Milbradt: Ich gehe davon aus, dass alle zunächst einmal wissen wollen, wo denn der Sinn läuft, was in Zukunft zu erwarten ist, was unsere Vorschläge sind. Ich glaube aber, dass die Vorschläge deutlich machen werden, dass sie die einzige Möglichkeit sind, den drohenden Kollaps der Versicherungssysteme und damit ein Weniger an sozialer Sicherheit zu vermeiden.
Engels: Also von Ihnen rundum Zustimmung zu diesem Konzept, wie die Herzog-Kommission es vorschlägt?
Milbradt: Natürlich kann man über den einen oder anderen Punkt diskutieren, aber die große Richtung ist richtig. Wir haben, wenn wir nichts tun, zu erwarten, dass eine Beitragserhöhung in den vier Versicherungssystemen droht, die nicht mehr bezahlbar ist, und dann würde automatisch auf der Leistungsseite gekürzt. Das kann man zwar auch im gewissen Umfang mal diskutieren, aber wir können nicht hinnehmen, dass insbesondere schwächere Mitglieder der Gesellschaft dann zum Beispiel eine Zwei-Klassen-Medizin nur noch bekommen oder Renten bekommen, die unterhalb der Sozialhilfe sind. Deswegen müssen wir umbauen und müssen versuchen, das, was bei der Demographie und bei der wirtschaftlichen Entwicklung machbar ist, auch aus unseren Systemen rauszuholen, aber sie nicht zu überfordern.
Engels: Dann gehen wir doch mal ins Einzelne dieser Pläne der Herzog-Kommission. Für Unmut sorgt ja im Arbeitnehmerflügel der CDU und auch bei der CSU vor allem die Idee, das Kranken- und Pflegeversicherungssystem auf Kopfpauschalen umzustellen, das heißt, jeder Bürger zahlt den gleichen Beitrag für seine Krankenversicherung, egal wie viel er verdient. Wie wollen Sie das denn Ihren ostdeutschen Wählern verkaufen?
Milbradt: Zunächst einmal ist es ja naheliegend, denn man bekommt ja auch dieselben Leistungen, während bei den beiden anderen Versicherungen, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung ich für mehr Beitragszahlung auch mehr Leistung bekomme. Die Rente ist beitragsbezogen, das Arbeitslosengeld ist beitragsbezogen, insoweit liegt das an sich nahe. Es sind in diesen beiden Versicherungssystemen, Krankenversicherung und Pflegeversicherung, Umverteilungselemente, die unsystematisch sind. Es wird umverteilt zwischen dem armen Beitragszahler und dem reichen Beitragszahler. Der reiche Beitragszahler ist aber gar nicht der Reiche in der Gesellschaft, sondern der, der an der Versicherungshöchstgrenze sitzt, und es wird nur bezogen auf Arbeitseinkommen unverteilt, und das ist ungerecht. Wir müssen diese Elemente in das Steuersystem übernehmen und dafür sorgen, dass es die Allgemeinheit bezahlt. Innerhalb der Versicherungssysteme ist eine zusätzliche Umverteilung nur mit höheren Beiträgen zu machen, und das bedeutet weniger Arbeit. Wir wollen doch alle gerade in Ostdeutschland, dass mehr Leute in Arbeit kommen, und das ist mit dem gegenwärtigen System, vor allem mit der Entwicklung überhaupt nicht zu erreichen.
Engels: Aber die Kritiker bemängeln ja, das nun den Steuerzahlern aufzubürden, sei weit entfernt von der Entlastung, die man ja auch eigentlich im Steuersystem anstrebt.
Milbradt: Nein, es wird zu keiner Entlastung kommen, sondern wir werden eine Entlastung der Abgaben haben, eine deutliche Entlastung im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge, aber keine Entlastung im Steuerbereich, denn das ist zusammen nicht möglich. Aber insgesamt steht der Bürger dann besser, immer Steuern und Sozialversicherung zusammengerechnet, als in der gegenwärtigen Situation. Wir können nicht die Sozialversicherungsbeiträge deutlich senken und die Steuern gleichzeitig auch. Das geht nicht. Was wir in der Vergangenheit gemacht haben, geht aber auch nicht, dass wir nur ein wenig die Steuern senken und die Sozialversicherungssysteme explodieren lassen, so dass sie in der Höhe, in der Summe eine höhere Belastung kommt und insbesondere immer an die Versicherungshöchstgrenze. Ich denke, dass das nur die unteren und mittleren Einkommen trifft, während der Rest der Gesellschaft, die Einkommen – das ist nicht so sehr ein Thema in Ostdeutschland, aber in Westdeutschland -, die außerhalb des Arbeitsverhältnisses erzielt werden, völlig aus der Betrachtung herausbleiben. Das ist meines Erachtens kein soziales System.
Engels: Stichwort soziales System. Für den einzelnen Bürger, gerade auch für die Wähler in Sachsen ist es doch erst mal schwer einzusehen, warum die Sekretärin demnächst denselben Beitrag zahlt wie der Chef.
Milbradt: Aber zunächst einmal bekommt sie dieselbe Leistung. Der Chef ist in aller Regel überhaupt nicht in der Versicherung; er ist privat versichert. Er zahlt ja auch nur noch bis zur Versicherungshöchstgrenze, dann bleibt er beitragskonstant, wenn er im System bleibt. Das heißt, dieser Vergleich stimmt nicht, sondern man kann eben nur vergleichen die unteren Einkommensgruppen bis in die mittleren Einkommensgruppen, weil die hohen Einkommensgruppen schon heute außen vor sind, und dann ist es doch besser, demjenigen, der diese Prämie nicht bezahlen kann und an dem unteren Ende der Lohnskala ist, einen staatlichen Zuschuss zu geben, der von allen getragen wird.
Engels: Ein weiteres Thema dieser Herzog-Kommissionsvorschläge ist ja die Rente. Die gesetzliche Rente soll weiter sinken, und die volle Rente soll nur ausgezahlt werden, wenn der Betreffende 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat. Ist das gerade in den strukturschwachen Gebieten, die es auch in Sachsen gibt, mit hoher Arbeitslosigkeit vermittelbar?
Milbradt: Wir reden nicht über heute, sondern wir reden über die Generation der jetzt Dreißigjährigen. Die jetzt Dreißigjährigen...
Engels: ...haben auch ein Arbeitsmarktproblem im Osten.
Milbradt: Ja. Ob es in 20, 30 Jahren noch ein Arbeitsmarktproblem ist, bezweifle ich, insbesondere angesichts des deutlichen Rückgangs junger Leute. Aber wir reden nicht über die gegenwärtige Situation, die gegenwärtigen Rentner, sondern wir reden über die jetzt Dreißigjährigen, und sie werden damit konfrontiert, wenn sie in Rente gehen, dass es viel weniger Beitragszahler sind. Es gibt jetzt drei Möglichkeiten: Ich kann die dann aktive Generation mit höheren Beiträge belasten - es werden weniger in Arbeit kommen, weil die Lohnzusatzkosten steigen und möglicherweise auch die nachwachsende Generation ein solches System für sich selber als ungerecht ansieht -, das Zweite ist, die Renten kürzen, möglicherweise unter die Sozialhilfe, Steuern erhöhen – für die Beiträge trifft das die nachwachsende Generation -, oder ich kann versuchen, das Renteneinzugsalter ein wenig nach oben zu schieben, nämlich das gesetzliche um zwei Jahre. Angesichts der Tatsache, dass wir solche Systeme auch in Skandinavien haben, halte ich das angesichts der anderen Alternativen, die gegeben sind, noch für den geringsten Eingriff, denn wenn Sie nichts tun – das ist meine feste Überzeugung -, dann werden wir ein beitragsbezogenes Rentensystem, was auch eine Alterssicherung oberhalb der Sozialhilfe garantiert, nicht mehr finanzieren können. Ich finde, dass man da jetzt darüber reden kann, wo es auch die Möglichkeit für den Einzelnen gibt, vorzusorgen.
Engels: Die Herzog-Kommission ist also ein Konzept, dem Sie zustimmen können. Die CSU sieht das etwas anders. Sie arbeitet an eigenen Plänen. Wird das ein dauerhafter Streit zwischen CDU und CSU?
Milbradt: Zum Glück hat die Herzog-Kommission etwas gemacht, was die Rürup-Kommission auch nicht gemacht hat, was aber die Bayern wohl machen werden müssen: Sie hat ein Szenario entwickelt, was passiert, wenn nichts passiert. Wir können sehr genau mit diesem Modell darlegen, wie einzelne Maßnahmen wirken, und dann fallen viele Illusionen weg – das ist mir bei der Arbeit in der Herzog-Kommission auch so ergangen -, vieles, was man für möglich oder wünschenswert gehalten hat, lässt sich mit der demographischen Entwicklung dann eben nicht mehr verbinden. Wenn man eben sozusagen seine eigene Gedanken an der Realität testen muss, dann kommt man, glaube ich, schon zu einem Zusammenkommen. So ist es auch in der Kommission gewesen, es waren höchst unterschiedliche Vorstellungen vorhanden, aber als man diskutiert hat, als man das mit einer realistischen Entwicklung bis zum Jahre 2030, 2050 abgeglichen hat, da wurde deutlich, dass nur ein ganz kleiner Korridor möglicher Vorschläge übrigbleibt, die überhaupt realisierbar sind. Dann ist es auch sehr viel einfacher, zusammenzukommen, und ich gehe davon aus, dass das auch zusammen mit den bayrischen Freunden gelingen wird.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch.
Engels: Also von Ihnen rundum Zustimmung zu diesem Konzept, wie die Herzog-Kommission es vorschlägt?
Milbradt: Natürlich kann man über den einen oder anderen Punkt diskutieren, aber die große Richtung ist richtig. Wir haben, wenn wir nichts tun, zu erwarten, dass eine Beitragserhöhung in den vier Versicherungssystemen droht, die nicht mehr bezahlbar ist, und dann würde automatisch auf der Leistungsseite gekürzt. Das kann man zwar auch im gewissen Umfang mal diskutieren, aber wir können nicht hinnehmen, dass insbesondere schwächere Mitglieder der Gesellschaft dann zum Beispiel eine Zwei-Klassen-Medizin nur noch bekommen oder Renten bekommen, die unterhalb der Sozialhilfe sind. Deswegen müssen wir umbauen und müssen versuchen, das, was bei der Demographie und bei der wirtschaftlichen Entwicklung machbar ist, auch aus unseren Systemen rauszuholen, aber sie nicht zu überfordern.
Engels: Dann gehen wir doch mal ins Einzelne dieser Pläne der Herzog-Kommission. Für Unmut sorgt ja im Arbeitnehmerflügel der CDU und auch bei der CSU vor allem die Idee, das Kranken- und Pflegeversicherungssystem auf Kopfpauschalen umzustellen, das heißt, jeder Bürger zahlt den gleichen Beitrag für seine Krankenversicherung, egal wie viel er verdient. Wie wollen Sie das denn Ihren ostdeutschen Wählern verkaufen?
Milbradt: Zunächst einmal ist es ja naheliegend, denn man bekommt ja auch dieselben Leistungen, während bei den beiden anderen Versicherungen, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung ich für mehr Beitragszahlung auch mehr Leistung bekomme. Die Rente ist beitragsbezogen, das Arbeitslosengeld ist beitragsbezogen, insoweit liegt das an sich nahe. Es sind in diesen beiden Versicherungssystemen, Krankenversicherung und Pflegeversicherung, Umverteilungselemente, die unsystematisch sind. Es wird umverteilt zwischen dem armen Beitragszahler und dem reichen Beitragszahler. Der reiche Beitragszahler ist aber gar nicht der Reiche in der Gesellschaft, sondern der, der an der Versicherungshöchstgrenze sitzt, und es wird nur bezogen auf Arbeitseinkommen unverteilt, und das ist ungerecht. Wir müssen diese Elemente in das Steuersystem übernehmen und dafür sorgen, dass es die Allgemeinheit bezahlt. Innerhalb der Versicherungssysteme ist eine zusätzliche Umverteilung nur mit höheren Beiträgen zu machen, und das bedeutet weniger Arbeit. Wir wollen doch alle gerade in Ostdeutschland, dass mehr Leute in Arbeit kommen, und das ist mit dem gegenwärtigen System, vor allem mit der Entwicklung überhaupt nicht zu erreichen.
Engels: Aber die Kritiker bemängeln ja, das nun den Steuerzahlern aufzubürden, sei weit entfernt von der Entlastung, die man ja auch eigentlich im Steuersystem anstrebt.
Milbradt: Nein, es wird zu keiner Entlastung kommen, sondern wir werden eine Entlastung der Abgaben haben, eine deutliche Entlastung im Bereich der Sozialversicherungsbeiträge, aber keine Entlastung im Steuerbereich, denn das ist zusammen nicht möglich. Aber insgesamt steht der Bürger dann besser, immer Steuern und Sozialversicherung zusammengerechnet, als in der gegenwärtigen Situation. Wir können nicht die Sozialversicherungsbeiträge deutlich senken und die Steuern gleichzeitig auch. Das geht nicht. Was wir in der Vergangenheit gemacht haben, geht aber auch nicht, dass wir nur ein wenig die Steuern senken und die Sozialversicherungssysteme explodieren lassen, so dass sie in der Höhe, in der Summe eine höhere Belastung kommt und insbesondere immer an die Versicherungshöchstgrenze. Ich denke, dass das nur die unteren und mittleren Einkommen trifft, während der Rest der Gesellschaft, die Einkommen – das ist nicht so sehr ein Thema in Ostdeutschland, aber in Westdeutschland -, die außerhalb des Arbeitsverhältnisses erzielt werden, völlig aus der Betrachtung herausbleiben. Das ist meines Erachtens kein soziales System.
Engels: Stichwort soziales System. Für den einzelnen Bürger, gerade auch für die Wähler in Sachsen ist es doch erst mal schwer einzusehen, warum die Sekretärin demnächst denselben Beitrag zahlt wie der Chef.
Milbradt: Aber zunächst einmal bekommt sie dieselbe Leistung. Der Chef ist in aller Regel überhaupt nicht in der Versicherung; er ist privat versichert. Er zahlt ja auch nur noch bis zur Versicherungshöchstgrenze, dann bleibt er beitragskonstant, wenn er im System bleibt. Das heißt, dieser Vergleich stimmt nicht, sondern man kann eben nur vergleichen die unteren Einkommensgruppen bis in die mittleren Einkommensgruppen, weil die hohen Einkommensgruppen schon heute außen vor sind, und dann ist es doch besser, demjenigen, der diese Prämie nicht bezahlen kann und an dem unteren Ende der Lohnskala ist, einen staatlichen Zuschuss zu geben, der von allen getragen wird.
Engels: Ein weiteres Thema dieser Herzog-Kommissionsvorschläge ist ja die Rente. Die gesetzliche Rente soll weiter sinken, und die volle Rente soll nur ausgezahlt werden, wenn der Betreffende 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat. Ist das gerade in den strukturschwachen Gebieten, die es auch in Sachsen gibt, mit hoher Arbeitslosigkeit vermittelbar?
Milbradt: Wir reden nicht über heute, sondern wir reden über die Generation der jetzt Dreißigjährigen. Die jetzt Dreißigjährigen...
Engels: ...haben auch ein Arbeitsmarktproblem im Osten.
Milbradt: Ja. Ob es in 20, 30 Jahren noch ein Arbeitsmarktproblem ist, bezweifle ich, insbesondere angesichts des deutlichen Rückgangs junger Leute. Aber wir reden nicht über die gegenwärtige Situation, die gegenwärtigen Rentner, sondern wir reden über die jetzt Dreißigjährigen, und sie werden damit konfrontiert, wenn sie in Rente gehen, dass es viel weniger Beitragszahler sind. Es gibt jetzt drei Möglichkeiten: Ich kann die dann aktive Generation mit höheren Beiträge belasten - es werden weniger in Arbeit kommen, weil die Lohnzusatzkosten steigen und möglicherweise auch die nachwachsende Generation ein solches System für sich selber als ungerecht ansieht -, das Zweite ist, die Renten kürzen, möglicherweise unter die Sozialhilfe, Steuern erhöhen – für die Beiträge trifft das die nachwachsende Generation -, oder ich kann versuchen, das Renteneinzugsalter ein wenig nach oben zu schieben, nämlich das gesetzliche um zwei Jahre. Angesichts der Tatsache, dass wir solche Systeme auch in Skandinavien haben, halte ich das angesichts der anderen Alternativen, die gegeben sind, noch für den geringsten Eingriff, denn wenn Sie nichts tun – das ist meine feste Überzeugung -, dann werden wir ein beitragsbezogenes Rentensystem, was auch eine Alterssicherung oberhalb der Sozialhilfe garantiert, nicht mehr finanzieren können. Ich finde, dass man da jetzt darüber reden kann, wo es auch die Möglichkeit für den Einzelnen gibt, vorzusorgen.
Engels: Die Herzog-Kommission ist also ein Konzept, dem Sie zustimmen können. Die CSU sieht das etwas anders. Sie arbeitet an eigenen Plänen. Wird das ein dauerhafter Streit zwischen CDU und CSU?
Milbradt: Zum Glück hat die Herzog-Kommission etwas gemacht, was die Rürup-Kommission auch nicht gemacht hat, was aber die Bayern wohl machen werden müssen: Sie hat ein Szenario entwickelt, was passiert, wenn nichts passiert. Wir können sehr genau mit diesem Modell darlegen, wie einzelne Maßnahmen wirken, und dann fallen viele Illusionen weg – das ist mir bei der Arbeit in der Herzog-Kommission auch so ergangen -, vieles, was man für möglich oder wünschenswert gehalten hat, lässt sich mit der demographischen Entwicklung dann eben nicht mehr verbinden. Wenn man eben sozusagen seine eigene Gedanken an der Realität testen muss, dann kommt man, glaube ich, schon zu einem Zusammenkommen. So ist es auch in der Kommission gewesen, es waren höchst unterschiedliche Vorstellungen vorhanden, aber als man diskutiert hat, als man das mit einer realistischen Entwicklung bis zum Jahre 2030, 2050 abgeglichen hat, da wurde deutlich, dass nur ein ganz kleiner Korridor möglicher Vorschläge übrigbleibt, die überhaupt realisierbar sind. Dann ist es auch sehr viel einfacher, zusammenzukommen, und ich gehe davon aus, dass das auch zusammen mit den bayrischen Freunden gelingen wird.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch.