Gernot Erler: Tag.
Engels: Bei all diesen jüngsten Terroranschlägen und Geiseldramen liegt die Vermutung nahe, dass tschetschenische Extremisten dahinter stecken. Teilen Sie die Einschätzung und möglicherweise auch die Brücke zu islamistischen Terroristen?
Erler: Ich möchte als erstes sagen, dass natürlich in dieser Stunde unsere ganzen Gedanken und unser Mitgefühl bei den Kindern ist, die da in Geiselhaft genommen worden sind und natürlich auch bei den Eltern und Lehrern, die diesen schrecklichen ersten Schultag erleben und dass wir sehr hoffen müssen, dass das nicht einen ähnlichen Verlauf nimmt wie damals im Oktober 2002 bei dem Überfall auf das Musicaltheater, wo ja bei der Erstürmung dann über 120 Opfer zu beklagen waren unter den Geiseln. Um ihre Frage zu beantworten: der Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Konflikt ist offensichtlich. Er ist ja inzwischen bestätigt worden für die Flugzeugabstürze, er ist wahrscheinlich für das gestrige Attentat in der Innenstadt von Moskau und er ist ganz offensichtlich jetzt auch durch die Forderungen der Geiselnehmer, so dass wir eine enorme Intensivierung dieser Aktivitäten in einer einzigen Woche in Russland haben und dass das auch einen Zusammenhang hat mit den Wahlen, die am letzten Sonntag in Tschetschenien stattgefunden haben.
Engels: Steht Präsident Putin vor den Trümmern seiner Tschetschenienpolitik?
Erler: Ich glaube, er wird zunehmend erkennen, dass er auch unter Druck gerät, in der russischen Öffentlichkeit Auskunft zu geben, wie eigentlich die Sicherheit des Landes selber in Zukunft gestaltet werden soll. Er gibt ja immer sehr positive optimistische Auskunft über den Prozess der Konfliktlösung in Tschetschenien und sagt, dass im Grunde genommen militärisch alles unter Kontrolle ist und dass man große Fortschritte gemacht habe und dass die so genannte Tschetschenisierung des Konfliktes, also die Übergabe in die Verantwortung der Tschetschenen selber große Fortschritte mache - so hat er auch die Wahl eingeordnet - und die Leute fragen sich natürlich, wie das alles stimmen kann, wenn doch die Anschläge, die immer näher rücken an die Menschen in Russland selbst in einer derartigen Weise innerhalb einer Woche eskalieren können.
Engels: In diese positive und optimistische Stimmung von Präsident Putin hat sich nun ja offenbar auch der deutsche Bundeskanzler eingereiht, indem er nach dem russisch-französischen-deutschen Gipfel gesagt hatte, er könne eine empfindliche Störung der Wahl in Tschetschenien vom letzten Wochenende nicht feststellen. Sehen Sie das auch so?
Erler: Dazu muss man zwei Dinge sagen: Es war eine Antwort auf eine Frage, die dort gestellt worden ist, nach dem Charakter der Wahl und es ist eine Tatsache, dass trotz Ankündigung der Attentäter, Terroristen und tschetschenischen Kämpfer die Wahlen technisch gesehen tatsächlich weitgehend ungestört verlaufen sind. Das ändert nichts daran, dass diese Wahlen nach meiner Überzeugung nicht fair waren, dass da vom Kreml vorausbestimmt war, wer gewinnt. Und so sehen das auch alle internationalen Wahlbeobachter, eine offizielle Wahlbeobachtung hat es ja nicht gegeben. Aber auf der anderen Seite ist positiv zu vermerken, dass doch seit langer Zeit bei diesem Dreiergipfel offensichtlich intensive Gespräche über das Tschetschenienproblem geführt worden sind. Präsident Chirac hat auf der Pressekonferenz ausführlich darüber berichtet und Putin hat das auch bestätigt. Das heißt, anders als es auf der Planung gewesen ist, hat es Gespräche über diesen Konflikt gegeben und sowohl Schröder als auch Chirac haben noch mal auf den russischen Präsidenten eingewirkt, eine politische Lösung zu suchen und nicht zu sehr auf die militärische Lösung des Konfliktes zu setzen. Das hat jedenfalls auch Chirac noch mal sehr deutlich auf die Frage, die von Journalisten dort kam, ausgeführt.
Engels: Doch der Bundeskanzler hat den Wahlverlauf in Tschetschenien gerechtfertigt, er hat nicht einmal Besorgnis über ihn geäußert, obwohl er durch die internationalen Wahlbeobachter, die nicht anreisten, auch sehr kritisiert worden war. Kann dann der Bundeskanzler diese Entscheidungen einfach ignorieren?
Erler: Ich glaube, ihm ist völlig klar, welchen Charakter diese Wahl hatte. Er wollte offensichtlich einer Kritik an dem ganzen Wahlvorgang und damit auch der russischen Politik in Tschetschenien auf diese Journalistenfrage ausweichen. Das kann man auf keinen Fall als eine Art Rechtfertigung oder Persilschein werten.
Engels: Aber er hat es in Deutschland wiederholt.
Erler: Er hat sich immer nur auf Begleiterscheinungen der Wahl bezogen und keineswegs auf den Charakter der Wahl selbst. Ich glaube nicht, dass man ihm unterstellen sollte, dass er davon ausgeht, dass diese Wahlen internationalen Ansprüchen auf Fairness und Chancengleichheit der Kandidaten entsprochen haben.
Engels: Ist die deutsche Außenpolitik gegenüber Russland noch glaubwürdig?
Erler: Die russische Politik braucht im Augenblick unsere Unterstützung, ich glaube, in dieser Situation, wo 400 Kinder in Gefangenschaft sind, wo in einer Woche schwerste Attentate, die ja auch nur zufällig nicht auch andere Menschen getroffen haben als Russen, geschehen sind, in dem Augenblick ist es sicher nicht entscheidend, dass man Kritik übt, sondern hier muss man sich überlegen, wie man gemeinsam zu Lösungen kommt und wie man auch Hilfe anbietet und guten Rat, um mit dieser aktuellen Situation klarzukommen. Das ist das Gebot des Augenblicks, aber ich bin persönlich davon überzeugt, dass die russische Regierung eine andere Politik in Tschetschenien braucht, dass sie darüber nachdenken muss, in welcher Richtung dieser stereotypen Formulierung, "dass man auf dem richtigen Weg ist" und "vorwärts kommt", überdacht werden und dass endlich eine Politik vor allen Dingen auch der wirtschaftlichen Unterstützung Tschetscheniens, die sichtbar gemacht werden muss, damit dort wieder Hoffnung aufkeimt.
Denn wer sich genau mit der dortigen Situation beschäftigt, etwa die Berichterstattung der Delegation des Europarates und der Menschenrechtsorganisationen, weiß, dass die Menschen dort verzweifelt sind. Dass es keinen Fortschritt gibt und dass nach wie vor Leute verschwinden, schwerste Menschenrechtsverbrechen begangen werden, zum Teil von Tschetschenen, aber auch immer wieder von russischen Ordnungskräften und solange das nicht wirklich beendet wird, gibt es auch keine Chance auf ein Ende des Terrors.
Engels: Gernot Erler, der stellvertretende Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Erler: Ich bedanke mich bei Ihnen.
Engels: Bei all diesen jüngsten Terroranschlägen und Geiseldramen liegt die Vermutung nahe, dass tschetschenische Extremisten dahinter stecken. Teilen Sie die Einschätzung und möglicherweise auch die Brücke zu islamistischen Terroristen?
Erler: Ich möchte als erstes sagen, dass natürlich in dieser Stunde unsere ganzen Gedanken und unser Mitgefühl bei den Kindern ist, die da in Geiselhaft genommen worden sind und natürlich auch bei den Eltern und Lehrern, die diesen schrecklichen ersten Schultag erleben und dass wir sehr hoffen müssen, dass das nicht einen ähnlichen Verlauf nimmt wie damals im Oktober 2002 bei dem Überfall auf das Musicaltheater, wo ja bei der Erstürmung dann über 120 Opfer zu beklagen waren unter den Geiseln. Um ihre Frage zu beantworten: der Zusammenhang mit dem Tschetschenien-Konflikt ist offensichtlich. Er ist ja inzwischen bestätigt worden für die Flugzeugabstürze, er ist wahrscheinlich für das gestrige Attentat in der Innenstadt von Moskau und er ist ganz offensichtlich jetzt auch durch die Forderungen der Geiselnehmer, so dass wir eine enorme Intensivierung dieser Aktivitäten in einer einzigen Woche in Russland haben und dass das auch einen Zusammenhang hat mit den Wahlen, die am letzten Sonntag in Tschetschenien stattgefunden haben.
Engels: Steht Präsident Putin vor den Trümmern seiner Tschetschenienpolitik?
Erler: Ich glaube, er wird zunehmend erkennen, dass er auch unter Druck gerät, in der russischen Öffentlichkeit Auskunft zu geben, wie eigentlich die Sicherheit des Landes selber in Zukunft gestaltet werden soll. Er gibt ja immer sehr positive optimistische Auskunft über den Prozess der Konfliktlösung in Tschetschenien und sagt, dass im Grunde genommen militärisch alles unter Kontrolle ist und dass man große Fortschritte gemacht habe und dass die so genannte Tschetschenisierung des Konfliktes, also die Übergabe in die Verantwortung der Tschetschenen selber große Fortschritte mache - so hat er auch die Wahl eingeordnet - und die Leute fragen sich natürlich, wie das alles stimmen kann, wenn doch die Anschläge, die immer näher rücken an die Menschen in Russland selbst in einer derartigen Weise innerhalb einer Woche eskalieren können.
Engels: In diese positive und optimistische Stimmung von Präsident Putin hat sich nun ja offenbar auch der deutsche Bundeskanzler eingereiht, indem er nach dem russisch-französischen-deutschen Gipfel gesagt hatte, er könne eine empfindliche Störung der Wahl in Tschetschenien vom letzten Wochenende nicht feststellen. Sehen Sie das auch so?
Erler: Dazu muss man zwei Dinge sagen: Es war eine Antwort auf eine Frage, die dort gestellt worden ist, nach dem Charakter der Wahl und es ist eine Tatsache, dass trotz Ankündigung der Attentäter, Terroristen und tschetschenischen Kämpfer die Wahlen technisch gesehen tatsächlich weitgehend ungestört verlaufen sind. Das ändert nichts daran, dass diese Wahlen nach meiner Überzeugung nicht fair waren, dass da vom Kreml vorausbestimmt war, wer gewinnt. Und so sehen das auch alle internationalen Wahlbeobachter, eine offizielle Wahlbeobachtung hat es ja nicht gegeben. Aber auf der anderen Seite ist positiv zu vermerken, dass doch seit langer Zeit bei diesem Dreiergipfel offensichtlich intensive Gespräche über das Tschetschenienproblem geführt worden sind. Präsident Chirac hat auf der Pressekonferenz ausführlich darüber berichtet und Putin hat das auch bestätigt. Das heißt, anders als es auf der Planung gewesen ist, hat es Gespräche über diesen Konflikt gegeben und sowohl Schröder als auch Chirac haben noch mal auf den russischen Präsidenten eingewirkt, eine politische Lösung zu suchen und nicht zu sehr auf die militärische Lösung des Konfliktes zu setzen. Das hat jedenfalls auch Chirac noch mal sehr deutlich auf die Frage, die von Journalisten dort kam, ausgeführt.
Engels: Doch der Bundeskanzler hat den Wahlverlauf in Tschetschenien gerechtfertigt, er hat nicht einmal Besorgnis über ihn geäußert, obwohl er durch die internationalen Wahlbeobachter, die nicht anreisten, auch sehr kritisiert worden war. Kann dann der Bundeskanzler diese Entscheidungen einfach ignorieren?
Erler: Ich glaube, ihm ist völlig klar, welchen Charakter diese Wahl hatte. Er wollte offensichtlich einer Kritik an dem ganzen Wahlvorgang und damit auch der russischen Politik in Tschetschenien auf diese Journalistenfrage ausweichen. Das kann man auf keinen Fall als eine Art Rechtfertigung oder Persilschein werten.
Engels: Aber er hat es in Deutschland wiederholt.
Erler: Er hat sich immer nur auf Begleiterscheinungen der Wahl bezogen und keineswegs auf den Charakter der Wahl selbst. Ich glaube nicht, dass man ihm unterstellen sollte, dass er davon ausgeht, dass diese Wahlen internationalen Ansprüchen auf Fairness und Chancengleichheit der Kandidaten entsprochen haben.
Engels: Ist die deutsche Außenpolitik gegenüber Russland noch glaubwürdig?
Erler: Die russische Politik braucht im Augenblick unsere Unterstützung, ich glaube, in dieser Situation, wo 400 Kinder in Gefangenschaft sind, wo in einer Woche schwerste Attentate, die ja auch nur zufällig nicht auch andere Menschen getroffen haben als Russen, geschehen sind, in dem Augenblick ist es sicher nicht entscheidend, dass man Kritik übt, sondern hier muss man sich überlegen, wie man gemeinsam zu Lösungen kommt und wie man auch Hilfe anbietet und guten Rat, um mit dieser aktuellen Situation klarzukommen. Das ist das Gebot des Augenblicks, aber ich bin persönlich davon überzeugt, dass die russische Regierung eine andere Politik in Tschetschenien braucht, dass sie darüber nachdenken muss, in welcher Richtung dieser stereotypen Formulierung, "dass man auf dem richtigen Weg ist" und "vorwärts kommt", überdacht werden und dass endlich eine Politik vor allen Dingen auch der wirtschaftlichen Unterstützung Tschetscheniens, die sichtbar gemacht werden muss, damit dort wieder Hoffnung aufkeimt.
Denn wer sich genau mit der dortigen Situation beschäftigt, etwa die Berichterstattung der Delegation des Europarates und der Menschenrechtsorganisationen, weiß, dass die Menschen dort verzweifelt sind. Dass es keinen Fortschritt gibt und dass nach wie vor Leute verschwinden, schwerste Menschenrechtsverbrechen begangen werden, zum Teil von Tschetschenen, aber auch immer wieder von russischen Ordnungskräften und solange das nicht wirklich beendet wird, gibt es auch keine Chance auf ein Ende des Terrors.
Engels: Gernot Erler, der stellvertretende Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Erler: Ich bedanke mich bei Ihnen.