"Ich habe angefangen, die Pille zu nehmen, da war ich 16. Weil ich meinen ersten langjährigen festen Freund hatte und dann das einfacher und bequemer war mit der Pille."
Eine Liebesbeziehung außerhalb der ehelichen Gemeinschaft ist heute, zumindest in den westlichen Industriegesellschaften, für Frauen und Männer ganz selbstverständlich. Gegeben hat es das schon immer, doch früher waren die Verhütungsmethoden umständlich, unbequem, vor allem aber unsicher.
Und wurde eine Frau doch schwanger, dann riskierte sie oft ihre Gesundheit oder sogar das Leben, nicht nur wegen gefährlicher und illegaler Abtreibungsmethoden. Margaret Sanger, eine New Yorker Krankenschwester und Frauenrechtlerin, wollte das ändern.
"Die Idee dieser Frau, ein Präparat zu haben für die viel gebärenden New Yorkerinnen, speziell in den ärmeren Vierteln, ein Präparat, das so leicht einzunehmen wäre wie ein Kopfschmerzmittel – ihr Traum – den hat sie mit größter Beharrlichkeit durchgezogen", erzählt Gert Wlasich, ehemaliger Unternehmenshistoriker bei der Firma, die die erste Pille in Europa auf den Markt gebracht hatte. "Dank ihrer Freundin, Frau McCormick, die Geld hatte, ist es gelungen, dass man die amerikanische Forschungsszene bewegen konnte, die konkreten Versuche zu inszenieren."
Zwei Millionen Dollar stellte sie zur Verfügung. Und so entwickelten die Ärzte John Rock und Gregory Pincus sowie der Chemiker Carl Djerassi schließlich ein Verhütungsmittel, das die Frau als Tablette schlucken konnte. Vor allem Djerassi gilt heute als "Vater der Antibabypille", weil ihm der entscheidende Schritt gelungen war, das Hormon Progesteron künstlich herzustellen. Das ist eine Art körpereigenes Mittel zur Empfängnisverhütung: Es wird vermehrt in der Schwangerschaft ausgeschüttet, um einen weiteren Eisprung zu verhindern.
Den Begriff "Antibabypille" hasste Djerassi übrigens: "Das ist erstmal eine Pille für Frauen und für erwünschte Kinder."
1950er-Jahre: Geburtenkontrolle ist ein Tabuthema
Aber in den 1950er-Jahren war das Thema Geburtenkontrolle in den USA tabu. Deshalb wurden die notwendigen Tests mit Frauen aus den Slums in Puerto Rico gemacht und die Pille 1957 zunächst nur als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden zugelassen. Erst am 18. August 1960 kam Enovid offiziell als Empfängnisverhütungsmittel auf den Markt. Im US-Fernsehen hieß es:
"Die Wissenschaft hat eine neue Methode der Geburtenkontrolle gefunden. Und sie wird im Laufe der Zeit nicht nur die Weltbevölkerung, sondern auch das Glück der Welt beeinflussen."
Viele Widerstände gegen die Anti-Baby-Pille
In Europa gab es die Pille unter dem Namen Anovlar seit Juni 1961, zuerst in der Bundesrepublik. Aber glücklich war zumindest die Männerwelt darüber nicht: In einer Denkschrift forderten fast 200 Ärzte und Wissenschaftler, "den biologischen und charakterlichen Verfall des deutschen Volkes zu bekämpfen"; Papst Paul VI. verbot die Empfängnisverhütung als "Todsünde im Ehebett".
"Es war bis 1964, also drei Jahre nach Einführung von Anovlar, strafbar, wenn Sie öffentlich an der Piazza Navone in Rom oder in einem Café in Paris zwischen Freund und Freundin von Verhütung gesprochen haben. Sie konnten angezeigt werden." (Gert Wlasich)
Anovlar durfte anfangs nur auf Rezept und nur an verheiratete Frauen abgegeben werden, die bereits drei Kinder hatten. Doch daran hielt sich kaum jemand. Die Pille wurde eine der wichtigsten Antriebskräfte der sexuellen Revolution, sagt zum Beispiel die Schriftstellerin Elfriede Jelinek:
"Damals war sozusagen die sexuelle Befreiung, die Promiskuität auch für Frauen möglich, ohne Angst vor Schwangerschaft. Und das war wahrscheinlich eine der besten Zeiten, die es je gegeben hat."
Bis heute keine "Pille für den Mann"
Doch bald schon erschien vor allem der Frauenbewegung diese Freiheit problematisch: "Wenn du die Pille genommen hast, dann hast du signalisiert, ‚du bist zur Verfügung‘, beziehungsweise du hast keinen – in Anführungszeichen – offiziellen Grund, nein zu sagen."
Und es kamen neue Ängste beim Thema Verhütung auf:
"Ich habe öfter darüber nachgedacht, dass ich also meinem Körper laufend was zugeführt habe. Und ich kann mich erinnern, dass wir dann immer mehr wir über Nutzen und Risiko auch gesprochen haben."
Tatsächlich enthielten die ersten Präparate pro Tablette so viel Hormone wie später eine ganze Monatspackung. In puncto Verträglichkeit hat es also durchaus Fortschritte gegeben – die Entwicklung einer "Pille für den Mann" ist bis jetzt jedoch noch nicht gelungen.