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Erst Siemens, jetzt Thyssenkrupp
Braucht die EU andere Wettbewerbsregeln?

Die Fusionsfantasien gleich zweier deutscher Konzerne hat die EU ausgebremst: Vor Thyssenkrupp wurde schon die Fusion der Siemens-Zugsparte mit Alstom verhindert. Während der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von europäischen Champions spricht, hält Brüssel seine Wettbewerbsregeln hoch.

Von Bettina Klein | 10.05.2019
Die Konzernzentrale der ThyssenKrupp AG in Essen.
In Schieflage: Nach der Absage der Abspaltung und Fusion seiner Stahlsparte braucht Thyssenkrupp eine neue Richtung. (imago)
Birgid Becker: Thyssenkrupp - die Verbindung der Stahlsparte mit dem Tata-Konzern findet nicht statt. die geplante Aufspaltung auch nicht. Das ist die Lage. Noch ist offiziell gar nicht bekannt, wie die EU-Wettbewerbskommission entschieden hätte über die geplante Fusion der Thyssen- und Tata-Geschäfte. Aber der Vorgang erinnert an den gescheiterten europäischen Airbus der Schiene, an die geplante Bahn-Fusion von Siemens und Alstom, die platzte, nachdem die EU-Wettbewerbshüter Einwände hatten. Bettina Klein in Brüssel: Wie war das eigentlich damals, wie war argumentiert worden? Für die beteiligten Konzerne war das ja schon ein Schlag ins Kontor.
Bettina Klein: Bei Siemens-Alstom sah die Kommission Probleme in zwei Bereichen, in denen es praktisch keine Mitbewerber mehr gegeben hätte: einmal bei den Signalsystemen - entscheidend für die Sicherheit der Reisenden. In Europa gibt es gemeinsame Standards, das erfordert hohe Investitionen, daher müsse man auf gute Preise achten. Und zweitens bei den Hochgeschwindigkeitszügen - eine bedrohliche Konkurrenz aus China erkannte Margaret Vestager da nicht, denn wegen der hohen Standards würde China hier gar nicht in den Markt drängen. Bei den Signalanlagen gebe es gar keine chinesischen Angebote. Für die Kommission stehen im Grundsatz zwei Dinge im Vordergrund: Erstens die Interessen der Konsumenten schützen, denn wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen die Preise diktieren kann, sind die Verbraucher die Leidtragenden. Zweites Argument: Wettbewerb stärkt die Unternehmen, denn es regt sie zu Innovationen an und sie sind damit auch stärker im internationalen Markt.
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Wettbewerbsrecht nicht das richtige Instrument?
Becker: Nun wollten Thyssenkrupp und Tata ja einen der größten Stahlkonzerne der Welt bilden. Auch nicht gerade ein Segment, in dem Verbraucherinteressen direkt bedroht sind. Siemens-Alstom sollte ein weltweites Bahn-Schwergewicht werden. Beide Konzerne haben ja die chinesische Konkurrenz angeführt, der es gilt Paroli zu bieten. Gibt es in Brüssel Verständnis für diese Problemlage mit der globalen Konkurrenz außerhalb der Wettbewerbskommission? Die hat ja dieses Verständnis deutlich nicht.
Klein: Ja, es gibt Verständnis. Man sagt, man muss das eine vom anderen trennen. Die Wettbewerbskommissarin wurde Anfang Februar bei der Entscheidung zu Siemens-Alstom darauf angesprochen, was sie von der Diskussion über eine Reform des Wettbewerbsrechts hält. Sie sagte dazu, dass die Instrumente, um Unternehmen global vor unfairem Wettbewerb zu schützen, nicht aus dem Werkzeugkasten des Wettbewerbsrecht kommen sollten. Sie meinte: Wir brauchen globale Handelsvereinbarungen, damit es gegenseitigen Marktzugang gibt und keine Einbahnstraße. Oder wenn Marktteilnehmer ihre Rechnungen zu Hause vom Steuerzahler begleichen lassen, das ist marktverzerrend, da braucht es Ausgleich. Der Wirtschaftsexperte Guntram Wolff von der Denkfabrik Bruegel hier in Brüssel sagt, er hält eine Anpassung des Rechts für notwendig, wo es zum Beispiel um hohe Staatsbeihilfen geht. Im Grundsatz ist seine Bewertung:
"Es gibt schon einen gewissen Anpassungsbedarf, aber insgesamt stört mich doch die Rhethorik, die man manchmal hört, die suggerieren möchte, dass unser Wettbewerb unseren Unternehmen schaden würde und verhindern würde, dass die innovativ und wettbewerbsfähig sind. Ich denke, insgesamt ist die Evidenz eher das Gegenteil."
Kleine Länder fürchten Kuhhandel
Becker: Trotzdem haben ja Deutschland und Frankreich als Reaktion auf das Nein zu Siemens-Alstom im März gemeinsam eine Reform des europäischen Wettbewerbsrechts gefordert. Wie waren damals die Reaktionen der anderen EU-Staaten?
Klein: Eher zurückhaltend bis sogar kritisch. Deutsch-französische Alleingänge werden nicht nur bejubelt und dahinter stehen auch ganz reale Befürchtungen - wie mir Guntram Wolff auch sagte. Mit dieser Ministererlaubnis, die Paris und Berlin ja vorgeschlagen haben, analog zu dem, was in Deutschland auch möglich ist: dass man die Entscheidung von Kartellbehörden überstimmt. In der EU ist das aber ein ganzer Ministerrat, im Moment 28 Politiker. Da gibt es etwa die Sorge eines Kuhhandels - nach dem Motto: Erlaubst du mir meine Fusion, erlaube ich dir deine. Kleinere Staaten fürchten, da industriepolitisch unter die Räder zu kommen. Aber die Kommission ist beauftragt, da eine Strategie für Industriepolitik zu erarbeiten. Insgesamt sieht man schon Handlungsbedarf.