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Ernährung
Darmflora ist extrem anpassungsfähig

Im menschlichen Darm leben Milliarden von Bakterien. Sie ernähren sich von dem, was der Mensch ihnen durch seine Essgewohnheiten liefert. Eine neue Studie zeigt nun, dass die Mikroben auf kurzfristige Nahrungsumstellungen erstaunlich flexibel reagieren.

Von Lucian Haas | 12.12.2013
    Der Mensch ist, was er isst, sagen viele Ernährungsforscher und verbinden diese Weisheit mit dem Hinweis auf unsere Darmflora. Denn deren Zusammensetzung wird auch davon bestimmt, welche Nahrungsmittel wir zu uns nehmen. Laut Studien passt sich der Anteil der verschiedenen Bakterien im Darm an unsere Ernährungsweisen an. Eine solche Umstellung dauert nach der gängigen Lehrmeinung allerdings Monate. Doch es gibt offenbar auch schnellere Anpassungsmechanismen im Darm, wie der US-Biologe Lawrence David von der Harvard University beobachtet hat:
    "Wir waren überrascht, wie schnell sich die Aktivität von Bakterien im Verdauungstrakt von Probanden veränderte, nachdem sie ihre Ernährungsweise umgestellt hatten. Frühere Studien deuteten darauf hin, dass es Monate, wenn nicht gar Jahre dauern kann, bis sich die bakteriellen Gemeinschaften im Darm an eine neue Diät anpassen. Wir haben allerdings beobachtet, dass sich zumindest die Art, wie sich Bakterien verhalten, schon innerhalb weniger Tage auf das einstellt, was wir essen."
    Lawrence David machte Versuche mit einer Gruppe von Probanden. Anstatt sich gemäß ihrer normalen Gewohnheiten zu ernähren, bekamen die Versuchsteilnehmer einmal für einige Tage eine rein pflanzliche Diät, und zu einem anderen Zeitpunkt eine Diät, die nur aus Produkten tierischer Herkunft bestand, wie Fleisch, Käse und Eiern. Analysen zeigten, dass sich die Zusammensetzung der Bakterienarten im Darm sowohl bei der einen wie der anderen Diätform kaum veränderte. Aber:
    "Was wir sahen, war eine Veränderung in der Aktivität von Genen bei den vorhandenen Bakterien. Die Unterschiede waren drastisch - vergleichbar mit den Gegensätzen in der Genaktivität, wie sie bei Studien der Darmflora von pflanzen- und fleischfressenden Säugetieren in Zoos beobachtet wurden."
    Der Mensch kann alles verdauen
    Bei den Pflanzenfressern sind im Darm vor allem Bakterien, oder besser gesagt deren Gene aktiv, die der Verdauung von Kohlenhydraten dienen. Bei Fleischfressern steht der Abbau von Proteinen im Vordergrund. Allerdings sind die Tiere ein Leben lang Vegetarier oder Fleischfresser. Der Mensch wiederum kann alles verdauen. Und offenbar ist unsere Darmflora extrem anpassungsfähig.
    "Es ist faszinierend, dass die Darmbakterien die Fähigkeit besitzen, sich so schnell auf unterschiedliche Nahrung einzustellen. Unter Biologen gibt es schon lange die Vorstellung, dass die Bakterien im Darm sich zusammen mit ihrem Wirt, also dem Menschen, entwickelt haben. Wenn wir nun dieses enorme Maß an Anpassungsfähigkeit beobachten und wir tatsächlich von einer Co-Evolution ausgehen, stellt sich die Frage: Was war der treibende Faktor, um diese raschen Wechsel in der Aktivität der Darmflora zu ermöglichen?"
    Dass die menschliche Darmflora so schnell zwischen den charakteristischen Merkmalen eines Pflanzen- und eines Fleischfressers hin und her wechseln kann, ist ein Relikt der Frühgeschichte der Menschheit, vermutet Lawrence David. Der Verzehr von Fleisch und anderer tierischer Produkte war zu Zeiten der Jäger und Sammler sporadischer Natur. Bei einem Jagderfolg gab es Fleisch im Übermaß, doch zwischenzeitlich mussten die Menschen immer wieder auch nur mit Pflanzen als Energie- und Nährstoffquelle auskommen. Die Evolution von Bakteriengemeinschaften im Darm, die sich schnell an solche Wechsel anpassen konnten, steigerte die Nahrungsflexibilität des Menschen. Das spiegele sich bis heute in der weltweiten Vielfalt der menschlichen Ernährungsweisen wieder.