Remme: 'Schrei nach Freiheit' oder 'Cry Freedom', so heißt der Film von Richard Attenborough von 1987. Denzel Washington bekam seinerzeit einen Oscar für die Darstellung des schwarzen südafrikanischen Bürgerrechtlers Steve Bico. Viele Menschen in Südafrika können sich an den heutigen Tag vor 25 Jahren gut erinnern: am 12. September 1977 wurde der Tod von Steve Bico bekannt, 30 Jahre alt, ermordet in Polizeigewahrsam. Wie kaum ein anderer hat er es verstanden, die Unterdrückung der schwarzen Mehrheit offenzulegen. Sein Tod ein Anfang vom Ende des verbrecherischen Apartheid-Regimes. Vor der Sendung habe ich mit Horst Kleinschmidt in Kapstadt gesprochen, er ist deutschstämmiger Südafrikaner, hat sich früh für die Sache der Schwarzen engagiert, wurde dafür monatelang in Einzelhaft weggesperrt und ist dann ins Exil geflüchtet. Heute arbeitet er in verantwortlicher Position im südafrikanischen Umweltministerium. Er hat Bico persönlich gekannt und ich habe ihn zunächst gefragt, wie lebendig die Erinnerung an Steve Bico heute noch ist.
Kleinschmidt: Der Name Bico bedeutet für viele Südafrikaner sehr viel insofern, dass er inhaftiert und dann ermordet wurde zu einem Zeitpunkt als das Apartheid-Regime immer schärfer vorging und jegliche Opposition verhindern wollte. Er war einfach eine Person, die schon ganz jung ermordet wurde, aber ganz augenscheinlich große Gegebenheiten hatte: er konnte sich gut ausdrücken, hatte große Unterstützung bei der Bevölkerung und war relativ weit bekannt. Nach seinem Tode ist er allerdings noch weiter bekannt geworden und das hält bis zum heutigen Tage an.
Remme: Ist das, um es zu verdeutlichen, ein Name, den in Südafrika jedes Kind auf der Straße kennt?
Kleinschmidt: Ich würde sagen, mehr oder weniger ja.
Remme: Auch in der weißen Bevölkerung?
Kleinschmidt: Ich glaube, zu einem großen Teil auch in der weißen Bevölkerungsschicht, denn es wird immer deutlicher und häufiger heute noch gesagt, dass zu dem Zeitpunkt der damalige Minister für Justiz im Parlament sagte 'der Tod Steve Bicos lässt mich kalt' und das ist eigentlich ein Anstoß dazu, dass viele Weiße ein ungutes Gefühl haben, dass man mit den Sachen damals so umgegangen ist.
Remme: Herr Kleinschmidt, Sie haben ihn seinerzeit auch persönlich getroffen. Erzählen Sie uns von diesem Treffen.
Kleinschmidt: Ich hatte ihn zufällig getroffen, als ich Student war und zwar in einer Konferenz. Ich saß ihm zufällig gegenüber, hatte aber gar kein Gespräch mit ihm, und als wir am Ende des Kongresses aufgefordert wurden aufzustehen - es waren meistens beinahe ausschließlich weiße Studenten - standen wir auf und sangen die damalige Nationalhymne von Südafrika, die damals eigentlich nur für Weiße zuständig war, und er stand nicht auf. Als wir uns alle niedersetzten, stand er auf und sang unsere heutige Nationalhymne und sang das ganz alleine und wir wussten davon eigentlich gar nichts. Ich war sehr beeindruckt davon, ging um den Tisch herum, stellte mich ihm vor, und er hat mich dann eingeladen. Er war damals Medizinstudent an der Durbaner Universität und wir freundeten uns an. Später, als ich im christlichen Institut von Südafrika arbeitete, wurde er auch angestellt, und wir waren dann über einige Jahre Kollegen.
Remme: Ist Steve Bico als Symbolfigur mit Nelson Mandela vergleichbar oder sehen Sie zwischen diesen beiden charismatischen Persönlichkeiten auch Unterschiede?
Kleinschmidt: Na ja, die Tatsache ist natürlich die, dass Steve Bico in Südafrika nur ein sehr kurzes Leben mitmachen konnte. Hätte er länger gelebt, wäre er sicherlich eine sehr große Figur geworden und viel größer als es sich heute darstellt. Er ist symbolisch zu sehen, während Nelson Mandela noch eine stetig aktive Rolle in unserem Leben führt und deshalb an und für sich ein bisschen anders zu sehen ist.
Remme: Was änderte sich in Südafrika nach diesem 12. September 1977?
Kleinschmidt: Es war sicher der kardinale Punkt, wo legale Opposition in Südafrika unterbunden worden ist. Kurz danach sind auch Organisationen wie auch das christliche Institut, dem ich angeschlossen war, verboten worden, und das hat eigentlich mit sich gebracht, dass es legale Opposition nicht mehr gab und damit der Untergrund und die illegale Opposition sich stark vergrößert hatte und zu allen möglichen Arten von Widerstand führte.
Remme: War sein Tod auch für Ihr persönliches Engagement wichtig?
Kleinschmidt: Ja, gewiss. Ich war damals schon exiliert, als er ermordet wurde. Ich erinnere mich genau daran, ich war in einer Konferenz in Portugal, in Lissabon, gewesen und hörte das übers Radio und war sehr schockiert. Ich bin dann aufgefordert worden, zur UNO zu kommen und hatte in New York am security council eine Deklaration abgelegt, in der ich mehr oder weniger gesagt hatte, dass eben damit der Anstoß gegeben war, dass der Widerstand viel härter kommen werde.
Remme: Steve Bico hat für das Ende der Apartheid gekämpft. Seit 1994 regiert nun der ANC. Ist seitdem genug Zeit verstrichen, dass die Ideologie der Rassentrennung auch aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist?
Kleinschmidt: Das ist noch ein langer Weg. Ich glaube, dass wir in diesem Land noch viel zu tun haben, bis wir wirklich davon reden können, dass aus weißen wie aus schwarzen Köpfen diese Ideologie verschwunden ist und dass wir Leute nicht mehr im Rahmen ihrer Hautfarbe sehen und behandeln. Wir sind damit beschäftigt, das ist ein sehr langes nationales Programm, das uns noch lange beschäftigen wird.
Remme: Wie lange ist denn die soziale Transformation vorangekommen?
Kleinschmidt: Ich glaube, es sind wichtige Fortschritte gemacht worden, aber wir haben weiterhin einen Rückstand in vielerlei Hinsicht, verursacht durch die Apartheid und darüber hinaus eben einen Großteil der Bevölkerung, der arm bleibt und fast ausschließlich aus Schwarzen besteht, so dass es weiterhin Anstoß für Frustration gibt. Ein Vorhaben, dies alles umzubauen, in einem potentiell relativ reichen Lande, ist noch ein langer Weg und wir haben noch viel zu tun.
Remme: AIDS und Arbeitslosigkeit haben die Armut in Südafrika seit der Wende eigentlich noch vergrößert. Vielen geht es schlechter als vor den ersten freien Wahlen 1994. Herr Kleinschmidt, liegt da bereits in der Verantwortung des ANC oder ist das Bild von den Schwarzen in der Rolle des Opfers immer noch zutreffend?
Kleinschmidt: Immer noch zutreffend. Wir haben gewiss auch noch damit zu kämpfen, dass wir ein Teil der Weltwirtschaft geworden sind und das hat auch Arbeitslosigkeit für uns gebracht. Das muss man in diesem größeren Rahmen sehen. Aber wie die Sachen, die Sie eben genannt haben: AIDS, Arbeitslosigkeit, das ist für uns weiterhin eine Manko, das schwierig macht, diese Vergangenheit zu überwinden.
Remme: Aber ist diese Opferrolle nicht möglicherweise auch bequem insofern, dass man die Schuld nicht auf sich nehmen muss für diese Entwicklungen?
Kleinschmidt: Gewiss, das ist auch zu sagen, ja. Damit stimme ich überein, ja.
Remme: Der UNO-Weltgipfel ist gerade in Ihrem Land zu Ende gegangen. Johannesburg ist nicht zufällig gewählt worden: Südafrika als Modell für den Wechsel, als Beweis, dass es möglich ist, die Welt zu verändern. Das war ein Teil der offiziellen Begründung für den Standort. Ist dieser Modellcharakter vorhanden oder ist er übertrieben?
Kleinschmidt: Nein, ich glaube, er ist gewiss vorhanden und es besteht eine gewaltige Energie und Enthusiasmus nicht nur seitens der Regierung, sondern auch seitens eines Großteils der Bevölkerung. Und diese Konferenz in Südafrika hat eigentlich noch mehr dazu beigetragen, dass ein gewisses Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein gewachsen ist, und ich glaube, viele, nicht nur aus der nördlichen Welt, orientieren sich an dem, was immerhin geschieht und gemacht wird, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Ich glaube, wir haben einen kleinen Beitrag zu leisten, nicht nur im Rahmen Südafrikas.
Remme: Am Ende des Gipfels waren viele enttäuscht. Sie auch?
Kleinschmidt: Ja, natürlich kann man sagen, dass man viel mehr hätte rausbekommen können, aber es ist immerhin wichtig zu sagen, dass die Welt sich zumindest getroffen hat, und wir wissen voneinander, was wir erwarten können und was wohl nicht. Ohne einen Gipfel wüssten wir weniger darüber und hätten zumindest auch kein Programm weiterzumachen. Man kann nicht sagen, dass man alles erreicht hat, aber in einer Welt, in der so viel Armut und auf der anderen Seite so viel Reichtum besteht, kann man nicht erwarten, dass plötzlich ein großer Kompromiss geschaffen wird.
Remme: Horst Kleinschmidt war das, südafrikanischer Menschenrechtler und Umweltexperte.
Link: Interview als RealAudio
Kleinschmidt: Der Name Bico bedeutet für viele Südafrikaner sehr viel insofern, dass er inhaftiert und dann ermordet wurde zu einem Zeitpunkt als das Apartheid-Regime immer schärfer vorging und jegliche Opposition verhindern wollte. Er war einfach eine Person, die schon ganz jung ermordet wurde, aber ganz augenscheinlich große Gegebenheiten hatte: er konnte sich gut ausdrücken, hatte große Unterstützung bei der Bevölkerung und war relativ weit bekannt. Nach seinem Tode ist er allerdings noch weiter bekannt geworden und das hält bis zum heutigen Tage an.
Remme: Ist das, um es zu verdeutlichen, ein Name, den in Südafrika jedes Kind auf der Straße kennt?
Kleinschmidt: Ich würde sagen, mehr oder weniger ja.
Remme: Auch in der weißen Bevölkerung?
Kleinschmidt: Ich glaube, zu einem großen Teil auch in der weißen Bevölkerungsschicht, denn es wird immer deutlicher und häufiger heute noch gesagt, dass zu dem Zeitpunkt der damalige Minister für Justiz im Parlament sagte 'der Tod Steve Bicos lässt mich kalt' und das ist eigentlich ein Anstoß dazu, dass viele Weiße ein ungutes Gefühl haben, dass man mit den Sachen damals so umgegangen ist.
Remme: Herr Kleinschmidt, Sie haben ihn seinerzeit auch persönlich getroffen. Erzählen Sie uns von diesem Treffen.
Kleinschmidt: Ich hatte ihn zufällig getroffen, als ich Student war und zwar in einer Konferenz. Ich saß ihm zufällig gegenüber, hatte aber gar kein Gespräch mit ihm, und als wir am Ende des Kongresses aufgefordert wurden aufzustehen - es waren meistens beinahe ausschließlich weiße Studenten - standen wir auf und sangen die damalige Nationalhymne von Südafrika, die damals eigentlich nur für Weiße zuständig war, und er stand nicht auf. Als wir uns alle niedersetzten, stand er auf und sang unsere heutige Nationalhymne und sang das ganz alleine und wir wussten davon eigentlich gar nichts. Ich war sehr beeindruckt davon, ging um den Tisch herum, stellte mich ihm vor, und er hat mich dann eingeladen. Er war damals Medizinstudent an der Durbaner Universität und wir freundeten uns an. Später, als ich im christlichen Institut von Südafrika arbeitete, wurde er auch angestellt, und wir waren dann über einige Jahre Kollegen.
Remme: Ist Steve Bico als Symbolfigur mit Nelson Mandela vergleichbar oder sehen Sie zwischen diesen beiden charismatischen Persönlichkeiten auch Unterschiede?
Kleinschmidt: Na ja, die Tatsache ist natürlich die, dass Steve Bico in Südafrika nur ein sehr kurzes Leben mitmachen konnte. Hätte er länger gelebt, wäre er sicherlich eine sehr große Figur geworden und viel größer als es sich heute darstellt. Er ist symbolisch zu sehen, während Nelson Mandela noch eine stetig aktive Rolle in unserem Leben führt und deshalb an und für sich ein bisschen anders zu sehen ist.
Remme: Was änderte sich in Südafrika nach diesem 12. September 1977?
Kleinschmidt: Es war sicher der kardinale Punkt, wo legale Opposition in Südafrika unterbunden worden ist. Kurz danach sind auch Organisationen wie auch das christliche Institut, dem ich angeschlossen war, verboten worden, und das hat eigentlich mit sich gebracht, dass es legale Opposition nicht mehr gab und damit der Untergrund und die illegale Opposition sich stark vergrößert hatte und zu allen möglichen Arten von Widerstand führte.
Remme: War sein Tod auch für Ihr persönliches Engagement wichtig?
Kleinschmidt: Ja, gewiss. Ich war damals schon exiliert, als er ermordet wurde. Ich erinnere mich genau daran, ich war in einer Konferenz in Portugal, in Lissabon, gewesen und hörte das übers Radio und war sehr schockiert. Ich bin dann aufgefordert worden, zur UNO zu kommen und hatte in New York am security council eine Deklaration abgelegt, in der ich mehr oder weniger gesagt hatte, dass eben damit der Anstoß gegeben war, dass der Widerstand viel härter kommen werde.
Remme: Steve Bico hat für das Ende der Apartheid gekämpft. Seit 1994 regiert nun der ANC. Ist seitdem genug Zeit verstrichen, dass die Ideologie der Rassentrennung auch aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist?
Kleinschmidt: Das ist noch ein langer Weg. Ich glaube, dass wir in diesem Land noch viel zu tun haben, bis wir wirklich davon reden können, dass aus weißen wie aus schwarzen Köpfen diese Ideologie verschwunden ist und dass wir Leute nicht mehr im Rahmen ihrer Hautfarbe sehen und behandeln. Wir sind damit beschäftigt, das ist ein sehr langes nationales Programm, das uns noch lange beschäftigen wird.
Remme: Wie lange ist denn die soziale Transformation vorangekommen?
Kleinschmidt: Ich glaube, es sind wichtige Fortschritte gemacht worden, aber wir haben weiterhin einen Rückstand in vielerlei Hinsicht, verursacht durch die Apartheid und darüber hinaus eben einen Großteil der Bevölkerung, der arm bleibt und fast ausschließlich aus Schwarzen besteht, so dass es weiterhin Anstoß für Frustration gibt. Ein Vorhaben, dies alles umzubauen, in einem potentiell relativ reichen Lande, ist noch ein langer Weg und wir haben noch viel zu tun.
Remme: AIDS und Arbeitslosigkeit haben die Armut in Südafrika seit der Wende eigentlich noch vergrößert. Vielen geht es schlechter als vor den ersten freien Wahlen 1994. Herr Kleinschmidt, liegt da bereits in der Verantwortung des ANC oder ist das Bild von den Schwarzen in der Rolle des Opfers immer noch zutreffend?
Kleinschmidt: Immer noch zutreffend. Wir haben gewiss auch noch damit zu kämpfen, dass wir ein Teil der Weltwirtschaft geworden sind und das hat auch Arbeitslosigkeit für uns gebracht. Das muss man in diesem größeren Rahmen sehen. Aber wie die Sachen, die Sie eben genannt haben: AIDS, Arbeitslosigkeit, das ist für uns weiterhin eine Manko, das schwierig macht, diese Vergangenheit zu überwinden.
Remme: Aber ist diese Opferrolle nicht möglicherweise auch bequem insofern, dass man die Schuld nicht auf sich nehmen muss für diese Entwicklungen?
Kleinschmidt: Gewiss, das ist auch zu sagen, ja. Damit stimme ich überein, ja.
Remme: Der UNO-Weltgipfel ist gerade in Ihrem Land zu Ende gegangen. Johannesburg ist nicht zufällig gewählt worden: Südafrika als Modell für den Wechsel, als Beweis, dass es möglich ist, die Welt zu verändern. Das war ein Teil der offiziellen Begründung für den Standort. Ist dieser Modellcharakter vorhanden oder ist er übertrieben?
Kleinschmidt: Nein, ich glaube, er ist gewiss vorhanden und es besteht eine gewaltige Energie und Enthusiasmus nicht nur seitens der Regierung, sondern auch seitens eines Großteils der Bevölkerung. Und diese Konferenz in Südafrika hat eigentlich noch mehr dazu beigetragen, dass ein gewisses Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein gewachsen ist, und ich glaube, viele, nicht nur aus der nördlichen Welt, orientieren sich an dem, was immerhin geschieht und gemacht wird, um diese Schwierigkeiten zu überwinden. Ich glaube, wir haben einen kleinen Beitrag zu leisten, nicht nur im Rahmen Südafrikas.
Remme: Am Ende des Gipfels waren viele enttäuscht. Sie auch?
Kleinschmidt: Ja, natürlich kann man sagen, dass man viel mehr hätte rausbekommen können, aber es ist immerhin wichtig zu sagen, dass die Welt sich zumindest getroffen hat, und wir wissen voneinander, was wir erwarten können und was wohl nicht. Ohne einen Gipfel wüssten wir weniger darüber und hätten zumindest auch kein Programm weiterzumachen. Man kann nicht sagen, dass man alles erreicht hat, aber in einer Welt, in der so viel Armut und auf der anderen Seite so viel Reichtum besteht, kann man nicht erwarten, dass plötzlich ein großer Kompromiss geschaffen wird.
Remme: Horst Kleinschmidt war das, südafrikanischer Menschenrechtler und Umweltexperte.
Link: Interview als RealAudio