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Erforschung des Bruttonationalglücks

Im Königreich Bhutan zeigt die Dokumentation "What happiness is" Beamte eines Glücksministeriums, die das Bruttoinlandsglück ermitteln. Klingt wie Science-Fiction, ist aber nur ein weiteres Erzeugnis der westeuropäischen Glücksindustrie, die schon immer außerhalb Europas den Ausweg aus allen anstrengenden Debatten fand.

Von Rüdiger Suchsland | 01.08.2013
    Das Glück. Wer hat es schon wirklich? Wer hätte es nicht gern? Aber die Probleme mit dem Glück beginnen bereits damit, dass keiner so ganz genau sagen kann, woran man das Glück erkennt, wenn man es hat - geschweige denn, wie man es - wüsste man denn nun, was es ist - erreichen kann. Je genauer man das Glück anblickt, umso problematischer wird es, und umso unglücklicher das denkende Bewusstsein.

    Seit Jahrtausenden haben sich die Philosophen aller Länder bereits mit alldem herumgeschlagen, lange hatte man das Glück philosophisch ignoriert oder gar verachtet - als schönen selbstsüchtigen Hedonismus hat man es denunziert, hat sich lustig gemacht über jene angelsächsischen Utilitaristen, die "das größte Glück der größten Zahl" per exakter Formel mathematisch berechnen wollten, oder man hat es gut pessimistisch mit dem antiken Griechen Epikur gehalten, der das größtmögliche Glück nur in der Abwesenheit von allem Unglück sehen konnte.

    Dann, in den letzten 20, 30 Jahren, wendete sich das Blatt, und das Glück wurde plötzlich rehabilitiert: Im Zeichen der Postmoderne, mit ihrem Verblassen utopischer Höhenflüge und ihrer Aufwertung der Individualität, vor allem aber mit dem Abschied von allen Gewissheiten kam plötzlich das Glück zurück auf die Tagesordnung

    Wenn es schon weit und breit keine Wahrheit mehr geben sollte, dann könnte man doch wenigstens glücklich sein - die einen verdienten viel Geld, die anderen ließen sich die Sonne auf den Bauch scheinen und nannten es "mittelmeerisches Denken". Und die Philosophen, denen, nachdem sie zuerst alle Götter für tot, und dann alle Ideologien für verabschiedet erklärt hatten, die Arbeitslosigkeit drohte, solange sie nicht im Auftrag einer Privatbank Vorträge über Wirtschaftsethik hielten, oder wandelten sich von Propheten letzter Gewissheiten plötzlich zu Agenten der Lebenskunst und Analytikern des Glücks...

    Genau diese Geschichte steht im Zentrum vom Film "What happiness is" des Österreicher Harald Friedl. Er ist einerseits eine ironische Bestandsaufnahme unserer absurden Glückssehnsucht.

    "Auf einer Skala von eins bis zehn? Sechs!"

    "Freud zum Beispiel versteht darunter positive Emotionen."

    "Das ist diese kurze Aaahh - jetzt geht’s mir gut. Das ist schön, dauert aber nicht lang."

    Die Alternative zu alldem liegt offenbar im fernen Osten. Der Film reist ins Königreich Bhutan, und zeigt Beamte eines Glücksministeriums, die das Bruttoinlandsglück ermitteln. Klingt wie ein Science-Fiction-Roman von Orwell oder Huxley, ist aber für Friedl offenbar die Alternative zu 2000 Jahre Philosophiegeschichte und damit mal so eben die Lösung aller Glücksprobleme durch aufgeklärten Absolutismus.

    In der Dokumentation von Harald Friedl erfährt man nicht viel. Friedl zeigt weitgehend unkommentiert wenig Substanzielles, eher geht es ums Fühlen.

    Und um eine fröhliche Diktatur: In Bhutan ist erst seit einem Jahrzehnt Fernsehen erlaubt - natürlich nur staatliches. Filialen von Fast-Food- und Hotel-Ketten sind verboten, die Einfuhr von Plastikwaren aller Art ist reglementiert. Dafür ist der Umweltschutz in der (neuen) Verfassung verankert - da freut sich der durch Mülltrennen und 30 Jahre Ökodebatten vom Waldsterben bis zur Klimakatastrophe geschulte Mitteleuropäer.

    Trotzdem sieht auch eine junge Dorfbewohnerin in Bhutan auf die Frage, was für sie "Glück" bedeute, die Antwort im neuen Handy-Mast.

    Das Abendland ist zumindest im fernen Osten noch nicht untergegangen, das westliche Leben und damit das Unglück des Wohlstands, des Bruttosozialprodukts und der Frage nach dem Glück lassen nicht mehr lange auf sich warten.

    So entpuppt sich dieser Film am Ende als Bluff. Er ist Teil der westeuropäischen Glücksindustrie, die schon immer außerhalb Europas den Ausweg aus allen europäischen Debatten fand - bei Konfuzius und Buddha, bei Hare-Krishna und den Sanyassin, und jetzt eben in Bhutan beim Bruttosozialglück.

    Dieser Film ist, mit anderen Worten, ein Beispiel für den ganz normalen üblichen Lifestyle-Quatsch.