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Erbschaftsteuer-Streit
Walter-Borjans (SPD): "Nichts als vorauseilender Wahlkampf"

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans macht die CSU dafür verantwortlich, dass sich die Große Koalition bisher nicht auf eine Reform der Erbschaftsteuer geeinigt hat. Die Partei betreibe Klientelpolitik, sagte der SPD-Politiker im DLF.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 04.06.2016
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) auf einer Pressekonferenz.
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). (dpa-Bildfunk / Monika Skolimowska)
    Wenn die CSU so weitermache, müsse der Wähler über das Thema abstimmen, sagte Walter-Borjans im Deutschlandfunk. Wer Millionen in zweistelliger Höhe erbe, habe Vorteile im Leben und sollte sich an der Finanzierung des Gemeinwesen beteiligen. Es gehe um das Austarieren der richtigen Mitte, betonte der SPD-Politiker. Derzeit versuche aber eine Lobby mit aller Härte, jegliche Beteiligung an der Erbschaftsteuer auszuschließen. Als SPD müsse man dann die Frage stellen, wie weit man da mitgehen dürfe.
    Die große Koalition ringt seit über einem Jahr um eine Neuregelung der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil die Privilegien für Betriebserben weitgehend gekippt und verlangt bis Ende Juni eine Neuregelung. Ein Treffen zwischen SPD-Chef Sigmar Gabriel, dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble brachte gestern keine Lösung.
    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Eigentlich ist es paradox: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Erbschaftssteuer beziehungsweise die Ausnahmen da sind nicht rechtens, so wie sie im Moment sind. Dann hat man sich politisch geeinigt, ein Kompromiss, wie das häufig so ist. Und, was passiert? Die CSU schießt mal wieder, kann man sagen, dagegen. Auch gestern wurde ein letzter Einigungsversuch unternommen, und es war kein letzter, es war möglicherweise der vorletzte. So richtig durchblicken tut kaum noch einer, und dann heißt es immer, alles sei so furchtbar kompliziert. Jetzt wollen wir mit einem reden, der uns diese Antwort hoffentlich nicht gibt. Ich begrüße Norbert Walter-Borjans, den Finanzminister aus NRW. Guten Morgen, Herr Walter-Borjans!
    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Zunächst einmal, können Sie mir sagen, warum hakt es eigentlich immer noch, obwohl Sie sich längst geeinigt hatten?
    Walter-Borjans: Es hakt daran, dass hier ganz offenbar eine ganz bestimmte Klientel der CSU bedient werden soll, dass man damit deutlich machen will, wir machen noch ein Stück mehr für euch, wir befreien euch ganz von der Erbschaftssteuer, und das ist nichts anderes als vorauseilender Wahlkampf.
    "Die Ausnahme ist zur Regel geworden"
    Zurheide: Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, genau diese Ausnahmen für Unternehmen, die sehr weitreichend waren, das war der Grund, warum die Verfassungsrichter gesagt haben, damit ist die Gleichheit nicht mehr gewahrt. Sie haben einen Kompromiss geschlossen. Warum lässt sich die SPD dann überhaupt auf solche Gespräche ein, zumal man ja fürchten muss, dass die Verfassungsrichter genau da in diese Lücke wieder reingehen, wenn man wieder zu weitreichende Ausnahmen macht?
    Walter-Borjans: Weil man natürlich am Ende Lösungen nur hinbekommt, wenn man Mehrheiten dafür gewinnt. Und insofern ist es ja richtig in einer Demokratie, dass man miteinander ringt. Aber wir müssen wirklich noch mal zugrunde legen, worum geht es eigentlich? Wer Zig-Millionen erbt, der hat Vorteile im Leben, und die Gesellschaft, die Allgemeinheit hat durchaus einen Anspruch, dass sich jemand mit einem so großen Erbe – wir reden also nicht von kleinen Handwerksbetrieben, sondern von zweistelligen Millionenbeträgen, dass sich jemand auch an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt. Nun ist das so eine Sache, wenn es sich um Firmen handelt, weil man will ja, dass sie weiter bestehen. Die Arbeitsplätze sollen gesichert werden, die Entwicklung soll weitergehen. Familiengeführte Firmen sind eine wichtige Größe in unserer Wirtschaft. Und deswegen haben wir immer alle gemeinsam gesagt, da muss man Ausnahmen machen.
    Und die Ausnahme ist aber in vielen Gestaltungen zur Regel geworden, und das hat das Verfassungsgericht moniert. Und jetzt geht es eben darum, auszutarieren, wo ist die richtige Mitte. Und das, was wir jetzt erleben, ist, dass eine wirklich für mich jedenfalls bisher in dieser Härte einer Lobby versucht, jegliche Beteiligung an der Erbschaftssteuer auszuschließen. Und da muss man dann wirklich als SPD auch die Frage stellen, wie weit darf man da mitgehen, und wo muss man sagen, jetzt ist wirklich eine Grenze erreicht, die geht wieder in die Verfassungswidrigkeit.
    Zurheide: Stellen Sie nicht die Frage, geben Sie uns die Antwort, bitte.
    Walter-Borjans: Ja. Ich glaube, dass wir jetzt an einem Punkt sind, dass das, was der Bundesrat vorgeschlagen hat und was dann noch mal die Bundestagsfraktionen an Kompromiss ausgehandelt haben, das Allerletzte ist. Wenn jetzt die CSU weitergeht, ist man an einem Punkt, wo ich persönlich vorschlagen würde, dann müssen wir es sein lassen, und dann müssen wir wirklich dann mit einer Wahl im nächsten Jahr die Menschen entscheiden lassen, wie weit sie meinen, dass eine solche Bevorzugung gehen darf.
    Zurheide: Auf der anderen Seite heißt das, dann würde möglicherweise erst mal gar keine Erbschaftssteuer gezahlt für eine Übergangszeit, und dann ist es verfassungswidrig. Dann müssen Sie damit leben, aber das ist dann der Preis, den man zahlen muss?
    Walter-Borjans: Das sieht ja das Verfassungsgericht ganz offenbar anders. Ein Sprecher hat ja schon deutlich gemacht, dass, wenn der Termin in der Mitte des Jahres verstreicht, das Risiko, dass es dann keine Erbschaftssteuer gibt, sehr gering ist, sondern, dass das Verfassungsgericht sagen wird, dann werdet ihr noch mal von uns aufgefordert, eine Lösung zu finden. Aber es gibt dann praktisch eine Fortsetzung des bisherigen Systems. Das ist nicht zufriedenstellend. Wir sollten eine Lösung finden. Aber jede Lösung, egal, wie sie aussieht, die ist auch nicht am Ende das, was das Verfassungsgericht will und was wir als Allgemeinheit, als Gesellschaft insgesamt wollen sollten.
    "Wir müssen eine faire Lösung finden"
    Zurheide: Sie sehen nicht die Gefahr, dass die Verfassungsrichter dann sagen, dann übernehmen wir die Rolle des Gesetzgebers, dann schreiben wir euch das en Detail vor? Also mindestens in unternehmerischen Kreisen scheint es diese Sorge inzwischen zu geben.
    Walter-Borjans: Na ja, ich meine, das ist ja vielleicht auch ein wichtiger Fingerzeig, denn das bisherige Erbschaftssteuergesetz stellt ja ganz offenbar Firmenerben – und ich rede noch mal davon, in Zig-Millionen-Erbschaftshöhe – in einer Weise frei, die das Verfassungsgericht nicht mehr für statthaft hält. Und wenn hier in einer Weise taktisch verzögert werden sollte, dass man sagt, dann kann man ja noch ein bisschen was nutzen – wir können ja nicht nur vererben, wir können ja auch verschenken, da gilt ja das gleiche Recht –, dann kann es sein, dass das Verfassungsgericht sagt, diese Ausnahmen gehen zu weit, die stoppen wir.
    Und deswegen fordere ich auch diejenigen, die meinen, sie könnten den Unternehmen am Ende das Ergebnis zeigen, null Steuer haben wir für euch rausgehandelt, dass man da auch sieht, es gibt eine Gefahr, setzt euch mit an einen Tisch, dass wir eine faire Lösung finden, mit der wir dann auch vor dem Verfassungsgericht bestehen können.
    Zurheide: Ich halte also fest, die SPD geht da offensichtlich nicht jeden Weg mit, den die CSU gehen will. Was wollen Sie überhaupt in der Steuerpolitik? Die CSU ist Ihnen auch wieder voraus und sagt, na ja, wir wollen ja Steuersenkungen demnächst zumindest für mittlere Einkommen. Was will die SPD?
    Walter-Borjans: Ich weiß nicht, ob man voraus ist, wenn man einfach mal so ein paar Sätze in die Welt setzt, wir entlasten die Menschheit. Das klingt schön. Nur, jeder Bürger weiß, dass, wenn man etwas anbietet als Geschenk, dass es auch irgendjemand gibt, der es bezahlen muss. Und das, was jetzt von der CSU in die Welt gesetzt wird, ist eine Steuerentlastung von 30 Milliarden, die nicht irgendwo auf der Straße liegen. Wir müssen uns immer wieder fragen: Wenn es eine gute Wirtschaft gibt, da können wir uns drüber freuen, eine gute Beschäftigung. Wir haben ja nicht eine steigende Steuerlast des Einzelnen, sondern wir haben höhere Gewinne, wir haben höhere Einkommen, wir haben eine höhere Beschäftigung. Das führt dazu, dass der Staat auch mehr einnimmt. Und jetzt kann er sich fragen:
    Wollen wir darauf verzichten, die Straßen zu renovieren, zu sanieren, die Brücken? Wollen wir nicht in die Bildung investieren? Was machen wir mit Investitionen in die Sicherheit? Wollen wir vielleicht nicht auch Kredite mal zurückbezahlen? Und wenn man das doch will, dann muss man sagen, dann muss man sich überlegen, wie man denn gegenfinanziert. Und da habe ich dann den Vorschlag gemacht, und das macht ja auch der Parteivorsitzende der SPD, dass er sagt, wie kann es sein, dass sich Menschen in der Größenordnung von 150 Milliarden, Unternehmen und Einzelpersonen, vorbeimogeln an der Mitfinanzierung, durch Steuerhinterziehung, durch Steuerumgehung? Wenn wir die mal dazu bringen, dass sie sich beteiligen, dann ist alles möglich. Dann können wir nämlich die Investitionen vornehmen, die wir brauchen, um unsere Zukunft zu sichern, und auf der anderen Seite ist dann auch die Entlastung der Mittelschicht – denn das ist die Schicht, die sich am wenigsten vor der Steuer drücken kann, legal oder illegal –, dann ist diese Entlastung, die durchaus nötig und richtig ist, dann ist die auch möglich.
    Zurheide: Also das Konzept der SPD heißt Steuergerechtigkeit, das heißt, diejenigen, die viel zahlen, sich vorbeimogeln, die will man beteiligen, und das Geld kriegen dann die in der Mitte der Gesellschaft. Ist das richtig verstanden?
    Walter-Borjans: Ich finde, wenn wir beim Anfang anfangen und sagen, wir haben Steuergesetze, und wenn alle diese Steuergesetze einhalten, dann gibt es ein Volumen, mit dem wir beides machen können. Wir können die wichtigen Investitionen vornehmen, auf die wir nicht verzichten sollten, denn wir müssen neben Integration auch für Straßen und Wege und Sicherheit und Breitband und all diese Dinge sorgen, damit wir auch in Zukunft vorne sind. Dann können wir das leisten, und wir können eben diesen, ich sage mal diesen Bauch, der sich bei unserem Steuertarif ergibt in einer Größenordnung, in der viele Facharbeiterinnen und Facharbeiter stecken, den können wir durchaus ein ganzes Stück abflachen. Aber nicht nur das eine versprechen und sagen, bei dem anderen können wir dann ein bisschen nachlässig handeln. Wir müssen dann eben auch richtig konsequent vorgehen gegen Steuerbetrug und Steuerumgehung.
    "Man muss auch die Gerechtigkeitsfrage stellen"
    Zurheide: Das ist dann aber eine Absage an Steuererhöhungen. Oder sagen Sie, na ja, es gibt noch Unwuchten im System, wo wir auch aus Gründen der Gerechtigkeit dies und das tun müssen? Wie positionieren Sie sich da?
    Walter-Borjans: Die reine Finanzierungsfrage, die stellt sich nicht im Zusammenhang mit Steuererhöhungen. Ich glaube, dass wenn diejenigen, die ihre Steuern bezahlen müssen, wenn die die bezahlen, dann ist das möglich, was ich eben gesagt habe. Aber natürlich muss man auch die Gerechtigkeitsfrage stellen. Wir haben eine Abgeltungssteuer, die dazu führt für Kapitalerträge, dass die ganz, ganz hohen Einkommen, wirklich im Mehrere-Millionen-Bereich weniger Steuern bezahlen als die Mittelschicht, weil sie über Kapitalerträge nur 25 Prozent steuern zahlen. Das ist nicht gerecht. Da geht es nicht nur um die Frage von Mehreinnahmen. Da geht es darum, dass man für Kapital bitte schön genauso Steuern zahlt wie für Arbeit.
    Zurheide: Die übrigens eingeführt wurde von Peer Steinbrück, Ihrem Parteifreund.
    Walter-Borjans: Ja, aber mit einem guten Grund damals: Weil diejenigen, die dann mit 25 Prozent belegt worden sind, vorher überhaupt nicht bezahlt haben. Weil nämlich die größten Umgehungsmöglichkeiten in genau diesem Bereich bestanden. Nun sind wir aber mittlerweile ein Stück weiter. Wir sind an einem Punkt, dass wir internationale Vereinbarungen haben, dass nicht nur die Arbeitgeber dem Finanzamt sagen, was sie an Löhnen zahlen, sondern dass bitte schön demnächst auch die Banken den Finanzämtern sagen, was sie an Zinsen zahlen. Und dann gibt es keinen Anlass mehr zu sagen, warum Zinszahlungen günstiger versteuert werden soll als Arbeit.
    Zurheide: Das heißt, Sie erklären und heute Morgen, die Steueroasen sind schon ausgetrocknet? Ich meine, ich glaube, Weihnachten ist noch nicht.
    Walter-Borjans: Nein, das sind sie nicht. Wir haben Vereinbarungen, und deswegen sind das alles Schritte, die wir gehen müssen. Aber wir können auf zwei Ebenen gehen. Das eine ist, wir haben Möglichkeiten, und die haben wir schon zu einem erheblichen Teil genutzt, auf der europäischen und internationalen Ebene ein Stück voranzukommen. Da bin ich kein Illusionist. Ich weiß, dass da Länder mit am Tisch sitzen, die von einem schiefen Steuersystem profitieren und das sicher auch nicht abgeben wollen. Und deswegen plädiere ich auch immer wieder sehr stark dafür – und auch da haben wir eine Menge durchgesetzt, dass bitte schön Deutschland auch seine eigenen Möglichkeiten nutzt.
    Und da sind wir ja gerade jetzt dran. Da haben die Finanzminister der Länder gestern in Neuruppin getagt, da hat der Bundesrat sich zu verhalten, da hat auch der Bundesfinanzminister Vorschläge gemacht. Da müssen wir jetzt ran. Wir müssen dafür sorgen, dass Transparenz in dieses Geschäft kommt, weil Transparenz das größte Gift gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung ist.
    Zurheide: Die Veränderungen in der Steuerpolitik, die da kommen sollen. Das war Norbert Walter-Borjans, der Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen. Herr Walter-Borjans, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch. Danke schön und auf Wiederhören!
    Walter-Borjans: Ich mich auch, Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.