Lange: Am Telefon begrüße ich nun Gernot Erler, den außenpolitischen Experten und stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Erler!
Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Lange: Nach den Kämpfen von Tetovo vor einigen Wochen da schien es ja so, als ob Mazedonien gerade noch mal an einem Krieg vorbei gekommen wäre. Wie erklären Sie sich denn, dass die Situation sich dennoch wieder derart zuspitzen konnte?
Erler: Es war natürlich kein militärischer Sieg, der die Auseinandersetzung um Tetovo beendet hat, sondern es war ein Rückzug der Kräfte, gegen die die Streitkräfte der Mazedonier angetreten waren. Insofern haben sich die Kräfte höchstens umgruppiert und offensichtlich dann einen Augenblick gesucht, wo sie erneut zuschlagen konnten.
Lange: Sind diese Kräfte der Albaner, diese Rebellen unterschätzt worden was ihre Stärke angeht?
Erler: In dem Berggelände des Nordwestens von Mazedonien können sich auch kleine Gruppen länger halten und sind natürlich militärisch praktisch gar nicht wirksam zu bekämpfen, beziehungsweise wenn man es tut, dann ist es nur möglich unter sehr großen Verlusten für die Zivilbevölkerung. Anders ist das nicht zu machen. Ein durchschlagender militärischer Erfolg ist eigentlich überhaupt nicht erreichbar.
Lange: Offenbar können die sich ja weiterhin relativ frei bewegen, auch über die Grenze ins Kosovo. Sie verfügen weiter über Waffen. Warum ist es so schwer, diesen Herd auszutrocknen?
Erler: Aus dem gleichen Grund. Ich meine wir haben es hier mit einem Gelände von bis zu 2000 Meter hohen Bergen zu tun, praktisch weitgehend unbesiedelt oder dünn besiedelt und sehr schwieriges Gelände, so dass auch auf der anderen Seite, das heißt auf der Grenzseite des Kosovo, diese Hochgebirgssituation sehr schwer kontrollierbar ist. Man kann praktisch einen Übergang über die grüne Grenze und damit Waffenlieferungen, aber auch Rückraumbildung für die Rebellen aus Mazedonien nicht verhindern.
Lange: Haben Sie denn den Eindruck, dass die KFOR-Truppe im Kosovo inzwischen alles tut was sie tun könnte, um diese Grenze abzudichten?
Erler: Ich möchte mal sagen, das klingt vielleicht falsch, aber die deutsche Seite, der deutsche Abschnitt ist inzwischen sehr gut bewacht. Es sind ja auch 1200 Leute an dieser Grenze in den letzten Wochen festgenommen und kontrolliert worden, wobei 90 dann auf Dauer festgesetzt worden sind. Also hier gibt es nachweislich Bewegungen über diese Grenze hinweg, überwiegend von Mazedonien in Richtung Kosovo. Das heißt, das sind dann offensichtlich entweder Flüchtlinge, in die sich aber Kämpfer der Mazedonier mischen, oder es sind eben überhaupt Gruppen dieser Widerständler. Die große Zahl zeigt, dass hier auch eine wirksame Kontrolle tatsächlich stattfindet. Wie die Situation an den anderen Abschnitten aussieht - vor allen Dingen kommt hier der amerikanische in Frage -, ist schwerer zu beurteilen. Darüber haben wir auch keine eigene Erkenntnis.
Lange: Was haben denn die Europäer und die NATO jetzt der Regierung und dem Parlament von Mazedonien mehr zu bieten als warme Worte, um sie davon abzuhalten, allein auf die militärische Karte zu setzen?
Erler: Ich denke, man müsste eine Änderung der Qualität der europäischen Aktivitäten anerkennen. Wir haben es hier nicht mehr mit einzelnen europäischen Staaten zu tun, wie es in anderen Phasen der jugoslawischen Auflösungserscheinungen gewesen war, die hier hin- und herreisen und unterschiedliche Meinungen äußern, sondern wir haben es wirklich mit den Aktivitäten der EU zu tun. Es ist Herr Robertson von der NATO und es ist Herr Solana von der EU, zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik, die hier gemeinsam auftreten und die auch gemeinsame Botschaften verkünden. Insofern wissen die Mazedonier jedes Mal auch definitiv, das ist die Position der Europäer und sie kriegen keine unterschiedlichen Ratschläge. In der Tat aber können aus verschiedenen technischen Gründen, die ich schon zum Teil genannt habe, die Angebote nicht wesentlich über das hinaus gehen, was im Augenblick passiert. Ich denke auch das, was jetzt erreicht worden ist, ist sehr viel. Es wäre ja tatsächlich das Erreichen der Ziele dieser Aufständischen gewesen, wenn das Kriegsrecht ausgerufen worden wäre. Das hätte wohl zu einem Bruch der Koalition geführt. Das hätte zu einem Aussteigen der bisher regierenden Albaner-Partei geführt und damit zu einer Eskalation, die offensichtlich genau von diesen Gruppen gewünscht wird. Insofern konnte die europäische Handlungsweise hier doch etwas erreichen.
Lange: Sie haben den positiven Aspekt erwähnt. Die Europäer sprechen mit einer Stimme. Aber es hat doch immer noch den Anschein, dass diese hohen politischen Repräsentanten immer nur punktuell anreisen, wenn die Lunte glimmt, und ansonsten bleiben die Mazedonier sich selbst überlassen. Gibt es so etwas wie Strategie und Konzept oder langfristige Politikberatung?
Erler: Es ist natürlich kein isoliertes Problem, was wir in Mazedonien haben. Das ist ja offensichtlich. Insofern müsste man also fragen, wie das Gesamtkonzept für die Region ist, denn dass es hier einen Zusammenhang mit der Frage der Zukunft des Kosovo gibt, mit der Behandlung überhaupt des albanischen Strebens nach Separation, was hier in Mazedonien deutlich ist, was ebenso im Kosovo deutlich ist, überhaupt nach der Zukunft der Grenzen in dieser Region, ob sie eigentlich für uns unantastbar sind, oder ob man bereit wäre, diese zum großen Teil ja willkürlich gezogenen Grenzen in irgendeiner Weise, natürlich nach einem entsprechenden politischen Prozess zu verändern, das sind alles Fragen, die nach Antworten rufen. Diese Antworten gibt es in Form eines Gesamtkonzeptes noch nicht. Das führt natürlich auch dazu, dass der Eindruck entsteht, dass hier Stückwerk passiert, dass hier tatsächlich nur ad hoc jedes Mal eine Reaktion auf eine gegebene Situation stattfindet. Hier besteht auch noch eine wichtige Aufgabe, sich darüber übrigens auch transatlantisch zu verständigen, ja sogar bis hin zu den Vereinten Nationen, denn wir alle wissen ja, dass die Basis der Politik des Westens in dieser Region beruht auf Resolutionen der Vereinten Nationen und auf Dingen, die während des Kosovo-Kriegs festgelegt worden sind und die ihre Wirkungskraft in dieser Region noch nicht verloren haben.
Lange: Aber die innenpolitischen Spannungen in Mazedonien, hätte da der Westen, die EU sich nicht viel stärker einschalten müssen und auch können, um diesen Dialog zwischen den Volksgruppen voranzutreiben?
Erler: Es ist ja noch nicht so lange her, dass der Westen die Situation in Mazedonien geradezu als Modellfall angesehen hat, vielleicht auch auf Basis einer leichten Fehleinschätzung. Man hat ja immer gesagt, schaut, in Mazedonien funktioniert das Zusammenleben zwischen slawischen Mazedoniern und albanischen Mazedoniern.
Lange: Aber seit Tetovo hätte man dort ja viel mehr machen können?
Erler: Es ist glaube ich ein Ernüchterungsprozess gewesen, der eingetreten ist, und die Zeit ist noch zu kurz gewesen, um daraus wirklich konzeptionelle Reaktionen zu bilden und Antworten zu finden. Man ist ein bisschen erschüttert darüber, dass das Modell Mazedonien in Wirklichkeit nicht funktioniert. Wer sich schon länger mit dieser Gesellschaft beschäftigt hat kommt vielleicht zu dem Schluss, dass es nie dieses Modell gegeben hat, sondern ich habe im letzten Oktober zum Beispiel die Vertreter der beiden Albanerparteien sprechen können und auch mit vielen mazedonischen Politikern und habe gespürt, welche enormen inneren Spannungen übrigens auch innerhalb der albanischen Liga, also zwischen diesen beiden Parteien ist und dass die Situation längst nicht so stabil ist. Es hatte ja auch gewaltsame Vorfälle während der Kommunalwahlen im letzten Herbst gegeben, die uns schon aufhorchen ließen. Hier war die Realität also etwas entfernt von der westlichen Wahrnehmung.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Gernot Erler, der außenpolitische Experte und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Lange: Nach den Kämpfen von Tetovo vor einigen Wochen da schien es ja so, als ob Mazedonien gerade noch mal an einem Krieg vorbei gekommen wäre. Wie erklären Sie sich denn, dass die Situation sich dennoch wieder derart zuspitzen konnte?
Erler: Es war natürlich kein militärischer Sieg, der die Auseinandersetzung um Tetovo beendet hat, sondern es war ein Rückzug der Kräfte, gegen die die Streitkräfte der Mazedonier angetreten waren. Insofern haben sich die Kräfte höchstens umgruppiert und offensichtlich dann einen Augenblick gesucht, wo sie erneut zuschlagen konnten.
Lange: Sind diese Kräfte der Albaner, diese Rebellen unterschätzt worden was ihre Stärke angeht?
Erler: In dem Berggelände des Nordwestens von Mazedonien können sich auch kleine Gruppen länger halten und sind natürlich militärisch praktisch gar nicht wirksam zu bekämpfen, beziehungsweise wenn man es tut, dann ist es nur möglich unter sehr großen Verlusten für die Zivilbevölkerung. Anders ist das nicht zu machen. Ein durchschlagender militärischer Erfolg ist eigentlich überhaupt nicht erreichbar.
Lange: Offenbar können die sich ja weiterhin relativ frei bewegen, auch über die Grenze ins Kosovo. Sie verfügen weiter über Waffen. Warum ist es so schwer, diesen Herd auszutrocknen?
Erler: Aus dem gleichen Grund. Ich meine wir haben es hier mit einem Gelände von bis zu 2000 Meter hohen Bergen zu tun, praktisch weitgehend unbesiedelt oder dünn besiedelt und sehr schwieriges Gelände, so dass auch auf der anderen Seite, das heißt auf der Grenzseite des Kosovo, diese Hochgebirgssituation sehr schwer kontrollierbar ist. Man kann praktisch einen Übergang über die grüne Grenze und damit Waffenlieferungen, aber auch Rückraumbildung für die Rebellen aus Mazedonien nicht verhindern.
Lange: Haben Sie denn den Eindruck, dass die KFOR-Truppe im Kosovo inzwischen alles tut was sie tun könnte, um diese Grenze abzudichten?
Erler: Ich möchte mal sagen, das klingt vielleicht falsch, aber die deutsche Seite, der deutsche Abschnitt ist inzwischen sehr gut bewacht. Es sind ja auch 1200 Leute an dieser Grenze in den letzten Wochen festgenommen und kontrolliert worden, wobei 90 dann auf Dauer festgesetzt worden sind. Also hier gibt es nachweislich Bewegungen über diese Grenze hinweg, überwiegend von Mazedonien in Richtung Kosovo. Das heißt, das sind dann offensichtlich entweder Flüchtlinge, in die sich aber Kämpfer der Mazedonier mischen, oder es sind eben überhaupt Gruppen dieser Widerständler. Die große Zahl zeigt, dass hier auch eine wirksame Kontrolle tatsächlich stattfindet. Wie die Situation an den anderen Abschnitten aussieht - vor allen Dingen kommt hier der amerikanische in Frage -, ist schwerer zu beurteilen. Darüber haben wir auch keine eigene Erkenntnis.
Lange: Was haben denn die Europäer und die NATO jetzt der Regierung und dem Parlament von Mazedonien mehr zu bieten als warme Worte, um sie davon abzuhalten, allein auf die militärische Karte zu setzen?
Erler: Ich denke, man müsste eine Änderung der Qualität der europäischen Aktivitäten anerkennen. Wir haben es hier nicht mehr mit einzelnen europäischen Staaten zu tun, wie es in anderen Phasen der jugoslawischen Auflösungserscheinungen gewesen war, die hier hin- und herreisen und unterschiedliche Meinungen äußern, sondern wir haben es wirklich mit den Aktivitäten der EU zu tun. Es ist Herr Robertson von der NATO und es ist Herr Solana von der EU, zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik, die hier gemeinsam auftreten und die auch gemeinsame Botschaften verkünden. Insofern wissen die Mazedonier jedes Mal auch definitiv, das ist die Position der Europäer und sie kriegen keine unterschiedlichen Ratschläge. In der Tat aber können aus verschiedenen technischen Gründen, die ich schon zum Teil genannt habe, die Angebote nicht wesentlich über das hinaus gehen, was im Augenblick passiert. Ich denke auch das, was jetzt erreicht worden ist, ist sehr viel. Es wäre ja tatsächlich das Erreichen der Ziele dieser Aufständischen gewesen, wenn das Kriegsrecht ausgerufen worden wäre. Das hätte wohl zu einem Bruch der Koalition geführt. Das hätte zu einem Aussteigen der bisher regierenden Albaner-Partei geführt und damit zu einer Eskalation, die offensichtlich genau von diesen Gruppen gewünscht wird. Insofern konnte die europäische Handlungsweise hier doch etwas erreichen.
Lange: Sie haben den positiven Aspekt erwähnt. Die Europäer sprechen mit einer Stimme. Aber es hat doch immer noch den Anschein, dass diese hohen politischen Repräsentanten immer nur punktuell anreisen, wenn die Lunte glimmt, und ansonsten bleiben die Mazedonier sich selbst überlassen. Gibt es so etwas wie Strategie und Konzept oder langfristige Politikberatung?
Erler: Es ist natürlich kein isoliertes Problem, was wir in Mazedonien haben. Das ist ja offensichtlich. Insofern müsste man also fragen, wie das Gesamtkonzept für die Region ist, denn dass es hier einen Zusammenhang mit der Frage der Zukunft des Kosovo gibt, mit der Behandlung überhaupt des albanischen Strebens nach Separation, was hier in Mazedonien deutlich ist, was ebenso im Kosovo deutlich ist, überhaupt nach der Zukunft der Grenzen in dieser Region, ob sie eigentlich für uns unantastbar sind, oder ob man bereit wäre, diese zum großen Teil ja willkürlich gezogenen Grenzen in irgendeiner Weise, natürlich nach einem entsprechenden politischen Prozess zu verändern, das sind alles Fragen, die nach Antworten rufen. Diese Antworten gibt es in Form eines Gesamtkonzeptes noch nicht. Das führt natürlich auch dazu, dass der Eindruck entsteht, dass hier Stückwerk passiert, dass hier tatsächlich nur ad hoc jedes Mal eine Reaktion auf eine gegebene Situation stattfindet. Hier besteht auch noch eine wichtige Aufgabe, sich darüber übrigens auch transatlantisch zu verständigen, ja sogar bis hin zu den Vereinten Nationen, denn wir alle wissen ja, dass die Basis der Politik des Westens in dieser Region beruht auf Resolutionen der Vereinten Nationen und auf Dingen, die während des Kosovo-Kriegs festgelegt worden sind und die ihre Wirkungskraft in dieser Region noch nicht verloren haben.
Lange: Aber die innenpolitischen Spannungen in Mazedonien, hätte da der Westen, die EU sich nicht viel stärker einschalten müssen und auch können, um diesen Dialog zwischen den Volksgruppen voranzutreiben?
Erler: Es ist ja noch nicht so lange her, dass der Westen die Situation in Mazedonien geradezu als Modellfall angesehen hat, vielleicht auch auf Basis einer leichten Fehleinschätzung. Man hat ja immer gesagt, schaut, in Mazedonien funktioniert das Zusammenleben zwischen slawischen Mazedoniern und albanischen Mazedoniern.
Lange: Aber seit Tetovo hätte man dort ja viel mehr machen können?
Erler: Es ist glaube ich ein Ernüchterungsprozess gewesen, der eingetreten ist, und die Zeit ist noch zu kurz gewesen, um daraus wirklich konzeptionelle Reaktionen zu bilden und Antworten zu finden. Man ist ein bisschen erschüttert darüber, dass das Modell Mazedonien in Wirklichkeit nicht funktioniert. Wer sich schon länger mit dieser Gesellschaft beschäftigt hat kommt vielleicht zu dem Schluss, dass es nie dieses Modell gegeben hat, sondern ich habe im letzten Oktober zum Beispiel die Vertreter der beiden Albanerparteien sprechen können und auch mit vielen mazedonischen Politikern und habe gespürt, welche enormen inneren Spannungen übrigens auch innerhalb der albanischen Liga, also zwischen diesen beiden Parteien ist und dass die Situation längst nicht so stabil ist. Es hatte ja auch gewaltsame Vorfälle während der Kommunalwahlen im letzten Herbst gegeben, die uns schon aufhorchen ließen. Hier war die Realität also etwas entfernt von der westlichen Wahrnehmung.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Gernot Erler, der außenpolitische Experte und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio