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Erfolgsrezepte für Herrscherhäuser

Das Haus Wittelsbach wird zumeist allein mit Bayern in Verbindung gebracht. Doch das Adelsgeschlecht prägte für lange Zeit auch die Region an Rhein und Neckar. Wie ihnen das gelang und warum sie dort heute nahezu vergessen sind, diskutierten Historiker auf einem Kongress in Mannheim.

Von Matthias Hennies |
    Die Wittelsbacher sind eines der erfolgreichsten deutschen Adelsgeschlechter. 600 Jahre lang, vom 13. bis zum 19. Jahrhundert spielten sie im Heiligen Römischen Reich eine führende Rolle - und die Dynastie existiert noch heute. Sie stammt aus Bayern und wird oft als genuin bayerisch angesehen. Doch die Basis für den Erfolg der Wittelsbacher war nicht das Flächenland Bayern, sondern die Kurpfalz, die ihnen 1214, im Hohen Mittelalter, vom staufischen König Friedrich II. verliehen wurde.

    "Dieses Kurfürstentum, diese Kurpfalz, hat ja einen ganz hohen Rang im Reichsgefüge. Der Kurfürst war der Erste unter den weltlichen Kurfürsten, er war der vornehmste, er hatte ganz besondere Rechte und es gelingt ihm auch, die Vorzüge dieses Raumes, den Reichtum dieses Raumes, die günstigen Wirtschaftsverhältnisse zu nutzen und grundsätzlich steht dahinter die Frage, was macht eigentlich einen erfolgreichen Fürsten im Mittelalter aus?"

    Ein relativ neues Forschungsthema, dem Mittelalterhistoriker wie der Heidelberger Professor Stefan Weinfurter seit einer Weile nachgehen. Das Territorium war ein entscheidender Faktor, meint Weinfurter: Obwohl das Gebiet der "Pfalzgrafen bei Rhein", wie sie offiziell hießen, kein Flächenland war, sondern aus zersplitterten Landstrichen um Heidelberg und weiter rheinabwärts um Bacharach bestand, bot es großes Potenzial. Der Fluss war seit der Antike der wichtigste Transportweg im Westen Deutschlands und die aufstrebenden Städte Mainz, Worms und Speyer brachten eine enorme Wirtschaftskraft ins wittelsbachische Herrschaftsgebiet ein.

    "Sie sind die Städte, die bereits im 12. Jahrhundert ganz besondere Vorrechte erhalten, Handelsprivilegien, die sie in die Lage versetzen, weiträumig Handelsnetze aufzubauen. Dass auch in diesen Städten frühzeitig kommunale Organisationseinheiten Einzug halten, die man kopiert von den oberitalienischen Städten, und dass diese Städte auch sehr reich werden."

    Daneben trug ein zweiter Faktor zum Aufstieg des wittelsbachischen Geschlechts bei, den die Forschung lange Zeit kaum beachtet hat, erläutert Bernd Schneidmüller, ebenfalls Professor für mittelalterliche Geschichte in Heidelberg:

    "Adelsgeschlechter des Mittelalters, vor allem des 12. und 13. Jahrhunderts, handeln überhaupt nicht territorial. Sie stellen Netzwerke her, die sich an den engen Regionen überhaupt nicht orientieren, sondern diese immer überspannen."

    Persönliche Bindungen machten den Erfolg aus, erklärt Schneidmüller: Dass sie treu zu den staufischen Königen standen, brachte den Wittelsbachern zuerst das Herzogtum Bayern und dann die bedeutende Kurpfalz ein. In der Folge bauten sie ihre Beziehungen strategisch aus.

    "Die Welt der Vormoderne, also bis um 1800, ist ganz wesentlich eine Präsenzgesellschaft. Nur dann wenn man persönliche Bindungen aufbaut, ist man erfolgreich. Netzwerke dieser frühen Zeit sind zum einen die familiären Netzwerke: Man muss seine Söhne und Töchter gut verheiraten und durch diese Heiratspolitik schafft es eine Dynastie, überall präsent zu sein. Das zweite Netzwerk ist: Man braucht eine Gruppe adeliger Helfer und Unterstützer. Ein Pfalzgraf kann auf einem Reichstag nicht allein auftreten, sondern er muss mit Grafen kommen, das Beste ist, wenn er 300 Gefolgsleute auf 600 Pferden hat."

    Die Wittelsbacher erarbeiteten sich eine hegemoniale Stellung im Netzwerk der niederen und höheren Fürsten, sagt Stefan Weinfurter: Sie koalierten mit den Bischöfen in Mainz und Worms, etablierten sich als Vermittler in Streitigkeiten und zuverlässige Freunde in Kampf-bündnissen.

    "Und dann kommt auch dazu, dass man sich darstellt. Und wie man sich darstellt. Das heißt also, man muss auch Feste geben. Man muss zeigen, dass man über etwas verfügt, das man einsetzen könnte. Und man lädt die Grafen und Fürsten der Umgebung ein. Die kommen zu diesem Fest und werden reichlich bewirtet. Und man bewirtet sie, indem man Silbergeschirr auf den Tisch stellt. Und man stellt dann noch fünf Schränke hin und zeigt: Wir haben aber noch für fünf andere Feste Silbergeschirr!"

    Schließlich benötigte ein erfolgreicher mittelalterlicher Fürst auch einen Pool an Gelehrten: Juristen, Kanzleibeamte, Schreiber dienten als Ratgeber, Verwalter und nicht zuletzt als Autoren von Lobreden und -Gedichten auf den Landesherrn. Am besten konnte man diese Fachleute rekrutieren, wenn man in seinem Territorium eine Universität aufbaute.

    Die Wittelsbacher gehörten dabei zu den Ersten: Pfalzgraf Ruprecht I. gründete 1386 zu Füßen seiner Residenz die Universität Heidelberg – nach Prag und Wien die Dritte auf dem Boden des Reiches. Dabei waren ihm die langfristige Vorteile der innovativen Bildungsstätte vermutlich gar nicht klar, meint Wolfgang Eric Wagner, Professor aus Göttingen:

    "Er wollte etwas für sein Seelenheil tun, denn die Universität war damals eine klerikale Einrichtung, leitete ihre Rechte von der Kirche ab und die dort studierten, waren Kleriker und wenn er etwas für die Verbreitung des Glaubens tat, dann war das etwas, was seinem Seelen-heil zugute kam und deswegen hat er eine Universität eröffnet. Diese Motive, dass man sagt, hier geht es darum, einen Wirtschaftsfaktor ins Leben zu rufen oder einen Wissenschafts-standort, das war eher nicht der Fall – kanzleifähige Schreiber und Notare zu gewinnen, ist erst in zweiter Linie das Ziel, denke ich."

    Auch diese Motive spielten bei der Gründung von Universitäten im Mittelalter eine Rolle, berichtet Wagner, Spezialist für die Entstehungsgeschichte der Hochschulen. Mitte des 15. Jahrhunderts eröffnete man zum Beispiel in Basel ausdrücklich eine Universität, um die Wirtschaft anzukurbeln. Und im Lauf des 15. Jahrhunderts, mit der Verbreitung des Buchdrucks und zunehmender Schriftlichkeit, wuchs der Bedarf an akademischem Personal immer mehr. Doch die frühen Universitäten hatten auch keinen Mangel an "Studierwilligen":

    "Das ist ein richtiger Hype, wenn eine Universität im Reich oder überall in Europa eröffnet wird zu dieser Zeit. Es kommen sehr viele Leute und die kommen nicht zum Studieren, sondern teilweise auch, um der Privilegien teilhaftig zu werden. Dass man also zollfrei Waren in die Stadt einführen konnte, dort verkaufen konnte, ohne Abgaben entrichten zu müssen, man hat einen besonderen Gerichtsstand, muss sich nicht der Stadt beugen, es gibt ein paar Vorteile, darum tragen die sich ein."

    Die Universität Heidelberg entwickelte sich langsam, denn der Pfalzgraf engagierte zwar einen angesehenen Gelehrten als Gründungsrektor, mochte aber nicht so tief in die Tasche greifen. Neben die vorbereitenden Kurse der "sieben freien Künste" trat zuerst die theologische, dann die juristische Fakultät. Erst mit der Einrichtung der Medizin zwei Jahre später war das klassische Programm der mittelalterlichen Universität abgedeckt.

    Den Wittelsbacher gelang es zwar nicht, sich als Herrscherdynastie des Reiches zu etablieren: Sie stellten nur zwei Kaiser. Doch sie bewahrten auf Dauer ihre Macht: Kurz vor dem 30-jährigen Krieg gewannen sie das Herzogtum Jülich und Berg hinzu, ein bedeutendes Territorium am Niederrhein, das eine Nebenlinie des Hauses von Düsseldorf aus regierte. 1720 verlegten sie ihre Residenz aus dem zerstörten Heidelberg nach Mannheim, aber 1777 endete ihre Präsenz am Rhein plötzlich: Sie gaben Düsseldorf und Mannheim auf und zogen mit ihrem Hof nach München, wo die bayerische Linie des Geschlechts ausgestorben war. Mit dem formalen Ende des Heiligen Römischen Reiches 1803 wurde dann die Grafschaft Kurpfalz aufgelöst, die linksrheinische Pfalz vom rechtsrheinischen Baden getrennt. Dass die Dynastie so lange in wechselnden Territorien regierte, zeigt für Bernd Schneidmüller eines:

    "Wie zufällig der Gang der deutschen Geschichte ist. Dass nicht alles durch Identitäten hergestellt wird. Sondern dass solche dynastischen Verbindungen von heute auf morgen Gebiete zusammenführen und wieder trennen."

    Die deutsche Geschichte, meint er, wurde weniger durch die sprachliche Identität oder die religiöse Einheit einer Region bestimmt als durch die zufällige Zuordnung zur einen oder anderen Dynastie. Dass die Wittelsbacher den Rhein-Neckar-Raum dauerhaft geprägt haben, sieht man bis heute, denn die Heidelberger bezeichnen sich noch immer als "Kurpfälzer".