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Erler fordert Sunniten im Irak zur Mitwirkung auf

Hans-Joachim Wiese: Wochenlang versuchten Terroristen, die Wahl im Irak und damit eine demokratisch legitimierte Regierung und ein Parlament zu verhindern. Jedes Mittel war ihnen Recht, nahezu täglich erschütterten blutige Anschläge das Land, die Terroristen haben ihr Ziel nicht erreicht, auch wenn der gestrige Wahltag von Gewalt überschattet war. Trotz aller Drohungen und Boykottaufrufe nutzen rund 60 Prozent der irakischen Bevölkerung die erste Gelegenheit seit rund 50 Jahren, demokratisch zu wählen. Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Außenpolitiker Gernot Erler. Herr Erler, besonders zufrieden über die Wahl im Irak äußerte sich US-Präsident Bush, in großer Zahl und unter großem Risiko hätten die Iraker ein Bekenntnis zur Demokratie abgelegt, sagte er, der Demokratie im Land und im ganzen Nahen Osten zum Durchbruch zu verhelfen. Das war ein erklärtes Ziel des Irakkrieges. Rechtfertig die gestrige Wahl also diesen Krieg nachträglich?

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Gernot Erler: Ich glaube, dass die Probleme im Irak immer noch nicht überwunden sind, aber ich bin selber auch voller Respekt und voller Bewunderung für den Mut der irakischen Bevölkerung, die hier ein sehr deutliches Signal gesetzt hat, geradezu eine Demonstration dafür abgegeben hat, dass sie sich nicht einschüchtern lässt von dem Terror. Und das ist wirklich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Normalisierung und vielleicht zu einem neuen politischen Abschnitt in der Geschichte des Irak und das ist nicht von allen Leuten erwartet worden und das ist auch eine eindeutige Niederlage für die Terroristen.

    Wiese: Aber ist es nicht auch eine eindeutige Niederlage für die Gegner des Irakkriegs? Denn ohne diesen Krieg, das kann man doch wohl mit Fug und Recht sagen, hätte es diese Wahl nicht gegeben.

    Erler: Die Gegner des Irakkrieges haben immer darauf hingewiesen, dass es eine andere Möglichkeit gegeben hat, eine Möglichkeit Saddam Hussein ohne tausende, zehntausende von Toten von der Macht wegzubringen, durch die internationale Politik und durch die Kontrolle über seine Furcht erregenden Waffenarsenale, die ja schon sehr weit fortgeschritten war und ich glaube, an dieser Einschätzung wird auch diese Wahl nichts ändern.

    Wiese: Sie haben die Waffenarsenale von Saddam Hussein erwähnt, das war ja auch ein weiterer, oder der Kriegsgrund, der wichtigste vielleicht. Die Massenvernichtungswaffen, die angeblich dort vorhanden sind, die wurden allerdings nie gefunden. Nun heißt es auch in Amerika, die Einführung der Demokratie im ganzen Nahen Osten sei das Ziel. Ist das eine nachträgliche Revision jetzt angesichts dieser Wahl der Kriegsziele?

    Erler: Das ist in der Tat, wenn man es vergleicht mit der Begründung, die man ja nur mit einer Bedrohung für Amerika begründen konnte, einen solchen Krieg, eine solche Veränderung der Zielsetzung und ich denke, dass für einige das auch geradezu eine bedrohliche Begründung ist. Ich erinnere hier an die aktuelle Diskussion über eventuelle amerikanische, zumindest technische Vorbereitungen auf andere militärische Eingriffe in der Region, etwa im Iran, dann kriegt man ja schon eine Gänsehaut, wenn man sich überlegt, dass das vielleicht eine Politik zur gewaltsamen Einführung von anderen Regime-Changes, also Änderungen von Regierungen sein könnte. Insofern ist das Thema Irakkrieg - Wie geht man mit solchen Regimen um? Wie schafft man es, eine friedliche Atmosphäre in dieser ganzen Region zu schaffen? - absolut aktuell auch nach dieser Wahl

    Wiese: Wenn diese Wahl nun zu einer Demokratisierung im Irak führen wird, was ja offensichtlich der Fall ist, denn die Wahl ist ja nun ganz gut über die Bühne gegangen, dann hat das doch tatsächlich Signalwirkung für die weitere Demokratisierung in der Region, etwa in Palästina, in Syrien oder auch im Iran, oder muss es dann ihrer Meinung nach automatisch auch wieder mit militärischer Drohung vor sich gehen?

    Erler: Nein, es gibt ja schon seit dem letzten Jahr auch eine transatlantische Diskussion darüber, wie man vielleicht jetzt ganz bewusst in Abkehr von dem militärischen Interventionismus zu einer friedlichen Entwicklung, einer Stabilitätsentwicklung dieser Region kommt. Das läuft unter diesem Titel "Broader Middle East", also der erweiterte Nahe Osten und hier soll es ja eine gemeinsame Stabilitätspolitik von Amerika mit den europäischen Ländern geben. Wir haben diese Chance des Neuanfanges in Israel und Palästina, also in dem eigentlichen Nahostkonflikt, der sicherlich der Schlüsselkonflikt für die ganze Region ist. Das heißt, die Wahl im Irak hat jetzt zu diesem relativ optimistische Szenarium, was wir in diesem Jahr vorfinden, sicherlich einen wichtigen Beitrag geleistet, aber das Entscheidende ist, dass Amerika und Europa hier zusammen arbeiten und wirklich ein Angebot für Stabilität auch für eine stärkere Zivilgesellschaft, für insofern friedliche Anreize, für eine konstruktive Politik und für eine demokratische Politik in dieser Region machen. Darauf kommt es an.

    Wiese: Lassen Sie uns noch ein wenig über die Wahl selbst reden, auch wenn es noch kein Wahlergebnis gibt. Wie immer dieses Ergebnis aussehen wird, es wird ja nicht das gesamte irakische Volk repräsentieren, denn die Sunniten haben die Wahl boykottiert.

    Erler: Wir hören, dass das zumindest nicht durchgängig der Fall gewesen ist, aber es ist klar: Die Sunniten sind die Verlierer von dem ganzen Prozess, weil die Mehrheit der Schiiten jetzt sich auch widerspiegeln wird in einer neuen Regierung und in einer neuen demokratischen Vertretung des Landes, während das eben früher, in eindeutiger Verkehrung der Mehrheitsverhältnisse, die Sunniten waren. Es ist zu wünschen, dass gerade auch die beeindruckende Art und Weise, wie die Wahl durchgeführt worden ist, die Sunniten zur Besinnung bringt, dass sie doch teilhaben an diesem neuen Abschnitt in der Entwicklung des Irak und nicht in ihrer Ecke der Resignation und auch der Verärgerung sitzen bleiben.

    Wiese: Also die Gefahr eines Bürgerkrieges, einer Spaltung des Landes, die sehen Sie noch nicht völlig gebannt?

    Erler: Ich glaube, dass eine positive Wirkung von dieser Wahl auch auf diese Frage des inneren Zusammenhalts ausgeht, aber es ist natürlich noch ein großes Stück Wegs zurückzulegen, um auch die Sunniten an den Verhandlungstisch, an die Mitarbeit, an die Verantwortung für das Land zu bringen.

    Wiese: Nun geht es ja zunächst einmal um die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung für den Irak. Wie sollte die denn aussehen, damit sie das ganze Land repräsentiert?

    Erler: Ich glaube, wir müssen jetzt erst mal die Ergebnisse der Wahlen abwarten, weil die Tendenz natürlich auch von den Ergebnissen abhängt. Hier haben ja nun auch sehr unterschiedliche Gruppierungen an der Wahl teilgenommen und jetzt werden wir sehen, wie die Bürger entschieden haben und davon wird die ganze Richtung, welchen Charakter diese Verfassung haben wird, auch sehr stark abhängen. Das ist schwierig, heute schon Prognosen dafür zu stellen.

    Wiese: Welche Auswirkungen, wird denn die Wahl auf die deutsche Politik haben? Wird es da irgendwelche Änderungen, ein größeres Engagement geben?

    Erler: Ein größeres Engagement kann es dann geben, vor allem, was die Tätigkeit der privaten Wirtschaft angeht, wenn jetzt diese Wahl, was ich mir wünsche, was, glaube ich, alle Menschen wünschen, tatsächlich zu einer Zurückdämmung der Aktivitäten der Terroristen führt und dadurch die Sicherheitslage im Land verändert. Aber in dem Kernbereich der Politik gibt es durch diese Wahl keine Veranlassung für Deutschland die eigene Politik zu ändern. Wir haben schon im Vergleich zu vielen anderen Ländern einen Beitrag geleistet zur Ausbildung von Sicherheitskräften, von Polizisten und auch von Militär im Irak. Wir setzten das auch fort. Wir haben sehr viel im Bereich der Entschuldung des Irak, des Erlasses von Schulden geleistet und auch im Bereich von humanitärer Hilfe und es gibt insofern an dieser konstruktiven Politik auch nichts zu ändern.

    Wiese: Auch nicht in der Frage des militärischen Engagements, das die Bundesregierung ja nach wie vor vehement ablehnt, wenn zum Beispiel eine neue irakische Regierung darum bitten würde?

    Erler: Ich sehe hier überhaupt keinen Spielraum, etwas zu ändern. Erstens haben wir hier eine klare Aussage von Anfang an gemacht, zweitens wird die international übrigens auch von der Übergangsregierung akzeptiert. Wir haben gesagt, auf welchem Gebiet wir einen Beitrag leisten und dazu kommt, dass ja nun durch diese Entwicklung im Irak die anderen Aufgaben, die die Bundesrepublik hier wahrnimmt, nicht leichter geworden sind, weder in Afghanistan, noch auf dem Balkan, wo in diesem Jahr auch sehr schwierige Zeiten bevor stehen, weil dort Entscheidungen getroffen werden müssen. Das heißt, wir sind so stark engagiert bei anderen internationalen Friedensaufgaben, dass schon von daher eine Änderung unserer Politik überhaupt nicht vernünftig wäre.