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Ernst: Lafontaine ist "wirklich die allerbeste Lösung"

Eine deutliche Mehrheit der Parteimitglieder sei für Oskar Lafontaine als neuen Vorsitzenden, sagt der derzeitige Bundesvorsitzende der Linken, Klaus Ernst. Von einer Spaltung der Partei zwischen Ost und West könne keine Rede sein.

Klaus Ernst im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.05.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Keine drei Wochen ist es mehr hin, da kommen die Delegierten der Linken in Göttingen zum Bundesparteitag zusammen, um eine neue Führung zu wählen. Bisher allerdings hatte allein der Reformer Dietmar Bartsch seinen Hut in den Ring geworfen. Ob Oskar Lafontaine noch einmal antreten würde, um die Partei aus ihrem Loch zu holen, das blieb Spekulation – bis Anfang der Woche. Da kündigte er an, dass er bereitstehe, wenn die Partei ihn denn wolle und wenn das personelle Umfeld stimme. Und damit meinte er wohl, Bartsch solle seine Kandidatur zurückziehen. Ein Treffen, das die Entscheidung bringen sollte, ging gestern ergebnislos zu Ende.
    Und am Telefon begrüße ich nun den Bundesvorsitzenden der Linken, Klaus Ernst. Schönen guten Morgen!

    Klaus Ernst: Herr Heckmann, guten Morgen!

    Heckmann: Herr Ernst, in zweieinhalb Wochen findet Ihr Bundesparteitag statt und immer noch ist die Personalfrage völlig ungeklärt. Wird das nicht langsam zum Desaster?

    Ernst: Nein, ein Desaster ist es nicht, es ist ein demokratischer Vorgang, dass Parteien diskutieren, sich überlegen, wie sie handeln und dann am Parteitag entscheiden. Und der Parteitag besteht ja nun aus den Delegierten, die auch nach der Satzung dafür zuständig sind.

    Heckmann: Das heißt, es könnte sein, dass erst auf dem Parteitag selber überhaupt die Delegierten, ihnen klar ist, wen sie wählen können?

    Ernst: Selbstverständlich. Denn die Delegierten haben nach Satzung und Parteienrecht über den Vorstand zu entscheiden, das geht ja gar nicht anders. Die Frage ist, welches Angebot die Delegierten bekommen. Das heißt, wer kandidiert. Das ist noch die offene Frage, aber letztendlich entscheiden – und das ist auch absolut in Ordnung – die Delegierten über die Zusammensetzung der Parteiführung.

    Heckmann: Jetzt wollen Sie sich ja beraten auch im Rahmen von Regionalkonferenzen. Aber das Problem ist, Herr Lafontaine kandidiert nur ohne Gegenkandidaten und Bartsch will nicht zurückziehen. Was sollen diese Regionalkonferenzen also bringen?

    Ernst: Also, wir haben ein Angebot von Oskar Lafontaine, über das ich übrigens sehr dankbar bin, dass er uns in dieser schwierigen Situation noch mal als Parteivorsitzender zur Verfügung steht. Und da ist so viel Unsinn in der Presse geschrieben worden, dass ich mich wirklich auch geärgert habe. Von wegen Erpressung! Wissen Sie, Oskar Lafontaine hat doch das wirklich gar nicht mehr nötig, dass er irgendetwas wird, der war nämlich schon alles.

    Heckmann: Das hat nicht die Presse geschrieben, Herr Ernst, sondern das hat Klaus Lederer so formuliert, der Parteichef in Berlin.

    Ernst: Ja, und wenn das dann einer aus den eigenen Reihen sagt, ist es, ich sage mal, gelinde gesagt auch nicht besonders klug, dann auch die Presse so zu munitionieren. Denn im Ergebnis können wir froh sein, dass Oskar Lafontaine noch mal kommt. Das ist der mit der meisten politischen Erfahrung unter uns, er ist eine absolute Ausnahmeerscheinung in der deutschen Politik und vor allen Dingen hat er bewiesen – und das ist für uns letztlich entscheidend angesichts der Situation –, dass er Wahlkämpfe gewinnen kann. Das hat er für uns vier Mal gemacht im Gegensatz zu manchen anderen, die jetzt nicht sehr klug darüber reden.

    Heckmann: Ob das so eine gute Wahl sei, Herr Ernst, das sehen aber große Teile Ihrer Partei vor allem im Osten des Landes völlig anders. Da ist eher von einem autoritär sozialdemokratischen Führungsstil die Rede!

    Ernst: Wenn wir eine Urabstimmung hätten über diese Frage, würde sie so eindeutig für Oskar Lafontaine ausgehen wie fast keine andere Abstimmung außer vielleicht über unser Programm. Da hatten wir 96 Prozent Zustimmung. Sondern das, was jetzt passiert, ist, dass sich einige aus meiner Sicht nicht sehr bedacht gegen Oskar Lafontaine äußern. Das sind übrigens dieselben, die sich in Wahlkämpfen nach Oskar Lafontaine sehnen, die von ihm sagen, er soll hier doch möglichst schnell erklären, oder die in Wahlkämpfen ihn wunderbar als Redner wollen. Also, da ist ein bisschen, ich sage mal, Durcheinander im Gange, das ist richtig. Aber die Mehrheit, übrigens auch die eindeutige Mehrheit gestern in der Veranstaltung, die sich getroffen hat, das waren die Landesvorsitzenden, das war der Geschäftsführer, der Bundesvorstand und andere, haben sich für Oskar Lafontaine erklärt. Also, ich gehe davon aus, dass wir diese Debatte bald beenden, denn es ist für die Partei – und das wissen alle, die einigermaßen mit klarem Verstand an die Sache rangehen – nun wirklich die allerbeste Lösung.

    Heckmann: Die Mehrheit hat sich gestern nach Ihren Worten für Oskar Lafontaine ausgesprochen. Auf dem Parteitag allerdings, da haben die ostdeutschen Verbände die Mehrheit der Delegierten. Dieses Patt zwischen Oskar Lafontaine und Dietmar Bartsch, wäre es nicht Ihre Aufgabe als Parteichef gewesen, ein solches Patt zu verhindern?

    Ernst: Also, ich sehe überhaupt kein Patt, sondern ich habe gerade gesagt: Wenn wir die Mitglieder entscheiden ließen, würde dies eindeutig für Oskar Lafontaine ausgehen. Und ich hoffe, dass uns das erspart bleibt, dass wir am Parteitag eine Kampfabstimmung haben. Und wir werden sie auch nicht haben, weil Oskar Lafontaine gesagt hat, er macht das als Angebot und geht nicht in eine Kampfabstimmung. Und somit ist es jetzt meine Aufgabe – da haben Sie vollkommen recht und so haben wir das gestern auch vereinbart –, dass ich jetzt eine Reihe von Gesprächen führen werde mit dem Ziel, dass wir eine Lösung für eine Führung finden, die möglichst miteinander arbeiten kann, weil sonst nichts bei raus kommt, die aber auf der anderen Seite auch die unterschiedlichen Positionen unserer Partei einbezieht, sodass wir eine, ich sage mal, eine Führung kriegen, in der die gesamte Partei sich repräsentiert fühlt.

    Heckmann: Auf der einen Seite haben Sie gerade eben gesagt, Herr Ernst, es sei völlig normal, dass es verschiedene Bewerber gebe in einer demokratischen Partei, Lafontaine aber sagt ja, er stehe nur zur Wahl, wenn es keinen Gegenkandidaten gebe. Was sagt das eigentlich über sein Demokratieverständnis?

    Ernst: Ja, das sagt aus, dass er sich natürlich überlegt, ob er in einer Situation, in der er persönlich nun wirklich gar keine Ambitionen hat, was zu werden – es ist ja nun nicht sein persönlicher Ehrgeiz, dass er noch mal antritt, sondern er will der Partei helfen –, dass er dann sagt, na, was tue ich mir da eigentlich noch an? Und das ist aus meiner Sicht absolut legitim, dass Oskar Lafontaine so handelt. Und demokratisch ist es insofern, weil, zur Demokratie gehört natürlich auch, dass man nicht nur gewählt wird, sondern auch kandidiert. Und jeder kann sich überlegen, ob er das macht. Ich würde mich freuen, wenn jetzt alle, die sich für Ämter bewerben, immer auch berücksichtigen, dass es nicht um sie selber geht, sondern um das, dass wir in diesem Lande eine starke Linke brauchen, die dringend notwendig ist. Ich möchte in dem Zusammenhang mal darauf hinweisen, dass wir in Griechenland möglicherweise Neuwahlen kriegen, dass wir dort die Chance eine linke Mehrheit mit meinem Freund Alexis Tsipras haben werden. Und damit ist es das Ende von Merkels Kaputtspar-Ideologie. Und da möchte ich, dass wir auch in Deutschland ein Pendant haben, das deutlich macht, dass es Alternativen zum Sparprogramm von Merkel gibt, nämlich zum Beispiel eine Millionärssteuer. Für all das steht Oskar Lafontaine, für all das hat er die höchste Qualifikation, er war schließlich Finanzminister in unserem Land. Und ich denke, da ist er die richtige Wahl.

    Heckmann: Ostverbände stehen dennoch gegen Westverbände, so schaut es im Moment aus. Zeigt das, dass die Fusion zwischen PDS und WASG nie wirklich funktioniert hat, dass die Partei möglicherweise vor der Spaltung steht?

    Ernst: Ach, vor der Spaltung stehen wir gar nicht! Aber wir sind natürlich mitten in einem Diskussionsprozess. Woher kommt der: Der kommt natürlich daher, dass wir in den neuen Ländern tatsächlich immer noch bei Weitem größere Zustimmung, teilweise sogar wachsende, in den Kommunalwahlen haben. Das hängt mit der Geschichte der Partei zusammen, die PDS ist ja nun einige Jährchen älter, als es die WASG war. Und wir haben in den neuen Ländern die Situation, dass wir gerade aus den Parlamenten gewählt wurden, und zwar aus zwei. Und dass da natürlich unterschiedliche Politikansätze resultieren, ist auch klar. Und jetzt geht es um die Frage, wie muss sich eine Linke in Deutschland aufstellen, um erfolgreich zu sein? Und da orientiere ich mich zum Beispiel auch an Hollande in Frankreich, oder ich orientiere mich an den Griechen, wo ich sehe, dass die linken Parteien mit einem klaren, mit einem wirklich klaren Kurs im Interesse der Mehrheit der Bürger Wahlen gewinnen. Und da macht man nicht die Kompromisse vor den Wahlen, sondern man macht die Kompromisse nach den Wahlen, möglicherweise dann, wenn Koalitionen vernünftig zustande kommen. Und wenn man merkt, man kann seine eigenen Positionen nicht durchsetzen, geht man auch nicht in Koalition. Und darüber geht natürlich die Debatte, die logisch ist, wenn man 20 oder 25 Prozent bei Wahlen gewinnt oder auch anders gesehen wird, wenn man bei fünf oder sechs Prozent ist. Das ist momentan die Debatte inhaltlicher Art, und da steht Oskar Lafontaine für einen Kurs, den ich durchaus unterstütze. Übrigens, wo ich überzeugt bin, das es auch der Kurs der Mehrheit unserer Partei ist.

    Heckmann: Der Bundesvorsitzende der Linken, Klaus Ernst, war das live hier im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Ernst: Ich würde noch einen Satz dazu sagen.

    Heckmann: Wir müssen leider zum Schluss kommen!

    Ernst: Ah, das ist schade, okay, alles Gute, danke, tschüss!

    Heckmann: Schönen Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Porträt des Fraktionsvizes der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch.
    Dietmar Bartsch war bis Anfang der Woche der einzige Kandidat auf den Parteivorsitz. (picture alliance / dpa - Hannibal Hanschke)