Sonntag, 28. April 2024

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Erdbeben in Chile
Die Menschen sterben durch die Häuser

In Chile hat sich wieder ein schweres Erdbeben ereignet. In der am stärksten betroffenen Zone leben zwar drei Millionen Menschen. Bislang wurden aber nur acht Tote registriert. Das liegt auch an den Vorsichtsmaßnahmen, die Chile nach den Erfahrungen mit früheren Beben ergriffen hat. Dagmar Röhrlich erläutert die Hintergründe.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Lennart Pyritz | 17.09.2015
    Menschen halten sich in den Armen.
    Menschen harren während des Bebens in Chile in den Straßen aus. (AFP / Alejandro Ruston)
    Chile - Land der schweren Erdbeben?
    Über 7.000 Kilometer hinweg treffen vor Südamerika die Nasca-Krustenplatte und die Südamerikanischen Krustenplatte aufeinenander - und die Nasca-Platte schiebt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 65 bis 80 Millimeter pro Jahr unter den Kontinent in den Erdmantel hinein. In der Nähe der Hauptstadt Santiago del Chile, wo sich das Beben der vergangenen Nacht ereignet hat, sind es etwa 68 Millimeter pro Jahr. Dieser Prozess wird begleitet von Erdbeben, und deshalb gehört Chile zu den Ländern, in denen sich besonders starke Erdbeben ereignen können - und das eben auch besonders häufig.
    Nur eine ganz kleine Auswahl: 1960 ereignete sich das Valdivia-Erdbeben in Südchile - es ist mit einer Magnitude 9,5 das bislang stärkste instrumentell gemessene Beben überhaupt. 2010 bebte die Erde etwas weiter südlich der heutigen Bruchstelle in der Nähe der Stadt Concepcion mit einer Magnitude von 8,8. Damit liegt dieses Beben liegt auf Platz 5 der - wenn man so will - Erdbeben-Rangfolge.
    Was ist in der vergangenen Nacht passiert?
    Die Erde bebte 55 Kilometer vor der Küste (in Höhe der Kleinstadt Illapel) in einer Tiefe von 25 Kilometern - damit lag der Erdbebenherd also recht flach, und die Magnitude des Hauptbebens lag bei 8,2. Unter den vielen Nachbeben war auch eines mit einer Magnitude von mehr als sieben.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Dieses Beben traf einen Küstenabschnitt, der 1943 zum letzten Mal gebrochen ist - und mit rund 70 Jahren ist er einer der Abschnitte, der vor Chile am längsten ruhig geblieben war. An der Grenze nach Peru gibt es noch einen Abschnitt, der noch länger inaktiv ist - und dort erwarten die Wissenschaftler wieder ein ganz großes Beben.
    Tsunamialarm wurde ausgelöst - ist etwas passiert?
    Eine Million Menschen sind entlang der chilenischen Küste evakuiert worden und auch rund um den Pazifik gab es Alarm, der inzwischen wieder aufgehoben worden ist. Diesmal hat alles funktioniert. Das war 2010 anders. Damals starben 80 Menschen durch den Tsunami, den das 8,8er-Beben ausgelöst hat, weil die Erdbebenwarnung nicht funktioniert hatte. Zwar gehört Chile von Anfang an zu den Mitgliedern des Pazifischen Tsunami-Warnnetzes, das von den Vereinten Nationen eben als Reaktion auf das Valdivia-Beben 1960 gegründet worden ist. Und die Warnung war 2010 auch 15 Minuten nach dem Ereignis da. Aber die chilenische Marine, unter deren Dach das Tsuami-Warnsystem angesiedelt ist, hat sie versehentlich nicht weitergegeben. Die Warnung kam vielerorts dann von Hafenkapitänen, die die Veränderungen im Wasserstand beobachteten. Außerdem war bis 2010 kaum Wert auf das Training der Menschen gelegt worden, sodass viele erst überlegen mussten, was eigentlich zu tun war.
    Hatte das Konsequenzen?
    Auf vielen Ebenen. So wurden vier Verantwortliche angeklagt. Außerdem hat Chile sein Messnetz erweitert, Trainingsprogramme für die Bevölkerung aufgelegt und schließlich die Meldeverfahren geändert und beschleunigt.
    Vor kurzem hat ja in Nepal die Erde gebebt, und auch das schlimme Erdbeben von Haiti aus dem Jahr 2010 ist vielleicht noch vielen Hörern in Erinnerung. Bei diesen Ereignissen starben Tausende oder gar Hunderttausende von Menschen. Für Chile wird so etwas nicht erwartet. Warum?
    Das liegt an den strikten Baunormen, die nach dem Valdivia-Beben 1960 erlassen worden sind. Mit Blick darauf war das Beben von Concepcion 2010 genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen, denn die Normen sollten aufgeweicht werden. Dazu kam es dann nicht.
    Chile geht beim erdbebensicheren Bauen einen Sonderweg. Man setzt nicht auf flexible Bauwerke, die regelrecht auf den Wellen reiten, sondern auf besonders massive und starre, denen die Bodenbewegungen nichts ausmachen. Deshalb lässt sich nicht so hoch bauen wie in Tokio oder Los Angeles, aber bislang geht die Methode auf.
    Auch diesmal sind - so wie es derzeit aussieht - vor allem Ziegel- und Adobe-Bauten eingestürzt, und die sind notorisch zerbrechlich bei einem Erdbeben. Überhaupt zeigt sich in Chile immer wieder, das Frühwarnsysteme vor Beben zwar sinnvoll, aber gute Gebäude viel wichtiger sind: Sie retten die Menschenleben, selbst wenn man sie nachher abreißen muss: Und es sind nicht die Erdbeben, die die Menschen töten, sondern die Häuser.