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Erboste Massen

Der Wind des Wandels weht nun auch durch Kirgisien. In der ehemaligen Sowjetrepublik haben Wahlfälschungen die Opposition auf dem Land mobilisiert. Osteuropa-Expertin Eva Maria Auch befürchtet, dass die Situation im armen Kirgisien "explodiert".

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Durch die ehemaligen Republiken der Sowjetunion scheint der Wind des Wandels zu wehen. Erst die friedliche Wende in Georgien, dann kam die Revolution in Orange und jetzt scheint auch das bitterarme Kirgisien im fernen Zentralasien von dieser positiven Entwicklung erfasst zu werden. Auch dort haben Wahlfälschungen Widerstand hervorgerufen, aber manches ist doch anders in dem Land an der Grenze zu China. Die Opposition findet nämlich zum Beispiel auf dem Land statt und nicht in der Hauptstadt und es gibt Gewalt. Es werden Brände gelegt, es gibt Plünderungen, der Flughafen im Süden Osch ist besetzt worden von der Opposition. Am Telefon begrüße ich nun Eva-Maria Auch, sie ist Osteuropaexpertin an der Universität Bonn. Guten Morgen, Frau Auch.

    Eva-Maria Auch: Guten Morgen.

    Friedbert Meurer: Die Revolution in Kirgisien hat die Farbe Gelb gewählt. Wie sehr passt denn der Vergleich zur Ukraine zum Beispiel?

    Eva-Maria Auch: Ich glaube, der Vergleich äußert sich schon darin, dass man gegenwärtig noch rätselt, ob es sich um eine Tulpenrevolution handelt oder ob wir es vielleicht mit einem Aufstand zu tun haben, der mit Tränengas bekämpft wird. In den russischen Medien wird zum Beispiel schon von einer Tränengasrevolution gesprochen und das zeigt doch, dass hier die Gefahren einer Explosion doch vorhanden sind und dass es hier ja bereits auch Übergriffe gegeben hat. Wir haben zwar keine genauen Zahlen über Tote und Verletzte, die Opposition hat Zahlen genannt zwischen zehn und 30 Verletzten, Schwerverletzen, Totenzahlen wurden dann wieder revidiert. Aber das zeigt doch, dass es hier schon eine wirklich große Gefahr gibt, dass die ganze Sache explodiert, auch aufgrund der anderen sozialen Verhältnisse im Land.

    Friedbert Meurer: Geht die Gewalt auch von der Opposition aus?

    Eva-Maria Auch: Eigentlich war der Auslöser die Rückeroberung von Verwaltungsgebäuden in Osch und Dschalalabad, das heißt, in der Nacht von Freitag zum Sonnabend gab es zunächst eine doch relativ friedlich verlaufende Besetzung durch Demonstrierende in diesen Orten und dann durch Einsatz von Kräften des Innenministeriums wurden diese Verwaltungsgebäude wieder zurückerobert und dort eben auch Gewalt eingesetzt. Das war unter anderem auch ein Hintergrund für die Absetzung des Generalstaatsanwaltes und des Ministers des Inneren am Mittwoch.

    Friedbert Meurer: Höre ich da richtig heraus, dass Sie die Einschätzung nicht ganz teilen, die also zum Beispiel in russischen Medien verbreitet werden, - die Opposition in Kirgisien fühlt sich da ja auch ungerecht behandelt -, dass die Opposition selbst also eher doch friedlich ist?

    Eva-Maria Auch: Die Opposition ist friedlich, aber man muss eben davon ausgehen, dass man unter den Bedingungen speziell im Süden des Landes, - die Situation ist ja folgendermaßen: Sie müssen sich vorstellen, circa fünf Millionen Menschen, davon lebt die Hälfte ungefähr eben im Süden des Landes getrennt durch Gebirge, auch in der Nähe des und im Ferganatal -, dass hier auch eine Explosionskraft vorhanden ist durch eben Massen. Diese Massen, die auch sehr erbost sind durch die Verschlechterung auch der sozialen Bedingungen, auch über das autoritäre Regime, dass hier eben auch eine Massenbewegung in Gang gesetzt worden ist, die nicht immer steuerbar und kontrollierbar ist.

    Friedbert Meurer: Über wie viel Legitimation verfügt Ihrer Ansicht nach, Frau Auch, die Opposition in Kirgisien?

    Eva-Maria Auch: Es gibt ja seit vielen Jahren doch so etwas wie eine Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft im Zusammenhang, dass eben Parteien entstanden sind und dass sich hier auch einzelne Politiker in den Reihen der Opposition profiliert haben. Wobei natürlich der Vergleich Parteien und Entwicklungen einer Bürgergesellschaft durchaus eben Unterschiede aufweist im Vergleich zur Ukraine zum Beispiel oder auch zu Georgien, - wir schweigen ganz und gar von den Verhältnissen natürlich in Westeuropa -, hier natürlich Einzelpersonen eine viel größere Rolle spielen, die auch natürlich dann in Gefolgschaftsprinzipien organisiert sind, die Parteien. Dadurch ist natürlich auch die Parteienlandschaft sehr, sehr zersplittert, aber eine Legitimation, dass man also wirklich arbeitet und versucht die Interessen auch von Bevölkerungskreisen zu äußern, dass man wirklich Parteiarbeit leistet auch im Parlament, diese Entwicklungen haben wir in den letzten Jahren eigentlich gerade in Kirgistan beobachten können.

    Friedbert Meurer: Bei der Revolution in der Ukraine war hier etwas der Tenor angeklungen, die Hauptstadt in der Ukraine ist fortschrittlich, für Demokratie, auf dem Land dagegen ist man noch ein bisschen rückwärtsgewandt. Jetzt geht die Bewegung in Kirgisien vom Land aus. Wie muss man das einschätzen?

    Eva-Maria Auch: Ich hatte das vorhin schon versucht deutlich zu machen, wenn wir von Osch oder Dschalalabad sprechen, sprechen wir von, - Osch ist die zweitgrößte Stadt Kirgistans -, es ist nicht, dass jetzt aus einzelnen Dörfern die Leute in die Hauptstadt ziehen, die immerhin 500 Kilometer entfernt liegt von diesen Zentren. Es handelt sich wirklich um ein zweites Zentrum innerhalb Kirgistans. Wenn sie auf die Karte schauen, Bischkek liegt ja im äußersten Norden und die Orte, die hier Zentrum sind, befinden sich im Süden und sind eigentlich auch ein kulturelles, historisches Zentrum. Es ist nicht so, dass hier nur Bauern losgezogen sind, sondern es handelt sich hier auch um ein wichtiges Zentrum, wo auch der Islam zum Beispiel deutlich größeren Einfluss hat und auch die Ereignisse überhaupt im Ferganatal, die ganze Bevölkerung in der Region äußerst sensibilisiert haben.

    Friedbert Meurer: Sie waren letztes Jahr In Kirgisien, waren Sie auch im Süden?

    Eva-Maria Auch: Es ist nicht immer ganz leicht, in den Süden zu kommen. Ich war kurz im Süden auch, in Osch, aber habe leider nicht genug Zeit gehabt, mich dort auch zu unterhalten und mich mit der Opposition zu treffen.

    Friedbert Meurer: Kirgisien ist ein bitterarmes Land heißt es, 500 Dollar Jahreseinkommen pro Kopf. Was waren Ihre Eindrücke?

    Eva-Maria Auch: Ein großer Gegensatz auch. Wir haben durchaus in den Städten so etwas, wo man sagt, hier ist Europa angekommen. Durchaus auch solche Züge, aber doch eine Armut, wo es tatsächlich ums tägliche Überleben auch geht. Das ist also doch sehr deutlich zu spüren, dass die Menschen wirklich sehr stark beschäftigt sind mit den Fragen des täglichen Überlebens. Andererseits, ich war auch im Zusammenhang mit Umweltfragen dort, eine wunderschöne Landschaft, ein Beginn der touristischen Erschließung der Region und wunderbare Menschen. Es ist das Land von Dschingis Aitmatov, das darf man also auch nicht vergessen, dieser Aspekt hat ...

    Friedbert Meurer: Bitte helfen Sie uns kurz. Wer ist Dschingis Aitmatov?

    Eva-Maria Auch: Ein ganz bekannter Schriftsteller.

    Friedbert Meurer: Wir brauchen manchmal etwas Nachhilfe hier.

    Eva-Maria Auch: Unter anderem eben auch zeitweilig UNO-Botschafter und er ist ja auch gerade in Deutschland eigentlich sehr bekannt und aktiv gewesen.

    Friedbert Meurer: Also, Kirgisien ist nicht ein rückständiges Land?

    Eva-Maria Auch: Nein, ich würde das also nicht so sehen. Es wird oft immer der Vergleich so gezogen, zum Beispiel Diplomaten, mit denen man sich so gerade in den 90er Jahren unterhalten hat, die haben gesagt, ach ja, ich war ja in Afrika und habe so viel Erfahrung mit diesen Entwicklungsländern, die dann ganz erstaunt waren, dass man in Ländern wie Kirgistan oder auch in den kaukasischen Staaten, Aserbaidschan wird ja oft so als mittelasiatisches Land bezeichnet, dann überrascht waren, dass wir dort eben auch eine breite Intelligenzschicht haben, die durchaus auch in der Lage ist, Opposition zu führen.

    Friedbert Meurer: Die Osteuropaexpertin von der Universität Bonn Eva-Maria Auch bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk zur Situation in Kirgisien.