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Erinnerung, Abbitte und Rechtfertigung

Von den Memoiren des ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush wurden allein in den ersten 24 Stunden nach Erscheinen mindestens 220.000 Exemplare verkauft. Neben Bushs Placet zur Folter durch Waterboarding sorgen auch seine Aussagen zu Alt-Kanzler Schröder für Missstimmung.

Von Katja Ridderbusch |
    "”I hear the voices, and I read the front page, and I know the speculation. But I’m the decider, and I decide what is best.”"

    Er wisse um all die unterschiedlichen Meinungen, sagte George W. Bush einmal. Aber er sei nun eben der Entscheider, derjenige, der sagt, wo es langgeht. Und deshalb hat der 43. Präsident der Vereinigten Staaten seine Memoiren auch "Decision Points" getauft: Wegmarken der Entscheidung.
    Seit er im Januar 2009 die Amtsgeschäfte an Barack Obama übergab, hat George W. Bush sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

    "”I can report that there is a life after the White House.”"

    Nun könne er sagen: Es gibt ein Leben nach dem Weißen Haus, so Bush bei einem seiner seltenen Auftritte. Das Leben eines Buchautors, zum Beispiel.

    In bester Laune zieht Bush in diesen Tagen durchs Land. Seine Memoiren fallen in den USA auf politisch fruchtbaren Boden: Präsident Obama steckt in einem Umfragetief, und die Republikaner haben bei den Halbzeitwahlen zum Kongress das Repräsentantenhaus zurückerobert.
    Doch Bush will sich nicht mehr vor den Karren der Parteipolitik spannen lassen. Auf den knapp 500 Seiten seines Buches findet sich kein einziges böses Wort über seinen Nachfolger.

    "Decision Points" – das sind Wegmarken im persönlichen und politischen Leben des George W. Bush: angefangen bei der Entscheidung, dem Alkohol abzuschwören - über die Wahl zum Präsidenten, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Kriege in Afghanistan und im Irak bis hin zur Finanzkrise.

    Wer Enthüllungen erwartet, der wird enttäuscht. Das Buch ist eine Mischung aus Erinnerung, Abbitte und Rechtfertigung.
    Bush gibt freimütig eine Reihe von politischen Fehlern zu. Zum Beispiel, dass er nach Hurrikan Katrina zu spät nach New Orleans gereist sei.

    "”That was a huge mistake. No question about it.”"

    Und wie war das mit den vermeintlichen Massenvernichtungswaffen im Irak, die nie gefunden wurden?

    Niemand war schockierter und wütender als ich, dass wir die Waffen nicht gefunden haben. Der Gedanke daran macht mich krank, bis heute.

    ... schreibt Bush. Und damit ist das Thema für ihn dann auch erledigt. Dass der Krieg trotzdem eine gute Entscheidung gewesen war, daran hält er fest.

    "”Ich hatte nicht den Luxus, die Entwicklung in Ruhe abzuwarten. Als Präsident hat man diesen Luxus nicht. Klar ist aber eines: Die Welt ist besser dran ohne Saddam Hussein. 25 Millionen Menschen haben nun die Möglichkeit, in Freiheit zu leben.""

    Ohne den Hauch eines Zweifels rechtfertigt Bush auch die umstrittene Verhörmethode des Waterboarding, des simulierten Ertränkens. Drei hochrangige Mitglieder des Terrornetzwerks Al-Qaida seien auf diese Art gefoltert worden – und zwar mit Erfolg:

    "”Ich kann Ihnen versichern: Diese Verhörmethode hat Leben gerettet. Mein Job als Präsident war es, Amerika zu beschützen. Und das habe ich getan. Und deshalb war die Entscheidung richtig.""

    George W. Bush hat sich nie den Ruf eines Intellektuellen erworben. Reflexion und Analyse sind seine Sache nicht - nicht als Präsident, und auch nicht als Autor.

    Das lässt sich aber auch durchaus als Stärke seiner Memoiren verstehen: Bush ist sich in seinem Buch treu geblieben. Seine Sprache ist authentisch: markig, hemdsärmelig, hausbacken, schnörkellos - und recht schlicht. Der Hauptsatz ist die dominierende Stilform. Der Kritiker der New York Times quittiert es mit mildem Spott:

    Die Prosa von "Decision Points" ist praktisch, die Sprache wie ein Stakkato. Der Ton schwankt zwischen Eifer und Rechtfertigung, Verbrüderung und beleidigter Missachtung, einer religiösen Gewissheit und fast trotzigen Vergesslichkeit.

    Ein "echter Bush" also.
    Zu den stärksten Passagen des Buches zählt die Beschreibung des 11. September 2001. Da zeigen die Memoiren stellenweise dokumentarische Dichte – ebenso wie kurze Momente unfreiwilliger Komik. Der Leser erlebt den Tag der Terroranschläge als eine Art inneren Monolog des Präsidenten.

    "”Mein Blut kochte. Ich wusste: Wir würden herausfinden, wer dafür verantwortlich war. Und dann würden wir diesen Leuten in ihre Hintern treten und sie fertig machen.""

    Mit "Decision Points”, meinen böswillige Kritiker, versuche George W. Bush, sein Erbe für die Geschichtsbücher zu frisieren. Das mag stimmen. Doch eigentlich ist der Ton der Memoiren nicht der eines Mannes, den allzu große Sorgen um seinen Ruf plagen:

    "”Ich hoffe, dass meine Präsidentschaft als Erfolg gesehen wird. Aber ich werde lange tot sein, wenn die Geschichte ihr Urteil fällt. Jedenfalls weiß ich: Ich habe mein Bestes gegeben, ich liebe Amerika, und es war mir eine Ehre, meinem Land zu dienen.""

    Heute steht er im Dienste einer guten Nachbarschaft in seiner neuen Heimat Dallas in Texas. Mit einem Augenzwinkern beendet Bush sein Buch, berichtet über Spaziergänge mit seinem Hund Barney und erzählt, mit welchen Wegmarken und Entscheidungen er heute zu tun hat:

    Barney suchte sich den Rasen des Nachbarn aus, um sein Geschäft zu erledigen. Da war ich nun, der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten, mit einer Plastiktüte in der Hand, und ich hob etwas auf, vor dem ich mich acht Jahre lang gedrückt hatte.


    George W. Bush: Decision Points.
    Crown Publishing Group, 512 Seiten, Euro 19,95
    ISBN 978-0-307-59061-9