Wagener: Am Telefon begrüße ich Jens-Peter Bonde, dänisches Mitglied des Europaparlaments. Schönen guten Morgen!
Bonde: Guten Morgen!
Wagener: Sind Sie zufrieden mit dem Gipfel von Nizza oder sind Sie unzufrieden?
Bonde: Beides. Ich sage, es ist zum einen ein Schritt vorwärts. Das ist das Erweiterungsprotokoll mit dem Stimmgewicht für die 12 neuen Länder. Dem stimme ich zu. Dann gibt es Schritte in die schlechte Richtung, und das betrifft den qualifizierten Mehrheitsbeschluss, wo wir Beschlüsse von Wählern und Gewählten an Beamte und Minister liefern, was weniger Demokratie bedeutet. Das zweite ist die verstärkte Zusammenarbeit, dass Wähler in Dänemark und anderen Ländern nicht mehr die Möglichkeit haben, nein zu sagen. Man kann in der Integration weitergehen, ohne zum Beispiel Dänemark oder Großbritannien zu hören. Das dritte sehr schlimme Ding ist die Kommission als europäische Regierung und der Kommissionspräsident als ein europäischer Staatsminister, wo man nicht mehr die Garantie einer Vertretung aller Länder hat. Das ist sehr schlimm.
Wagener: Herr Bonde, war das sozusagen ein Staatsstreich der Großen auf dem Rücken der Kleinen in der EU?
Bonde: Auch. Ich bin nicht zufrieden mit dem Resultat zwischen den Kleinen und den Großen, aber das ist nicht das wichtigste. Ich finde das wichtigste ist, dass die Wähler in Deutschland, Frankreich und den kleineren Ländern an allen Stellen in ihrer Eigenschaft als Wähler Macht verlieren und liefern eben diese Macht an die Beamte und die Minister. Das empfinde ich als wichtigsten Kritikpunkt.
Wagener: Wie ist aus Ihrer Sicht die Rolle Frankreichs, speziell Jacques Chiracs an diesem langen, langen Wochenende in Nizza gewesen?
Bonde: Was er gemacht hat ist ganz unakzeptabel. Der Weg, gegen alle kleineren Länder zu versuchen, ohne deren Konsultation vorzugehen, ist nicht durchführbar. Deutschland war viel besser.
Wagener: Sie sind mit der Rolle Deutschlands zufrieden?
Bonde: Ja.
Wagener: Der Unterschied zum Amsterdamer Gipfel vor dreieinhalb Jahren: Damals wurde der Reformversuch ja politisch abgebrochen, weil keine Aussichten auf Erfolg waren. Nun sollte das in Nizza passieren. Es ist eigentlich auch nur ein fauler Kompromiss geworden. 2004 nun ein neuer Versuch. Alle wichtigen Entscheidungen werden in die Zukunft verschoben. Wie ist der Schaden zu beziffern?
Bonde: Da bin ich nicht ganz überein. Das Programm für 2004 ist eine Verfassung, aber inhaltmäßig ist eigentlich nichts Neues zu erwarten. Wenn es ein Staatenverbund sein soll, kann man ja auch nicht mehr Beschließungen nach Brüssel liefern. Dann soll man versuchen, Beschlüsse von Brüssel nach Berlin oder etwa Kopenhagen zu schicken.
Wagener: Die Beschlüsse von Nizza müssen nun alle 15 nationalen Parlamente passieren. Sehen Sie dort noch neuen Konfliktstoff?
Bonde: Ich sehe es als einen wichtigen Vertrag. Das fordert einen Volksentscheid und vielleicht auch in anderen Ländern. Ich hoffe, dass man Volksentscheide über solch wichtige Verträge macht. Man kann ja nicht Macht von Wählern an Beamte liefern, ohne das Volk zu fragen. Das ist nicht demokratisch.
Wagener: Die Dänen sind ja bekannt für ihre kritische Europahaltung. Wie würde denn ein solches Referendum in Dänemark speziell nach den Eindrücken von Nizza ausgehen?
Bonde: Wenn es als ein Erweiterungsvertrag angesehen wird, dann sagen die Dänen vielleicht ja. Wenn wir die großen Diskussionen über die institutionellen Verhältnisse bekommen, dann sagen die Dänen nein. Das Resultat wird ein bisschen entspannend.
Wagener: Sind denn die kleinen Länder genauso empfindlich bei der Abgabe, bei der Aufgabe von nationalen Entscheidungen, von nationaler Autonomie wie etwa Großbritannien bei den Großen? Tony Blair hat eine Diskussion über eine Steuerharmonisierung sozusagen im Keim erstickt. Oder gibt es dort mehr Spielräume, in Dänemark, in Portugal oder in den Niederlanden?
Bonde: Ich glaube, die qualifizierte Mehrheit kommt nun in die ganz sensitiven Gebiete. Über die Steuer konnte man sich nicht einigen, aber das ist ja auch der Grund, dass man eine nationale Wahl hat. Man geht zur Wahl, und dann wählt man Linke oder man wählt Rechte. In der nächsten Wahl kann man die Wahl ändern. Man kann neue Politiker bekommen und neue Politik. Das ist das Hauptproblem der qualifizierten Mehrheit. In der Zukunft können wir zur Wahl gehen, aber nicht die Politik ändern. Wir können neue Politiker bekommen, aber nicht eine neue Politik. Das ist das Problem der qualifizierten Mehrheit. Die Wähler in allen Ländern sind die großen Verlierer.
Wagener: Und die EU-Politik scheint ja im Moment dadurch charakterisiert zu sein, dass innerhalb der Union mehr oder weniger fast alles stagniert, während man aus Brüssel auf das Tempo bei denen drückt, die sich der EU demnächst oder in Zukunft anschließen wollen. Wie kann man denn diesen Widerspruch nach Nizza auflösen?
Bonde: Aber die EU stagniert ja nicht. Man hat 20.000 Gesetze, 20.000 Gesetze. Im polnischen Sejm hat man nun 140.000 Seiten zu lesen. Das ist das Resultat von einer Annäherung zwischen den polnischen Gesetzen und der EU-Rechtsprechung. Es ist heute schon viel zu viel, was in Brüssel beschlossen wird. Man soll den anderen Weg gehen: mehr Macht in Bayern, mehr Macht in Bremen, mehr Macht in Berlin, mehr Macht in Kopenhagen, mehr Macht an die Wähler und weniger Macht an die Beamte und Bürokraten in Brüssel. Das ist unsere Sicht.
Wagener: Der Geldwert ist ja auch, wie wir wissen, von der Psychologie abhängig. Wie wird sich das ganze, was sich jetzt in Nizza abgespielt hat, auf den Euro auswirken? Haben Sie dazu eine Idee?
Bonde: Ich glaube nicht, dass es Änderungen beim Euro durch Nizza geben wird. Der Kurs wird von den amerikanischen Verhältnissen festgelegt und nicht von diesen institutionellen Änderungen. Es ist ja nicht eine europäische Regierung geschaffen mit einem Europäischen Parlament, die die gemeinsame wirtschaftliche Politik festlegen kann, so dass es dort nicht die großen Unterschiede geben wird.
Wagener: Jens-Peter Bonde war das, dänisches Mitglied des Europaparlaments in Straßburg, zum gerade zu Ende gegangenen Gipfel in Nizza. - Recht herzlichen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Bonde: Guten Morgen!
Wagener: Sind Sie zufrieden mit dem Gipfel von Nizza oder sind Sie unzufrieden?
Bonde: Beides. Ich sage, es ist zum einen ein Schritt vorwärts. Das ist das Erweiterungsprotokoll mit dem Stimmgewicht für die 12 neuen Länder. Dem stimme ich zu. Dann gibt es Schritte in die schlechte Richtung, und das betrifft den qualifizierten Mehrheitsbeschluss, wo wir Beschlüsse von Wählern und Gewählten an Beamte und Minister liefern, was weniger Demokratie bedeutet. Das zweite ist die verstärkte Zusammenarbeit, dass Wähler in Dänemark und anderen Ländern nicht mehr die Möglichkeit haben, nein zu sagen. Man kann in der Integration weitergehen, ohne zum Beispiel Dänemark oder Großbritannien zu hören. Das dritte sehr schlimme Ding ist die Kommission als europäische Regierung und der Kommissionspräsident als ein europäischer Staatsminister, wo man nicht mehr die Garantie einer Vertretung aller Länder hat. Das ist sehr schlimm.
Wagener: Herr Bonde, war das sozusagen ein Staatsstreich der Großen auf dem Rücken der Kleinen in der EU?
Bonde: Auch. Ich bin nicht zufrieden mit dem Resultat zwischen den Kleinen und den Großen, aber das ist nicht das wichtigste. Ich finde das wichtigste ist, dass die Wähler in Deutschland, Frankreich und den kleineren Ländern an allen Stellen in ihrer Eigenschaft als Wähler Macht verlieren und liefern eben diese Macht an die Beamte und die Minister. Das empfinde ich als wichtigsten Kritikpunkt.
Wagener: Wie ist aus Ihrer Sicht die Rolle Frankreichs, speziell Jacques Chiracs an diesem langen, langen Wochenende in Nizza gewesen?
Bonde: Was er gemacht hat ist ganz unakzeptabel. Der Weg, gegen alle kleineren Länder zu versuchen, ohne deren Konsultation vorzugehen, ist nicht durchführbar. Deutschland war viel besser.
Wagener: Sie sind mit der Rolle Deutschlands zufrieden?
Bonde: Ja.
Wagener: Der Unterschied zum Amsterdamer Gipfel vor dreieinhalb Jahren: Damals wurde der Reformversuch ja politisch abgebrochen, weil keine Aussichten auf Erfolg waren. Nun sollte das in Nizza passieren. Es ist eigentlich auch nur ein fauler Kompromiss geworden. 2004 nun ein neuer Versuch. Alle wichtigen Entscheidungen werden in die Zukunft verschoben. Wie ist der Schaden zu beziffern?
Bonde: Da bin ich nicht ganz überein. Das Programm für 2004 ist eine Verfassung, aber inhaltmäßig ist eigentlich nichts Neues zu erwarten. Wenn es ein Staatenverbund sein soll, kann man ja auch nicht mehr Beschließungen nach Brüssel liefern. Dann soll man versuchen, Beschlüsse von Brüssel nach Berlin oder etwa Kopenhagen zu schicken.
Wagener: Die Beschlüsse von Nizza müssen nun alle 15 nationalen Parlamente passieren. Sehen Sie dort noch neuen Konfliktstoff?
Bonde: Ich sehe es als einen wichtigen Vertrag. Das fordert einen Volksentscheid und vielleicht auch in anderen Ländern. Ich hoffe, dass man Volksentscheide über solch wichtige Verträge macht. Man kann ja nicht Macht von Wählern an Beamte liefern, ohne das Volk zu fragen. Das ist nicht demokratisch.
Wagener: Die Dänen sind ja bekannt für ihre kritische Europahaltung. Wie würde denn ein solches Referendum in Dänemark speziell nach den Eindrücken von Nizza ausgehen?
Bonde: Wenn es als ein Erweiterungsvertrag angesehen wird, dann sagen die Dänen vielleicht ja. Wenn wir die großen Diskussionen über die institutionellen Verhältnisse bekommen, dann sagen die Dänen nein. Das Resultat wird ein bisschen entspannend.
Wagener: Sind denn die kleinen Länder genauso empfindlich bei der Abgabe, bei der Aufgabe von nationalen Entscheidungen, von nationaler Autonomie wie etwa Großbritannien bei den Großen? Tony Blair hat eine Diskussion über eine Steuerharmonisierung sozusagen im Keim erstickt. Oder gibt es dort mehr Spielräume, in Dänemark, in Portugal oder in den Niederlanden?
Bonde: Ich glaube, die qualifizierte Mehrheit kommt nun in die ganz sensitiven Gebiete. Über die Steuer konnte man sich nicht einigen, aber das ist ja auch der Grund, dass man eine nationale Wahl hat. Man geht zur Wahl, und dann wählt man Linke oder man wählt Rechte. In der nächsten Wahl kann man die Wahl ändern. Man kann neue Politiker bekommen und neue Politik. Das ist das Hauptproblem der qualifizierten Mehrheit. In der Zukunft können wir zur Wahl gehen, aber nicht die Politik ändern. Wir können neue Politiker bekommen, aber nicht eine neue Politik. Das ist das Problem der qualifizierten Mehrheit. Die Wähler in allen Ländern sind die großen Verlierer.
Wagener: Und die EU-Politik scheint ja im Moment dadurch charakterisiert zu sein, dass innerhalb der Union mehr oder weniger fast alles stagniert, während man aus Brüssel auf das Tempo bei denen drückt, die sich der EU demnächst oder in Zukunft anschließen wollen. Wie kann man denn diesen Widerspruch nach Nizza auflösen?
Bonde: Aber die EU stagniert ja nicht. Man hat 20.000 Gesetze, 20.000 Gesetze. Im polnischen Sejm hat man nun 140.000 Seiten zu lesen. Das ist das Resultat von einer Annäherung zwischen den polnischen Gesetzen und der EU-Rechtsprechung. Es ist heute schon viel zu viel, was in Brüssel beschlossen wird. Man soll den anderen Weg gehen: mehr Macht in Bayern, mehr Macht in Bremen, mehr Macht in Berlin, mehr Macht in Kopenhagen, mehr Macht an die Wähler und weniger Macht an die Beamte und Bürokraten in Brüssel. Das ist unsere Sicht.
Wagener: Der Geldwert ist ja auch, wie wir wissen, von der Psychologie abhängig. Wie wird sich das ganze, was sich jetzt in Nizza abgespielt hat, auf den Euro auswirken? Haben Sie dazu eine Idee?
Bonde: Ich glaube nicht, dass es Änderungen beim Euro durch Nizza geben wird. Der Kurs wird von den amerikanischen Verhältnissen festgelegt und nicht von diesen institutionellen Änderungen. Es ist ja nicht eine europäische Regierung geschaffen mit einem Europäischen Parlament, die die gemeinsame wirtschaftliche Politik festlegen kann, so dass es dort nicht die großen Unterschiede geben wird.
Wagener: Jens-Peter Bonde war das, dänisches Mitglied des Europaparlaments in Straßburg, zum gerade zu Ende gegangenen Gipfel in Nizza. - Recht herzlichen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio