Wiese: Kommen wir auf die Rolle von Präsident Schewardnadse zu sprechen, Herr Erler. An den haben die Deutschen ja eigentlich sehr gute Erinnerungen, schließlich hat er als früherer sowjetischer Außenminister viel für die deutsche Einheit getan und sich auch immer wieder eigentlich demokratisch bewährt. Wie beurteilen Sie heute diese Änderung? Er stellt sich ja sehr stur dar.
Erler: Allerdings muss man auch sagen, dass bestimmt nicht Schewardnadse alleine für diese ganzen Vorgänge verantwortlich ist. Er hat ein zerrüttetes Land übernommen, in Georgien gibt es die meisten so genannten "frozen conflicts", also die eingefrorenen Konflikte, in der ganzen Kaukasusregion, mit Adscharien, Abchasien, Süd-Ossetien und auch mit der prekären Lage in der Grenzregion zu Tschetschenien. Das heißt dieses Land ist voller innerer Konflikte, und wahrscheinlich wird man einmal die historische Leistung von Schewardnadse eher darin sehen, dass er in dieser höchst komplizierten Zeit einen Bürgerkrieg verhindert hat und noch großes Vertrauen gerade im Westen gewinnen konnte. Georgien ist das Land, was aus den Kaukasusrepubliken die meisten Hilfen von Deutschland und auch von der EU bekommt, umso enttäuschender ist es, dass jetzt diese Krise in einer typischen Lage dieser Region entstanden ist, denn es geht natürlich schon in Wirklichkeit auch bei dieser Wahl um die Nachfolgefrage. Schewardnadse wird nur noch bis Frühjahr 2005 Präsident sein und diese Wahl entscheidet letztlich auch darüber, wie die Ausgangsposition seiner potentiellen Nachfolger ist.
Wiese: Gibt es denn da einen Favoriten, den Schewardnadse vielleicht selber ins Amt hieven will?
Erler: Es gibt zwei wichtige Bewerber und Bewerberinnen. Das eine ist der ehemalige Justizminister Saakaschwili und das zweite ist Nino Burdschanadse, das ist die bisherige Parlamentspräsidentin. Schewardnadse scheint für keinen der beiden potentiellen Nachfolger irgendwelche Aktivitäten entfalten zu wollen, aber es ist natürlich klar, dass diese aus verschiedenen Parteien kommenden Bewerberinnen und Bewerber jetzt auch versuchen taktisch in dieser Situation zu handeln, um sich eine günstige Ausgangsposition zu verschaffen. Aber es ist bemerkenswert, dass sie auch zu Gesprächen mit Schewardnadse bereit waren und was wir im Augenblick nicht richtig beurteilen können, aber auch nicht verstehen, ist, dass bei diesen Gesprächen - und das ist ja bemerkenswert, dass die frustrierten Oppositionssprecher zu diesen Gesprächen bereit waren und nicht nur alleine auf die Mobilisierung der Straße setzten -, dass er hier keinerlei Zusagen auch was das Wahlergebnis angeht, gemacht hat. Sie fordern Wiederholung der Wahlen und seinen Rücktritt oder beides. Er hat in keinem Punkt irgendein Zugeständnis gemacht, das hat die Lage allerdings komplizierter gemacht und beunruhigt die westlichen Staaten jetzt sehr.
Wiese: Können Sie denn diese Rücktrittsforderungen nachvollziehen? Würden Sie sich solchen Forderungen auch anschließen wollen?
Erler: Das steht mir überhaupt gar nicht von außen zu, das zu tun. Es ist kein Zufall, dass die EU sich jetzt auf die Frage Transparenz des Wahlergebnisses konzentriert. Es geht nicht an, dass eine Wahl stattfindet und der Bürger erfährt hinterher überhaupt nicht, was bei dieser Wahl herausgekommen ist. Der Präsident hat die Aufgabe und die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass jetzt Transparenz in dieses Wahlergebnis kommt. Das ist wichtiger und überzeugender als ihn zum Rücktritt aufzufordern.
Wiese: Herr Erler, der russische Präsident Putin hat Schewardnadse alle erdenkliche Unterstützung zugesagt. Was steckt denn Ihrer Meinung nach dahinter? Will er vielleicht Einfluss gewinnen auf diese ehemalige Sowjetrepublik?
Erler: Er hat natürlich Einfluss in einem Land, was inzwischen in der Mehrheit eher kritisch gegenüber diesem mächtigen Nachbarn ist, von dem man immer wieder auch vermutet, dass er eine Mitverantwortung dafür trägt, dass diese regionalen Konflikte, vor allen Dingen der in Abchasien, das ist der schwierigste, nicht zu einem guten Ende kommen. Aber auch Putin guckt natürlich nicht nur nach Georgien sondern auch nach Tschetschenien und in die ganze unruhige Nordkaukasusregion. Und er kann überhaupt kein Interesse daran haben, dass in Georgien unübersichtliche Verhältnisse entstehen. Er braucht einen Ansprechpartner in diesem Land, er braucht das auch wegen der schwierigen Grenzverhältnisse mit Tschetschenien, die nicht ganz kontrolliert sind, und wo er auf die Mitwirkung georgischer Sicherheitskräfte angewiesen ist.
Wiese: Aber dieser Ansprechpartner muss nicht unbedingt demokratisch legitimiert sein, oder?
Erler: Aber ein Chaos, sage ich mal, eine unübersichtliche Situation, wo gar niemand mehr für Georgien sprechen kann oder wo eine längere Vakanz oder eine längere Unruhesituation entsteht, wäre völlig gegen die russischen Interessen.
Wiese: Das war der stellvertretende SPD Fraktionschef und Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe Gernot Erler, vielen Dank für das Gespräch.