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Erfahrungen in den Niederlanden
Rekordverdächtig lange ohne Regierung

In Deutschland ist es die längste Regierungsbildung der Geschichte. Im europäischen Ausland dagegen kennt man sich damit schon besser aus. Rekordhalter ist Belgien, aber auch die Niederlande haben ihre Erfahrungen in dem Bereich gesammelt – zuletzt sieben Monate lang.

Von Katharina Peetz | 20.01.2018
    Der Schriftzug "Alles komt goed" (deutsch: Alles wird gut) ist vor dem niederländischen Parlamentsgebäude in Den Haag zu sehen.
    Der Schriftzug "Alles komt goed" (deutsch: Alles wird gut) vor dem niederländischen Parlamentsgebäude in Den Haag (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Es waren zähe sieben Monate. Hinter verschlossenen Türen haben die Koalitionsparteien am Binnenhof, dem niederländischen Parlamentsgebäude in Den Haag, verhandelt. Politik-Journalist Laurens Boven vom Radiosender BNR musste mit seinen Kollegen davor ausharren:
    "Das war natürlich eine sehr komplizierte Zeit. Es gab absolute Funkstille. Monatelang. Und es war sehr schwierig, um dann irgendwie zu berichten, was da los ist. Man kann nur zurückgreifen auf die Wahlprogramme. Und dann jedes Mal, jeden Tag wieder darstellen, wie groß die Unterschiede sind zwischen den Parteien. Und man muss dann ein bisschen selber analysieren."
    Während der stillen Verhandlungen am Binnenhof lag die niederländische Politik sieben Monate lang komplett auf Eis, sagt Laurens Boven:
    "Alles ist verschoben und vertagt worden. Wenn es um Inlandspolitik geht. Und das sind dann die großen Themen. Das sind die Arbeitsmarktreformen, Rentenreformen, Steuerreformen, Klimapolitik. Alles ist vertagt worden, monatelang. Eigentlich hat Holland ein ganzes Jahr verpasst."
    Alter Außenminister, neue Verhandlungen
    Die Außenpolitik stand jedoch nicht still – das Amt des Außenministers hatte ausgerechnet ein Sozialdemokrat, Bert Koenders, inne. Seine "Partei der Arbeit" hatte bei der Wahl am stärksten verloren. Laurens Boven:
    "Da war es eine komplizierte Situation, dass der alte Außenminister, der musste noch diese Verhandlungen führen für die Niederlande in Europa über die Verhandlungen mit Großbritannien. Der hat aber kein Mandat mehr. Also der musste sich sicher sein, dass er ein Mandat hat. Also der hat dann eigentlich mit den neuen Koalitionsparteien besprochen, was los ist, was er sagen soll. Also der Sozialdemokrat, dieser Außenminister, hat sich verlassen auf die neue Mehrheit im Parlament."
    Und welche Auswirkungen haben sieben Monate ohne neue Regierung auf den Alltag der Bevölkerung? Keine, sagt Wolfgang Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Gerade weil die niederländische Parteienlandschaft so zersplittert ist, hätten die Wähler Verständnis für lange Regierungsbildungen.
    "In den Niederlanden haben wir es ja mit einer Konsensdemokratie zu tun, die auf der einen Seite über ein hohes Maß an Kommunikation, Übereinstimmungen verfügt. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich eine erhebliche Polarisierung, die vor allem durch die Einwanderungs- und Migrationsfrage zustande gekommen ist. Wenn man diesen Zeitraum von sieben Monaten sich anschaut, kann man feststellen, dass entsprechend der konsensdemokratischen Struktur, die da existiert, die Bevölkerung keine großen Anstalten machte, das zu beanstanden. Das ist ganz auffallend."
    Gemeinsamkeiten von Deutschland und den Niederlanden
    Wegen der 5-Prozent-Hürde ist die Parteienlandschaft im deutschen Parlament nicht so kleinteilig wie in den Niederlanden. Eine Gemeinsamkeit in beiden Ländern sei aber die schwindende Bedeutung der großen Volksparteien, sagt Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder:
    "Der Versuch, Jamaika zu machen, das war eine Annäherung der Bundesrepublik an die Niederlande. Weil das ist ja etwas, was wir in den Niederlanden schon öfter erlebt haben, Dreier-, Vierer-Koalitionen, gab es bislang in Deutschland nicht. Und insofern war die Tatsache, dass wir kurz vor dem Abschluss einer Vierer- bzw. Dreier-Koalition in Deutschland standen, das war schon ein Stück weit Niederlandisierung des politischen Systems der Bundesrepublik."
    In Deutschland ist Jamaika letztlich gescheitert. In den Niederlanden stand sieben Monate nach der Wahl eine neue Vierer-Koalition. Tiefe Gräben hätten die langen Verhandlungen nicht hinterlassen, sagt Politik-Reporter Laurens Boven:
    "Es gibt im Prinzip eine sehr große Erleichterung, im Prinzip bei jedem – bei den neuen Regierungsparteien, aber auch bei den Oppositionsparteien, dass es jetzt endlich wieder losgeht."