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''Erhöhung der Mehrwertsteuer kommt auf keinen Fall in Frage''

Heinlein: "Hans im Glück", so wurde er in der Vergangenheit gerne genannt, der eiserne Sparkommissar, der im Haushalt gründlich aufräumt und endlich Schluss macht mit den Schulden. Doch das Image von Hans Eichel hat sich grundlegend gewandelt. Mittlerweile hat der Bundesfinanzminister nur mehr wenig Glück. Keine Woche ohne neue Hiobsbotschaften. Trotz kräftiger Steuererhöhungen und einer satten Sparliste droht der rot-grüne Staat, von einem Schuldenberg verschüttet zu werden. Wie tief die Löcher in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden tatsächlich sind, das erfahren wir in dieser Woche. Heute und morgen tagt der Arbeitskreis Steuerschätzung. Ein finanzpolitisches Waterloo zeichnet sich ab. Die Prognosen sind schwindelerregend. Es drohen Einnahmeausfälle in zweifacher Milliardenhöhe in den kommenden vier Jahren und weiteres Ungemach deutet sich an. - Am Telefon begrüße ich nun den Stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Joachim Poß. Guten Morgen!

    Poß: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Poß, wie viel Freude macht Ihnen in diesen Tagen Ihr Job, die Haushaltspolitik?

    Poß: Schwierige finanzielle Zeiten sind ja nichts Seltenes. Wenn man sich zurückerinnert – und ich gehöre dem deutschen Bundestag seit 1980 an -, dann hatten wir gelegentlich eine solche Situation. Sie ist objektiv schwierig, aber ich denke sie ist zu bewältigen, weil wir die richtigen Maßnahmen ins Auge gefasst haben. Dazu gehört zum Beispiel die Befestigung der Steuergrundlage, nicht Steuererhöhung, wie Sie einleitend gesagt haben, und mehr Steuergerechtigkeit, der Kampf gegen Steuerhinterziehung. Das sind wichtige Stichworte, die in den letzten Tagen zu kurz gekommen sind. Also: wir sind noch mit Freude bei der Arbeit.

    Heinlein: Ihr Generalsekretär Scholz hat gestern eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen. Für welchen Zeitraum gilt denn diese Aussage?

    Poß: Ich glaube, dass in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation eine Erhöhung der Mehrwertsteuer überhaupt nicht zur Debatte stehen darf. Und wenn Herr Westerwelle oder andere das ins Gespräch bringen, dann hat das parteipolitische Gründe, keine ökonomischen.

    Heinlein: Aber nach den beiden Landtagswahlen im Februar könnte die Sache doch schon wieder ein wenig ganz anders aussehen?

    Poß: Das sind Spekulationen, weil, wie Sie ja gehört haben, der Sachverständigenrat leider nicht sehr positiv in seiner Prognose sein wird. Die wirtschaftliche Situation wird also für geraume Zeit noch schwierig bleiben und da verbieten sich solche nicht nur Maßnahmen, sondern auch Diskussionen darüber.

    Heinlein: Die Situation ist schwierig. Das haben Sie jetzt mehrfach betont. Die Steuerschätzung deutet gewaltige Einnahmeausfälle an. Die Konjunktur wird wohl auch nicht richtig anspringen. Wo kann denn nun noch gespart werden, oder welche Steuern müssen jetzt noch erhöht werden?

    Poß: Ich will noch mal wiederholen: Wir bauen Steuersubventionen ab. Das ist eine wesentliche Voraussetzung, um Steuersätze überhaupt denken zu können. Wir verbessern in dem Sinne die Steuerstruktur. Von daher geht es nicht um Steuererhöhungen, mit Ausnahme des Steuersatzes bei der Erdgassteuer. Wir haben also auch nicht vor, wirklich weitere steuerliche Maßnahmen ins Auge zu fassen. Nein! Wir werden aber an den Stellschrauben arbeiten müssen. Das heißt, wir werden die Neuverschuldung nicht so schnell abbauen können, wie wir das ursprünglich geplant haben. Das heißt wir halten Kurs. Wir wollen das ja 2006 auf Bundesebene erreichen, ohne zusätzliche neue Schulden, aber auf dem Weg dahin müssen wir aus den geschilderten konjunkturellen Gründen eine Pause machen, eine Pause einlegen. Das heißt wir werden im nächsten Jahr nicht das angestrebte Ziel 15,5 Milliarden Euro bei der Neuverschuldung erreichen können, sondern werden leider ein wenig höher liegen müssen.

    Heinlein: Angesichts dieser Situation braucht Hans Eichel ja in jedem Fall einen Nachtragshaushalt. Wir haben es gehört. Das ist sicher. Welchen Umfang muss er denn haben? Die Schätzungen liegen ja zwischen 12 und 16 Milliarden Euro.

    Poß: Sie reden jetzt über das Jahr 2002. Vorhin haben wir über das Jahr 2003 gesprochen. Die Schätzungen sind so, wie Sie sie genannt haben, für dieses Jahr gesamtstaatlich jedenfalls, und das wird jetzt abzuwarten sein. Ich will da keine Zahlen nennen. Das werden wir ja morgen Mittag wissen.

    Heinlein: Muss denn Hans Eichel, wenn es so kommt, wie die Prognosen sich abzeichnen, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen, weil die Neuschulden dann über der Investitionsquote liegen und das ja verfassungswidrig ist?

    Poß: Hans Eichel und die Mehrheit des Bundestages werden in einem solchen Fall das tun müssen, was das Grundgesetz dafür vorsieht.

    Heinlein: Neue Schulden, das bedeutet auch Ärger mit Brüssel. Schon jetzt droht ein "blauer Brief". Um wie viel wird man denn über dieser magischen Drei-Prozent-Hürde liegen?

    Poß: Das derzeitige Hauptproblem der staatlichen Haushaltspolitik ist nicht in erster Linie die Einhaltung des europäischen Stabilitätspaktes, sondern wir werden nach morgen Mittag wissen, dass weder der Bund noch die Länder daran vorbei kommen, viele Länder auch nicht daran vorbei kommen, für die Folgejahre Konsolidierungspakete zu schnüren, so wie wir das ja schon gemacht haben mit dem Koalitionsvertrag. Das ist sozusagen das Hauptziel, die Verfassungsmäßigkeit der Haushalte in vielen Ländern erst mal sicherzustellen. Das ist der Hintergrund, auf dem jetzt Politik gemacht werden muss in der Bundesrepublik Deutschland, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene, auf Länderebene, in den Kommunen. Das ist die Hauptherausforderung, nicht die Frage, ob wir in diesem Jahr die Hürde des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und das Defizitkriterium reißen oder nicht reißen.

    Heinlein: Muss sich denn Hans Eichel angesichts der Steuerausfälle, dieser Milliarden Mindereinnahmen nun endgültig verabschieden von seinem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis zum Jahr 2006? Das kann doch nicht mehr erreicht werden.

    Poß: Wir halten Kurs und es ist auch notwendig, dass man Kurs hält, damit man auch Ziele erreichen kann. Das heißt wir setzen auf Konsolidierung, nach wie vor, und den kontinuierlichen vollständigen Abbau der Neuverschuldung. Gleichzeitig stärken wir, was auch oft unter geht in der öffentlichen Debatte, zukunftsrelevante Bereiche wie Familienförderung, Forschung, Bildung, Verkehr, Investitionen. Wir machen ja nicht Finanzpolitik oder Haushaltskonsolidierung der Konsolidierung wegen, sondern um Spielräume zu schaffen für Investitionen, um unseren Beitrag zu leisten zur Wiederbelebung der Konjunktur. Das alles ändert sich nicht. Das heißt diese Linie halten wir durch, auch wenn wir kurzfristig wegen der weltweit eingebrochenen Konjunktur feststellen müssen, dass das Wachstum seit zwei Jahren ausgefallen ist, und nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern europaweit und sogar auch weltweit. Das ist die Situation. Die ist objektiv schwierig, aber die verführt uns nicht dazu, die richtigen politischen Grundlinien zu verlassen.

    Heinlein: Herr Poß, Kurs halten wollen Sie, aber wie sollen denn diese enormen Einnahmeausfälle – es sind ja Zahlen im Raum, 90 Milliarden Euro bis zum Jahr 2006 – kompensiert werden? Die jetzt beschlossenen Maßnahmen reichen ja nicht aus. Da werden Sie doch den Kurs ein wenig ändern müssen?

    Poß: Bei der Zitierung von Zahlen sollte man immer sehr vorsichtig sein. Da purzelt alles wild durcheinander. Ob man über das jetzige Jahr spricht, ob man nur vom Bund spricht oder von Bund, Ländern und Kommunen, oder ob man den ganzen Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung nennt. Von daher geht es wie gesagt um Größenordnungen, die uns Sorgen machen müssen, die dazu führen, dass die meisten Länder demnächst, jetzt ab morgen festzustellen, verfassungswidrige Haushalte haben. Wir haben mit unserem Paket, das wir vorgelegt haben, genau darauf abgezielt, dass die Einnahmesituation von Bund, Ländern und Kommunen verbessert werden kann durch die Befestigung zum Beispiel der Steuerbasis. Das ist der Kern unserer Maßnahmen, die teilweise öffentlich so kritisiert werden. Ich denke, dass die Einsicht in den Ländern ab morgen Mittag wächst, dass es Sinn macht, diese Maßnahmen auch zu realisieren, auch mit Mehrheit im deutschen Bundesrat.

    Heinlein: Also Sie hoffen auf die Unterstützung der Union im deutschen Bundesrat, um das rot/grüne Sparpaket dann durchbringen zu können?

    Poß: Ich hoffe auf die Einsichtsfähigkeit der Union im Bundesrat, weil sie ja sozusagen auch daran interessiert sein müssen, dass alle Ebenen, alle staatlichen Ebenen ihre Finanzierungsfähigkeit behalten.

    Heinlein: Aber es gibt ja schon Ärger mit SPD-Ministerpräsidenten. Herr Gabriel hat angekündigt, dass er noch mal über die Eigenheimzulage reden will.

    Poß: Das geschieht doch immer in solchen Gesetzgebungsprozessen. Das ist ja nichts Neues. Wir haben ja über die Eigenheimzulage geredet und über die Ausgestaltung und sind da auch schon in den bisherigen Beratungen zu Veränderungen gekommen. Das ändert aber nichts an der Grundausrichtung der Politik.

    Heinlein: Der Stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß heute Morgen hier im Deutschlandfunk. – Herr Poß, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio