Francois Large: Guten Tag, salam alaykum.
Probst: Im Vorfeld der Afghanistankonferenz hier in Berlin hieß es von offizieller Seite, das Land habe noch einen langen Weg vor sich, aber es sei eben auf einem guten Wege, es habe sich viel getan seit dem Sturz der Taliban. Wäre das auch Ihr Urteil, wenn Sie eine Zwischenbilanz über diese gut zwei Jahre ziehen müssten?
Large: Wenn man bedenkt, dass so viel zerstört war, nicht nur in Kabul aber auch die ganzen Straßen, die es nicht gab, durch das Land, sieht man, dass durch Nothilfemaßnahmen sehr viel erreicht werden konnte. Wir konnten vielen Menschen eine kurzfristige Arbeit geben, nicht nur weil sie dringend Nahrung brauchten, aber auch damit sie Infrastrukturen bauen können, wie Schulen, Kliniken, Straßen. Somit konnte man direkte Nothilfe mit ein bisschen Entwicklungsperspektive verknüpfen.
Probst: Wo würden Sie die größten noch bestehenden Defizite sehen?
Large: Kurzfristig kann man sehr glücklich sein, dass die fünf Jahre Dürre jetzt vorbei sind. Es gab genug Schnee, genug Wasser letztes Jahr, um relativ gute Ernten zu haben für die Menschen auf dem Land und das war ja das Wichtigste für die Menschen, die Folgen der Dürre, die Verschuldung und die Immigration. Das zweitgrößte Problem war die Rückkehr der Flüchtlinge aus Pakistan, Iran und das steht ja noch an, bis in zwei Jahren müssen alle Flüchtlinge aus Iran und Pakistan zurück nach Afghanistan, das ist eine unglaubliche Belastung für ein so ruiniertes Land, das in Schutt und Asche lag. Aber selbst das wurde in unglaublicher Weise bewältigt, die Stadt Kabul wird wieder aufgebaut, Tagelöhner können von diesem Boom im Baugewerbe profitieren, jeder hat aber selber angepackt für sein eigenes Haus, die Bauern auf dem Land haben alle zerstörten Kanäle und die Irrigationssysteme, die oft von Talibans zerstört wurden, selber mitaufgebaut, rehabilitiert. Das ist wirklich bewundernswert, das ist sehr ermutigend.
Probst: Präsident Karsai hat vor seiner Reise nach Deutschland einen Finanzbedarf über die nächsten sieben Jahre beziffert in Höhe von rund 28 Milliarden Dollar, die Zusagen dafür wird er in Berlin sicherlich nicht kriegen, man redet so von ungefähr 4,5 Milliarden für die nächsten drei oder vier Jahre. Ist denn die Regierung in Kabul überhaupt in der Lage, wenn es diese Gelder, diese Zusagen gibt, die sinnvoll einzusetzen und zu verwenden?
Large: Es ist die größte Herausforderung, jetzt einen Staat aufzubauen, der seine Aufgaben erledigen kann, der Lehrerinnen bezahlen kann, Ärzte, der Straßen bauen kann und somit auch eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen kann durch Handel dank neuer Straßen zum Beispiel. Aber der Staat kann so nicht bestehen, Karsai kann nicht in den Süden, die Hälfte des Landes ist unsicher, aufgrund von Taliban und konservativen Elementen. Es gibt vielerorts einen lokalen Terror und im Norden und im Zentrum und Osten des Landes und auch im Westen hat man das Problem von Machtkämpfen zwischen alten und neuen Machthabern, zwischen Kriegsgewinnlern und Politikern, zivilen Politikern, die die Regierung jetzt versucht, ins Amt zu bringen, was aber natürlich auf Widerstand stößt von alten Machtstrukturen und Machthaltern. Aber jetzt hat man aus Sicht der internationalen Gemeinschaft das Dilemma, wollen wir jetzt diesem Staat die Chance geben, seine Gewalt und seine Dienste zu erweitern und anzubieten, dafür muss man dann zahlen oder kann man dem eben jetzt noch nicht vertrauen, weil die Struktur noch nicht so weit ist? Es muss ein Prozess sein, der es ermöglicht, die Ministerialbeamten auszubilden, damit diese Dienste und ihre Arbeit leisten können. Auf der anderen Seite können NGOs oder Privatfirmen subsidiär viel mehr leisten als ein Beamtenapparat, der es verlernt hat, effizient zu sein. Die zweite große Herausforderung ist natürlich, die Klanstruktur einer Herrschaft, die natürlich auch an Ethnien gekoppelt ist. Wenn das Vertrauen nicht da ist zwischen den Ethnien, dann kann die Macht auch nicht verteilt werden und dann können auch die Subventionen der internationalen Gemeinschaft nicht gerecht verteilt werden.
Probst: Wenn Sie von den Strukturen sprechen, Herr Large, gilt das dann für die Verwendung von Mitteln für Investitionen in die Infrastruktur für die Hauptstadt nur oder gilt das auch für die Provinzen oder gerade dort, dass da überhaupt keine Kontrollen möglich sind, ob die Gelder zweckentsprechend eingesetzt werden?
Large: Naturgemäß arbeitet man zunächst mal in sicheren Gebieten und die internationalen Organisationen haben ihren Handlungsradius erweitern können dank der internationalen Präsenz, zum Beispiel der ISAF in Kabul und außerhalb von Kabul dank der guten Zusammenarbeit mit lokalen Herrschern, weil die Afghanen natürlich ihr Land auch wieder aufbauen wollen, entwickeln wollen und dankbar sind für die Hilfe. Da, wo es aber Terrordrohungen gibt, Einschüchterungen, mussten wir, zum Beispiel unsere Kollegen von Caritas Holland mussten sich teilweise zurückziehen aus den Projekten im Süden des Landes. Wir haben da mehr Glück im Zentrum des Landes, wo die gesamte Bevölkerung sehr dankbar ist für die internationale Hilfe. Man muss das differenziert sehen von Distrikt zu Distrikt.
Probst: Kurz zum Schluss, Herr Large, wäre es denn aus Ihrer Sicht sinnvoll, wenn da, wie hier gefordert wird, die NATO weitere Aufbauteams schicken würde?
Large: Als humanitärer Helfer und Politologe bin ich da immer skeptisch. Das Land muss für seine Sicherheit sorgen können, auf welchem Wege man das macht, will ich jetzt in der Öffentlichkeit nicht sagen. Es ist auf jeden Fall ganz, ganz wichtig, dass man mit örtlichen Machthabern und afghanischen Soldaten und Polizisten vor allem die Sicherheit vor Ort gewährleistet, damit die wirtschaftliche Entwicklung und die humanitäre Hilfe geleistet werden kann, das ist die absolute Priorität.
Probst: Soweit Francoise Large von Caritas International, direkt aus Kabul. Danke.
Probst: Im Vorfeld der Afghanistankonferenz hier in Berlin hieß es von offizieller Seite, das Land habe noch einen langen Weg vor sich, aber es sei eben auf einem guten Wege, es habe sich viel getan seit dem Sturz der Taliban. Wäre das auch Ihr Urteil, wenn Sie eine Zwischenbilanz über diese gut zwei Jahre ziehen müssten?
Large: Wenn man bedenkt, dass so viel zerstört war, nicht nur in Kabul aber auch die ganzen Straßen, die es nicht gab, durch das Land, sieht man, dass durch Nothilfemaßnahmen sehr viel erreicht werden konnte. Wir konnten vielen Menschen eine kurzfristige Arbeit geben, nicht nur weil sie dringend Nahrung brauchten, aber auch damit sie Infrastrukturen bauen können, wie Schulen, Kliniken, Straßen. Somit konnte man direkte Nothilfe mit ein bisschen Entwicklungsperspektive verknüpfen.
Probst: Wo würden Sie die größten noch bestehenden Defizite sehen?
Large: Kurzfristig kann man sehr glücklich sein, dass die fünf Jahre Dürre jetzt vorbei sind. Es gab genug Schnee, genug Wasser letztes Jahr, um relativ gute Ernten zu haben für die Menschen auf dem Land und das war ja das Wichtigste für die Menschen, die Folgen der Dürre, die Verschuldung und die Immigration. Das zweitgrößte Problem war die Rückkehr der Flüchtlinge aus Pakistan, Iran und das steht ja noch an, bis in zwei Jahren müssen alle Flüchtlinge aus Iran und Pakistan zurück nach Afghanistan, das ist eine unglaubliche Belastung für ein so ruiniertes Land, das in Schutt und Asche lag. Aber selbst das wurde in unglaublicher Weise bewältigt, die Stadt Kabul wird wieder aufgebaut, Tagelöhner können von diesem Boom im Baugewerbe profitieren, jeder hat aber selber angepackt für sein eigenes Haus, die Bauern auf dem Land haben alle zerstörten Kanäle und die Irrigationssysteme, die oft von Talibans zerstört wurden, selber mitaufgebaut, rehabilitiert. Das ist wirklich bewundernswert, das ist sehr ermutigend.
Probst: Präsident Karsai hat vor seiner Reise nach Deutschland einen Finanzbedarf über die nächsten sieben Jahre beziffert in Höhe von rund 28 Milliarden Dollar, die Zusagen dafür wird er in Berlin sicherlich nicht kriegen, man redet so von ungefähr 4,5 Milliarden für die nächsten drei oder vier Jahre. Ist denn die Regierung in Kabul überhaupt in der Lage, wenn es diese Gelder, diese Zusagen gibt, die sinnvoll einzusetzen und zu verwenden?
Large: Es ist die größte Herausforderung, jetzt einen Staat aufzubauen, der seine Aufgaben erledigen kann, der Lehrerinnen bezahlen kann, Ärzte, der Straßen bauen kann und somit auch eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen kann durch Handel dank neuer Straßen zum Beispiel. Aber der Staat kann so nicht bestehen, Karsai kann nicht in den Süden, die Hälfte des Landes ist unsicher, aufgrund von Taliban und konservativen Elementen. Es gibt vielerorts einen lokalen Terror und im Norden und im Zentrum und Osten des Landes und auch im Westen hat man das Problem von Machtkämpfen zwischen alten und neuen Machthabern, zwischen Kriegsgewinnlern und Politikern, zivilen Politikern, die die Regierung jetzt versucht, ins Amt zu bringen, was aber natürlich auf Widerstand stößt von alten Machtstrukturen und Machthaltern. Aber jetzt hat man aus Sicht der internationalen Gemeinschaft das Dilemma, wollen wir jetzt diesem Staat die Chance geben, seine Gewalt und seine Dienste zu erweitern und anzubieten, dafür muss man dann zahlen oder kann man dem eben jetzt noch nicht vertrauen, weil die Struktur noch nicht so weit ist? Es muss ein Prozess sein, der es ermöglicht, die Ministerialbeamten auszubilden, damit diese Dienste und ihre Arbeit leisten können. Auf der anderen Seite können NGOs oder Privatfirmen subsidiär viel mehr leisten als ein Beamtenapparat, der es verlernt hat, effizient zu sein. Die zweite große Herausforderung ist natürlich, die Klanstruktur einer Herrschaft, die natürlich auch an Ethnien gekoppelt ist. Wenn das Vertrauen nicht da ist zwischen den Ethnien, dann kann die Macht auch nicht verteilt werden und dann können auch die Subventionen der internationalen Gemeinschaft nicht gerecht verteilt werden.
Probst: Wenn Sie von den Strukturen sprechen, Herr Large, gilt das dann für die Verwendung von Mitteln für Investitionen in die Infrastruktur für die Hauptstadt nur oder gilt das auch für die Provinzen oder gerade dort, dass da überhaupt keine Kontrollen möglich sind, ob die Gelder zweckentsprechend eingesetzt werden?
Large: Naturgemäß arbeitet man zunächst mal in sicheren Gebieten und die internationalen Organisationen haben ihren Handlungsradius erweitern können dank der internationalen Präsenz, zum Beispiel der ISAF in Kabul und außerhalb von Kabul dank der guten Zusammenarbeit mit lokalen Herrschern, weil die Afghanen natürlich ihr Land auch wieder aufbauen wollen, entwickeln wollen und dankbar sind für die Hilfe. Da, wo es aber Terrordrohungen gibt, Einschüchterungen, mussten wir, zum Beispiel unsere Kollegen von Caritas Holland mussten sich teilweise zurückziehen aus den Projekten im Süden des Landes. Wir haben da mehr Glück im Zentrum des Landes, wo die gesamte Bevölkerung sehr dankbar ist für die internationale Hilfe. Man muss das differenziert sehen von Distrikt zu Distrikt.
Probst: Kurz zum Schluss, Herr Large, wäre es denn aus Ihrer Sicht sinnvoll, wenn da, wie hier gefordert wird, die NATO weitere Aufbauteams schicken würde?
Large: Als humanitärer Helfer und Politologe bin ich da immer skeptisch. Das Land muss für seine Sicherheit sorgen können, auf welchem Wege man das macht, will ich jetzt in der Öffentlichkeit nicht sagen. Es ist auf jeden Fall ganz, ganz wichtig, dass man mit örtlichen Machthabern und afghanischen Soldaten und Polizisten vor allem die Sicherheit vor Ort gewährleistet, damit die wirtschaftliche Entwicklung und die humanitäre Hilfe geleistet werden kann, das ist die absolute Priorität.
Probst: Soweit Francoise Large von Caritas International, direkt aus Kabul. Danke.