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Ernst Barlach: „Die Briefe"
Der Roman seines Lebens

Ernst Barlachs Werk ist in vielen Museen und Kirchen Deutschlands präsent. Liest man seine Briefe, ergibt sich ein widersprüchliches Bild dieses überaus wichtigen Künstlers. Eine vierbändige Ausgabe gewährt neue Einblicke.

Ingo Schulze im Gespräch mit Jörg Biesler |
Im Inneren des Doms von Guestrow - "Der Schwebende" , Bronzedrittguss von Ernst Barlach 1927
Die Briefe - Ein anderer Blickwinkel auf den Künstler Ernst Barlach (picture alliance/dpa-Zentralbild/Reinhard Kaufhold)
Ernst Barlach – er gilt als der herausragendste Bildhauer und Zeichner des deutschen Expressionismus. Auch als Dramatiker hatte sich der am 2. Januar 1870 in Wedel bei Hamburg geborene Künstler einen Namen gemacht. In den zwanziger Jahren war er mit Theaterstücken wie "Der tote Tag" und "Der blaue Boll" erfolgreich. In den dreißiger Jahren konnte Barlach seine Plastiken und Zeichnungen in großen Einzelaustellungen präsentieren. Aber mit dem Machtantritt Hitlers werden ihm nach und nach Austellungsmöglichkeiten verwehrt. Während sein Künstlerkollege Emil Nolde mit seine Gemälden noch große Gewinne einstreicht, wird Barlachs Kunst von den Nazis als "entartet", "bolschewistisch" und "jüdisch" geschmäht. Wie sehr Barlach unter dieser Ausgrenzung litt und bemüht war, seinem Schicksal noch eine Wende zu geben, das unter anderem offenbaren seine Briefe.
Ernst Barlach war zeitlebens ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Seine Korrespondenz zeugt von Humor, menschlicher Wärme, aber auch von kritischem Urteilsvermögen, einer gewissen Eigenbrötelei und schließlich zunehmender Verzweiflung. 2200 dieser Dokumente, ein Viertel davon wurden noch nie publiziert, hatte der Suhrkamp Verlag zum 150. Geburtstag des Künstlers vorgelegt.
Ingo Schulze ist seit seiner Jugend fasziniert
Die Edition gründet auf der Zusammenarbeit mit der Ernst-Barlach-Stiftung in Güstrow und dem Ernst Barlach Haus in Hamburg. Das vierbändige Konvolut umfasst 2986 Seiten. Auch für jeden Barlach-Fan eine echte Herausforderung. Und so hatte sich zu Beginn des Jahres ein hochkarätiges Trio auf den Weg gemacht, um mit Barlachs Briefen auf bundesweite Tournee zu gehen: Holger Helbig, einer der Herausgeber des wissenschaftlichen Briefprojektes, der Schauspieler Charly Hübner und der Schriftsteller Ingo Schulze.
Am 27. April sollten sie eigentlich in der Kölner Antoniter-Kirche auftreten, wo ein Zweitguss von Barlachs berühmter Plastik "Der Schwebende" hängt. Die Corona-Krise hat ihnen wie so vielen anderen nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Im Gespräch mit Dlf-Moderator Jörg Biesler erzählt der Schriftsteller Ingo Schulze unter anderem, dass Barlach ihn schon in seiner frühen Jugend in der DDR faszinierte. Durch die kommentierte Ausgabe der Briefe Barlachs, die zusammen genommen so etwas wie einen Roman seines Lebens ergeben würden, hätte er den Künstler noch einmal in einem anderen, neuen Licht gesehen.
Ernst Barlach: "Die Briefe. Kritische Ausgabe in vier Bänden".
Herausgegeben von Holger Helbig, Karoline Lemke, Paul Onasch und Henri Seel.
Suhrkamp Verlag, Berlin.
2986 Seiten, 98 Euro.