sein Programm für die britische Präsidentschaft vorstellen. Da wird es ganz viele Punkte geben, unter denen die finanzielle Vorausschau, also die mittelfristige Finanzplanung, nur einer ist, aber sicherlich die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, das ist ganz klar. Ich hatte gestern Abend spät noch die Gelegenheit, mit ihm zu telefonieren und ich gehe einmal davon aus, dass das heute Morgen eine sehr gespannte Atmosphäre sein wird, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch zu einer sehr sachorientierten Debatte kommt.
Heinlein: Was hat Ihnen denn Tony Blair gestern noch am Telefon verraten?
Schulz: Er hat ziemlich klar angekündigt, dass er heute Morgen keinen Jota Abstrich machen will von seinen Prioritäten, dass er Reformen in der europäischen Finanzstruktur will und dass er sie auch thematisieren will. Aber das ist ja nichts Neues. Ich habe ihm dann geantwortet, dass ich es nicht sinnvoll finde, dass er seine Programmatik in den Boulevardblättern Europas, ja nicht nur in Deutschland sondern insgesamt in Europa, veröffentlicht, bevor er damit ins Parlament kommt. Er soll vielleicht auch einmal erläutern, warum er das macht.
Heinlein: Wie hat Tony Blair auf diese Kritik reagiert?
Schulz: So wie er immer auf Kritik reagiert, er hat sie sich freundlich angehört. Ich gehe davon aus, dass er mir heute Morgen Antwort gibt, das ist auch nicht üblich, dass ein Ratspräsident einem Fraktionsvorsitzenden, selbst wenn man der gemeinsamen politischen Familie angehört, vorab mitteilt, was er dann auf die Kritik, die ich ihm vorab mitgeteilt habe, heute dem gesamten Parlament sagen will. Er war sehr freundlich, hat gesagt, ja, er findet das interessant und gucken wir mal heute Morgen.
Heinlein: Herr Schulz, Tony Blair, da sind sich alle einig, ist in der Vergangenheit noch nie als besonders überzeugter Europäer aufgefallen. Das britische Hemd ist ihm stets näher als die europäische Hose. Warum sollte sich dies im kommenden Halbjahr ändern?
Schulz: Weil er einen andere Rolle wahrzunehmen hat. Der Vorsitzende des Europäischen Rates hat in den sechs Monaten, in denen er das Amt ausübt, eine Vermittlerrolle. Schauen Sie einmal, was Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident, in dieser Funktion in den letzten sechs Monaten geleistet hat, vor allen Dingen am vergangenen Wochenende geleistet hat. Daran, glaube ich, kann man sehen, worin die Aufgabe des Ratsvorsitzenden besteht, eben nicht nur ausschließlich die Interessen seines Landes zu vertreten, sondern das Wohl der Gemeinschaft im Auge zu haben. Ich finde, wir werden Tony Blair, das habe ich ihm gestern Abend gesagt, das werde ich ihm auch heute Morgen noch mal sagen, die Glaubwürdigkeit des eigenen Forderns misst sich immer auch an der Bereitschaft, auch selbst etwas zuzugeben. Zur Zeit sehen wir aber nur, dass gefordert wird und nichts zugegeben wird.
Heinlein: Ist das reiner Zweckoptimismus oder glauben Sie wirklich daran, dass Tony Blair jetzt mit der Übernahme des Amtes seine Haltung etwa zum Britenrabatt aufgeben wird?
Schulz: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass der Ratsvorsitzende Tony Blair einen Kompromiss schließen will, denn er will ja auch einen Erfolg seiner Ratspräsidentschaft. Ich glaube nicht, dass Tony Blair am Ende der sechs Monate eine Bilanz ziehen will, die lautet, wir sind mit nichts vorangekommen. Alle seine Ziele, die er da formuliert, die wird er nur erreichen, wenn die Finanzstruktur der EU steht. Damit sie steht, braucht man Kompromisse, also wird er diesen Kompromiss irgendwie suchen müssen. Wenn er das nicht macht, finde ich, dann vergeuden wir sechs Monate Zeit in der EU.
Heinlein: Welche Folgen hätte denn ein solcher monatelanger Stillstand bei der Finanzplanung unter britischer Ratspräsidentschaft?
Schulz: Irgendwann wird es die Finanzplanung geben müssen. Und die Finanzplanung, die einerseits die Reformen, die ja notwendig sind in der erweiterten EU, auch die Finanzierung der Aufgaben in den neuen Ländern, die Reform der Agrarpolitik, die Reform der Strukturpolitik, all das bedarf ja der Umsetzung in einer Finanzplanung von 2007 bis 2013. Wenn die nicht steht bis 2007, dann werden jährliche Haushalte verabschiedet werden müssen, und dann werden all die Ausgaben, die wir hier die so genannten obligatorischen Ausgaben nennen, ohne weitere Diskussion sowieso erst mal geleistet werden müssen. Der Hauptblock der obligatorischen Ausgaben sind die Agrarausgaben. Das heißt, wer da was verändern will, der braucht also im Umkehrschluss die Einigung bei der finanziellen Vorausschau. Da beißt sich die Katze am Ende in den Schwanz. Also glaube ich, dass er selbst ein Interesse daran haben muss und auch wird, zu einer Einigung zu kommen.
Heinlein: Ist, Herr Schulz, dieser grundsätzliche Richtungsstreit, diese Sinnkrise der Europäischen Union, also politische Union oder Freihandelszone, herbeigeredet oder gibt es diesen Grundsatzstreit tatsächlich?
Schulz: Ich neige dazu, den ersten Teil der Frage zu bejahen. Der Maastrichter Vertrag war schon ein sehr hoher Integrationsstandard in Europa, also ein Verzahnen, ein Integrieren der Politik. Der wurde durch Amsterdam fortgeschrieben und der Nizzavertrag, der die jetzige Rechtsgrundalge ist, den hat ja Großbritannien unterschrieben. Hinter den kann auch Großbritannien nicht zurück und der ist viel mehr als eine Freihandelszone. Also ein Stück hin zur politischen Union haben wir uns ja schon entwickelt in den letzten Jahren. Insofern ist das ein künstlicher Streit.
Ich glaube nicht, dass es Tony Blair, selbst wenn er es wollte, gelingen könnte, aus Europa wieder eine Freihandelszone zu machen. Mein Eindruck ist, diese Debatte hat extrem viel mit der Innenpolitik vieler Länder zu tun, auch mit der britischen Innenpolitik. Ich glaube, das ist zur Zeit auf der Insel sehr populär, was Tony Blair da macht. Man darf auch nicht vergessen, es gibt auch einen Konkurrenten von ihm in seiner eigenen Partei, der im Verhältnis zu Tony Blair noch skeptischer gegenüber der EU ist. Dem will er, glaube ich, auch nicht allzu viel Raum lassen.
Heinlein: Herr Schulz, will Tony Blair also ein Europa, das angelsächsischer, britischer wird, mehr Markt und weniger Staat?
Schulz: Wenn er das wollte, dann überschätzt er sich. Man kann Europa nicht gestalten nach dem Modell eines einzigen Landes. Wenn er das will, dann wird er sich überheben. Deshalb glaube ich nicht, dass er das will. Er will vielleicht mehr Einfluss nehmen während seiner Ratspräsidentschaft, die eine oder andere Reform, aber mit Sicherheit wird er Europa nicht nach angelsächsischem Modell gestalten können. Ich glaube, da wird Herr Chirac auch nicht mitmachen.
Heinlein: Eine kurze Frage noch, Herr Schulz. Nicht nur die Finanzplanung ist in Brüssel vorerst gescheitert, auch die Europäische Verfassung liegt auf Eis. Jetzt gibt es immer lautere Stimmen, gerade hier in Deutschland, nach einer europäischen Volksbefragung. Ist das ein Gedanke, für den Sie sich grundsätzlich erwärmen können?
Schulz: Grundsätzlich ja. Ich bin nur immer erstaunt, wenn diese Diskussion, die kommt ja jetzt seit zwei Jahren wie das Ungeheuer von Loch Ness hochkommt, dass diejenigen, die sie hochbringen - meistens sind das die Leute, die Verfassungsdebatten führen - übersehen, dass wir kein Bundesstaat sind. Die EU ist kein Bundesstaat, in dem man zur gleichen Zeit eine solche Volksbefragung durchführen könnte, sondern wir sind eine Staatenbund. Ich versuche es praktisch klarzumachen: Nehmen wir mal an, es gäbe diese Volksabstimmung zum gleichen Zeitpunkt, am gleichen Tag und jetzt stimmt einer Mehrheit aller Europäer für die Verfassung, aber die Mehrheit der Franzosen dagegen. Glauben Sie, dass die Franzosen dann sagen würden, ja gut, weil jetzt in allen anderen Ländern die Völker dafür gestimmt haben, übernehmen wir die Verfassung? Da bin ich ziemlich sicher, nach dem Ergebnis der Volksabstimmung in Frankreich würden die das nicht akzeptieren. Also, solange wir ein Staatenbund souveräner Staaten sind, wo jeder einzelne Staat entscheidet, werden sie ein europaweites Referendum maximal als konsultatives Referendum machen können, also als Empfehlungsbeschluss und dann werden sie genau das erleben, was ich gerade beschrieben habe: da sagt eine Mehrheit vielleicht Ja, aber wenn in einem bestimmten einzelnen Fall eine Mehrheit Nein sagt oder umgekehrt, dann wird das dort nicht verbindlich werden nur weil woanders alle anderen anders abgestimmt haben. Das ist ziemlich illusorisch, finde ich, und insofern kann man das als theoretische Übung akzeptieren, aber praktisch wird das wohl kaum etwas werden.