Donnerstag, 25. April 2024

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Ermittlungen gegen Edathy
"Gabriel durfte eigentlich nicht informiert werden"

Im Fall Edathy gerät nicht nur der Beschuldigte ins Visier der Justiz. Wer entsprechende Informationen weitergegeben habe, gegen den müsse die Staatsanwaltschaft auch ermitteln, sagte Rüdiger Deckers, ein angesehener Fachanwalt für Strafrecht, im DLF.

Rüdiger Deckers im Gespräch mit Stephanie Rohde | 14.02.2014
    Christoph Heinemann: Alle 16 Landeskriminalämter wissen einem Zeitungsbericht zufolge seit Oktober vergangenen Jahres von den Ermittlungen gegen den SPD-Politiker Edathy. Wie die "Leipziger Volkszeitung" unter Berufung auf Regierungs- und Ermittlerkreise in Berlin berichtet, wurden die Hinweise zu dem Fall im gleichen Umfang vom Bundeskriminalamt an das Bundesinnenministerium und die Landeskriminalämter übermittelt. Insofern sei die potenzielle Bandbreite undichter Quellen und möglicher frühzeitiger Informationsweitergaben an Edathy relativ breit. SPD-Chef Sigmar Gabriel bekam die Information vom damaligen CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich. Darüber hat meine Kollegin Stephanie Rohde mit dem Strafrechtsanwalt Rüdiger Deckers gesprochen. Er ist Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins. Erste Frage: Durfte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich SPD-Politiker über die Ermittlungen informieren?
    Rüdiger Deckers: Das ist eine schwierige und heikle Frage. Er hat, soweit ich das verstanden habe aus den Nachrichten, kein konkretes Ermittlungsverfahren genannt und er hat auch nicht etwas über den Gegenstand der Ermittlungen genannt. Dass es überhaupt Ermittlungen gibt, ist natürlich normalerweise auch ein Geheimnis, das gewahrt werden muss. Ich würde eher sagen, er dürfte es nicht.
    Stephanie Rohde: Gabriel ist ja Parteichef gewesen, damals und auch immer noch, war also kein Amtsträger in diesem Sinne. Durfte er überhaupt diese Informationen bekommen?
    Deckers: Der Empfänger kann ja nichts dafür, wenn ihm irgendetwas berichtet wird. Sie meinen jetzt, ob an ihn weitergegeben werden durfte?
    Rohde: Genau, weil er eben kein Amtsträger ist.
    Deckers: Das ist die Frage, weil er eine Privatperson ist und weil es nicht innerhalb eines amtlichen Kommunikationssystems war. Ich bin der Meinung, dass er das nicht durfte. Gabriel durfte eigentlich nicht informiert werden. Das ist ja ein staatliches, ein hoheitliches Geheimnis, und das ist auch zu wahren.
    Rohde: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat jetzt laut "Spiegel Online" angekündigt, einen Anfangsverdacht auf den Verrat von Dienstgeheimnissen zu prüfen. FDP-Politiker haben inzwischen auch gefordert, dass Ermittlungen gegen Friedrich aufgenommen werden. Was ist da Ihre Einschätzung? Muss die Staatsanwaltschaft hier ermitteln?
    Deckers: Ja. Sie ist ja ans Legalitätsprinzip gebunden und das heißt, wenn ein Verdacht auf einen Geheimnisverrat besteht, dann muss sie das Ermittlungsverfahren auch aufnehmen. Das können die aber natürlich prüfen und da gibt es auch ein Ermessen bei der Staatsanwaltschaft, inwieweit ein Anfangsverdacht angenommen werden kann, also hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen solchen Verdacht bestehen. Das muss geprüft werden und dann kann sich die Berliner Staatsanwaltschaft entscheiden.
    Auch BKA-Chef könnte Informationen unzulässig weitergegeben haben
    Rohde: In die Schusslinie ist jetzt auch Jörg Ziercke geraten, der Chef des Bundeskriminalamtes, oder könnte dorthin geraten, nämlich nach den Darstellungen von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat Ziercke in einem Telefonat mit Oppermann bestätigt, dass gegen Edathy ermittelt wird. Sollte diese Darstellung von Oppermann zutreffen, welche Konsequenzen könnte das für den BKA-Chef haben?
    Deckers: Im Prinzip die gleichen. Auch da ist es ja nicht so, dass im amtlichen Zusammenhang etwa Amtshilfe oder sonst etwas ersucht worden ist, sondern dass eine Person außerhalb des Ermittlungsapparats oder der Verfolgungsbehörde von diesem Faktum, dass ein Ermittlungsverfahren besteht, informiert worden ist, und auch das könnte nicht zulässig sein.
    Rohde: Wir haben jetzt viel über die Involvierten gesprochen. Schauen wir noch auf Edathy selbst und die Rolle der Staatsanwaltschaft. Sind diese Ermittlungen gegen ihn nach dem jetzigen Kenntnisstand verfassungswidrig?
    Deckers: Man könnte vielleicht darüber nachdenken. Ich habe vernommen, dass er selber gesagt hat, die Art der Strafverfolgung ist verfassungswidrig, es war unverhältnismäßig, etwa bei mir in der Wohnung zu durchsuchen. Das wäre im Prinzip jetzt ein verfassungsrechtlicher Maßstab, Verhältnismäßigkeit, und bei der Verhältnismäßigkeit ist zu prüfen, wie schwer wiegt das Delikt, das untersucht werden soll, und auf der anderen Seite, welche Anhaltspunkte für einen Tatverdacht haben wir, sind die schwerwiegend genug, um eine Durchsuchungsmaßnahme zu rechtfertigen. Dazu muss man die Einzelheiten kennen, um das schlussendlich zu beurteilen. In abstrakter Form lässt sich das nicht genau sagen.
    Rohde: Dann schauen wir noch mal auf den Gegenstand selber. Wann spricht man denn überhaupt in Deutschland von Kinderpornografie? Zählen Fotos von posierenden Kindern, um die es ja anscheinend geht, auch dazu?
    Deckers: Das ist sozusagen der Randbereich. Aber Darstellungen, in denen Kinder eindeutig so posieren, dass es darauf ankommt, ihre Geschlechtsteile zu zeigen auf Bildmaterial, wird man wohl unter Kinderpornografie nach 184b fassen müssen.
    Heinemann: Der Strafrechtsanwalt Rüdiger Deckers im Gespräch mit meiner Kollegin Stephanie Rohde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.