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"Erhebliche Probleme beim Löscheinsatz" auf Gefahrgutfrachter

Wäre beim Brand des mit radioaktivem Material beladenen Schiffes im Hamburger Hafen eine Kiste explodiert, hätte das wohl zu einer größeren Katastrophe geführt, sagt Anjes Tjarks von den Grünen. Er kritisiert, die Bürger seien zu wenig informiert worden.

Anjes Tjarks im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.05.2013
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist jetzt Antjes Tjarks von Bündnis 90/Die Grünen, der parlamentarische Geschäftsführer der Bürgerschaftsfraktion und hafenpolitischer Sprecher seiner Partei. Schönen guten Morgen nach Hamburg!

    Anjes Tjarks: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Tjarks, wie sind Sie eigentlich den Einzelheiten der Ereignisse am 1. Mai auf die Spur gekommen? Warum haben Sie Verdacht geschöpft, dass mit dem Stichwort Gefahrgut an Bord noch die ganze Geschichte nicht erzählt ist?

    Tjarks: Da muss ich mir die Lorbeeren gar nicht selbst anhängen, sondern das war ein Hinweis der BUND-Kreisgruppe Cuxhaven, die sich sehr intensiv mit Urantransporten in Deutschland beschäftigen. Und die haben gesehen, dass die Atlantic Cartier, und das ist bekannt, als Schiff, das sehr regelmäßig Uranhexafluorid transportiert. Das gehört einer schwedischen Reederei, die ist spezialisiert auf Atomtransporte und Transporte insbesondere für das US-Militär, deswegen befand sich auch Munition an Bord. Das heißt, es war bekannt, dass dieses Schiff regelmäßig Transporte dieser Art durchführt. Und wir haben eine Situation, dass in der Presse es eine Berichterstattung gab, die gesagt hat, die Feuerwehr hätte CO2 als Löschmittel angefordert in einem Notalarm, es auch nirgendwo gefunden. Und CO2 ist das Löschmittel, das Sie brauchen, um Uranhexafluorid zu löschen im Zweifelsfall, weil wenn Sie das mit Wasser löschen, dann wird die Katastrophe nur größer und nicht kleiner.

    Barenberg: Ein brennender Frachter also am 1. Mai mit gefährlicher Ladung im Hafen, in unmittelbarer Nähe, 500 Meter Luftlinie entfernt, die Gäste des Kirchentages. Wie knapp ist Hamburg Ihrer Einschätzung nach denn an einer Katastrophe vorbeigeschrammt?

    Tjarks: Also man kann das nicht in%en bewerten, aber das Fakt ist folgender: Sie haben eine Situation, in der es auf einem Frachter gebrannt hat. Es ist noch ein bisschen unklar, wo der Brand in Relation zu den entscheidenden Kisten gestanden hat, wobei man da auch wissen muss, es gab auf diesem Frachter mehrere Gefahrtransporte, also es war nicht nur Uranhexafluorid, es gab auch Brennelemente, also einen weiteren Urantransport. Es gab Munition und es gab 200 Tonnen Ethanol, das auch sehr brennbar ist. Und Sie müssen sich ja vorstellen, dass eine dieser Kisten, wenn die hochgegangen wäre, wahrscheinlich ausgereicht hätte, eine größere Katastrophe anzurichten. Die sind glücklicherweise von Bord geholt worden, deswegen hat die Feuerwehr vor Ort einen guten Job gemacht. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, dadurch, dass die Feuerwehr beispielsweise kein CO2 bevorratet hat, obwohl es in Hamburg regelmäßig Uranhexafluorid-Transporte gegeben hat, hätte es eben auch anders ausgehen können. Ich bemühe dazu immer so ein Bild, es gibt ja immer diese Erzählung, ein Kernkraftwerk fliegt in einer Million Jahre maximal in die Luft, dann waren es in Wirklichkeit 42 Jahre, und wer sagt Ihnen, dass sozusagen der nächste Brand nicht ein paar Meter weiter auf so einem Schiff ist und es dann ein Problem gibt.

    Barenberg: Im Nachhinein haben die Behörden ja immerhin von Gefahrengut gesprochen, allgemein von Gefahrengut. Nun sagen die Behörden, dass die Gäste beispielsweise des Kirchentages zu keinem Zeitpunkt in Gefahr waren – so haben wir es ja in dem Beitrag unseres Landeskorrespondenten gehört –, was sagen Sie dazu?

    Tjarks: Also ich würde sagen, das muss man eigentlich bezeichnen als so was wie eine offensive Vorwärtsvertuschung. Indem die Leute gesagt haben oder die Behörden gesagt haben, es war Gefahrgut an Bord, können sie hinterher sagen, wir haben ja alles gesagt, was eigentlich dazu zu sagen war. Man muss dazu wissen, auch eine Kiste Feuerzeuge fällt eigentlich unter Gefahrengut. Das heißt, das ist wirklich ein sehr dehnbarer Begriff, der geht von Feuerzeugen bis zu Uranhexafluorid. Und dass das die andere Ecke der Skala war, das hätte man, glaube ich, durchaus sagen müssen und dann hätte man das auch besser bewerten können. Und ich muss Ihnen sagen, dann wäre auch das Vertrauen auch im Nachhinein in die Behörden größer gewesen, als es jetzt ist.

    Barenberg: Sind Sie denn der Meinung, dass man die Besucher des Kirchentags beispielsweise hätte warnen müssen, die Veranstaltung gar abbrechen? Auch dagegen wehren sich die Behörden in Hamburg im Nachhinein.

    Tjarks: So weit würde ich an diesem Zeitpunkt nicht gehen, weil letztlich, wissen Sie, war ich beim konkreten Brand nicht dabei, und es ist sehr schwer, zum jetzigen Zeitpunkt nachzuvollziehen, wo genau die Kisten standen in Relation zum Feuer. Es ist aber so, dass es erhebliche Probleme beim Löscheinsatz gab in der Gestalt, dass nämlich der 1. Mai und Heiligabend, das sind die beiden Tage, an denen im Hamburger Hafen nicht gearbeitet wird – es wird sonst im 24-Stunden-Schichtbetrieb gearbeitet – und dass deswegen zum Beispiel ein ganz banaler Engpass entstanden ist, nämlich es fehlt ein Kranführer, um die Kisten von Bord zu holen. Deswegen hat es relativ lange gedauert, bis sie die Kisten dann wirklich auch von Bord hatten. Und vor dem Hintergrund sehen wir einfach, es gibt sozusagen verschiedene Engpässe, auf die man aus irgendwelchen Gründen nicht vorbereitet ist, und da muss man eben wirklich genau die Situation bewerten. Und mir haben Augenzeugen vom Kirchentag gesagt, dass sie natürlich das auch mitbekommen haben, dass da Löschboote aufgefahren sind. Und vor dem Hintergrund kann ich nur sagen, vom jetzigen Zeitpunkt weiß ich nicht, ob man die Veranstaltung hätte abbrechen müssen, aber man hätte hinterher offensiv damit kommunizieren müssen und der Hansestadt Hamburg klar sagen müssen, was da eigentlich passiert ist.

    Barenberg: Würden Sie sagen, es handelt sich um einen Fall von Vertuschung?

    Tjarks: Ja, das sagte ich ja bereits. Ich würde so was immer als eine offensive Vorwärtsvertuschung bezeichnen. Das bedeutet eben, die Situation ist so, die Behörden haben gesagt, es gibt Gefahrgut, und darauf beziehen sie sich jetzt zurück, dass die sagen, wir haben ja gesagt, was zu sagen war. Aber wie gesagt, Gefahrgut sind auch Feuerzeuge in einer Dose, und Gefahrgut ist eben auch Uranhexafluorid und Brennelemente. Und dass es sich hier um Letzteres handelt, das hätte man deutlich kommunizieren müssen, zumal eben auch noch andere schwierige Stoffe an Bord waren. Und dann hätte sich die Öffentlichkeit auch ein eigenes Bild machen können, zumal es ja so ist, dass im Hamburger Hafen regelmäßig entsprechendes Gefahrgut transportiert wird. Also wir haben 21 Uranhexafluorid-Transporte in den letzten zwölf Wochen gehabt, das heißt, das ist ein regelmäßiges Gut, und darüber sollte die Öffentlichkeit dann auch informiert sein.

    Barenberg: Und das tut die Innenbehörde in Hamburg beispielsweise jetzt ja auch mit der Auskunft, dass jährlich rund 180 Transporte von spaltbarem Material für Kernkraftwerke und weitere zahllose Gefahrguttransporte durch die Hansestadt gehen, durch den Hamburger Hafen auch. Ist das der richtige Ort, wenn wir mal die Hafencity jetzt mit in den Blick nehmen, wo viele Menschen sich aufhalten – es ist nah an der Innenstadt –, ist das der richtige Ort für den regelmäßigen Transport radioaktiver Stoffe?

    Tjarks: Ich glaube, das ist eine Frage, die muss sich die Stadt in den nächsten Wochen sehr offensiv stellen, nämlich wir haben eine Situation, dass der Hamburger Hafen im Vergleich zu vielen anderen europäischen Häfen ein Hafen ist, der wirklich mitten in der Stadt liegt, mitten in der größten deutschen Küstenstadt, und wir haben häufiger Veranstaltungen am Wasser, die von mehreren Hunderttausend Menschen besucht werden. Ein paar Wochen später ist da der Hafengeburtstag gefeiert worden an den Sankt-Pauli-Landungsbrücken, da wäre dieses Schiff auch vorbeigefahren. Das ist eine Veranstaltung, die wird von 1,5 Millionen Menschen besucht und hat dementsprechend auch ein Gefährdungspotenzial. Und wenn Sie sich sozusagen diese Situation angucken, dann wird man nicht umhinkommen – ungefähr 16 Millionen Tonnen von 130 Millionen Tonnen, die im Hafen umgeschlagen werden, sind Gefahrengut. Das werden Sie jetzt nicht alles verbieten können, zumal zum Teil das Schiff auch ein sicherer Transportweg ist. Allerdings müssen Sie sich bei ganz speziellen Stoffen wie Uranhexafluorid schon fragen, gibt es da nicht Wege, die in Deutschland besser geeignet sind als der Hamburger Hafen – das ist die erste Frage, die sich, glaube ich, stellt. Und wir haben eine zweite Diskussion, dann wird es nämlich auch konkret: In Bremen hat die rot-grüne Landesregierung ein Gesetz erlassen, dass Transporte von Uranhexafluorid über die bremischen Häfen verbietet. Das liegt jetzt beim Staatsgerichtshof in Bremen, und der wird in Kürze darüber entscheiden, ob das auch rechtmäßig ist. Und wenn das der Fall ist, dann wird sich diese Diskussion nach diesem Vorfall in Hamburg sicherlich auch noch mal ganz neu stellen.

    Barenberg: Die Umweltbehörde geht ja relativ selbstbewusst an die Sache ran und sagt, jetzt ist es nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass im Hamburger Hafen gefährliche Güter transportiert werden, auch eben radioaktive Stoffe, und es gebe ein engmaschiges Kontrollsystem und im Übrigen nationale wie internationale Vorschriften, das reicht. Das sehen Sie offenbar anders.

    Tjarks: Also wir haben eine Situation, in der wir jetzt erfahren haben, dass die Feuerwehr per Notalarm am 1. Mai versucht hat, 26 Tonnen CO2 zu beschaffen, das Löschmittel für Uranhexafluorid, und es nicht bekommen hat. Und da stellt sich schon die Frage, wenn die Umweltbehörde so selbstbewusst sagt, das ist etwas, was wir sehr regelmäßig transportieren, das heißt, das ist auch etwas, was man eigentlich erwarten müsste in einem Katastrophenszenario, für das in der Freien Hansestadt Hamburg regelmäßig geübt und trainiert wird, warum die Feuerwehr der Freien Hansestadt Hamburg – das ist wahrscheinlich immerhin die größte Berufsfeuerwehr in unserem Land – so was nicht bevorratet. Und deswegen muss ich Ihnen schon sagen, dass da alles so einfach in Butter ist, das würden wir überhaupt nicht so sehen, es ist so: Wir haben Glück gehabt, dass die Situation gut ausgegangen ist, da hat die Feuerwehr vor Ort auch, glaube ich, einen guten Job gemacht, aber insgesamt, ob wir wirklich dafür gerüstet sind für solche Transporte, da habe ich doch erhebliche Zweifel.

    Barenberg: Anjes Tjarks von den Grünen in Hamburg heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.