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Erste Regierung mit FPÖ vor 20 Jahren
Tabubruch in Wien

Am 4. Februar 2000 kam in Österreich mit Jörg Haiders FPÖ erstmals eine Rechtspartei des neuen Typs in eine europäische Regierung. Der scharfen Reaktion der übrigen EU-Staaten folgte in Österreich eine nationalistische Aufwallung. Die FPÖ ist seitdem fester Bestandteil der politischen Landschaft.

Von Norbert Mappes-Niediek | 04.02.2020
    Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (rechts im Bild) im Juni 2000 als Beifahrer im offenem Porsche von Jörg Haider, österreichischer Rechtspopulist und Landeshauptmann von Kärnten
    Hauptdarsteller der ersten schwarz-blauen Koalition in Österreich im Jahr 2000: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (rechts im Bild), Jörg Haider (APA)
    Ungewohnt turbulent ging es zu vor der prunkvollen Kulisse der Wiener Hofburg am 4. Februar 2000. Österreich hatte eine neue Regierung - die erste nach langer Zeit, an der die rechtsradikale Freiheitliche Partei maßgeblich beteiligt war. Im Innern des kaiserlichen Schlosses vereidigte Bundespräsident Thomas Klestil den neuen Kanzler und seine Minister mit eisiger Miene und deutlichem Widerwillen:
    "Gemäß Artikel 70 Absatz 1 des Bundesverfassungsgesetzes ernenne ich Sie, Herr Dr. Wolfgang Schüssel, zum Bundeskanzler."
    Sozialdemokraten schlossen Koalition mit Haiders FPÖ aus
    In der Parlamentswahl vier Monate zuvor hatte die rechtsradikale FPÖ erstmals den zweiten Platz erobert - mit hauchdünnem Vorsprung vor der konservativen Österreichischen Volkspartei, der ÖVP. Für den Fall, dass seine Partei nur drittstärkste Kraft würde, hatte ihr Vorsitzender Wolfgang Schüssel vor der Wahl angekündigt, in die Opposition zu gehen. Damit war aber nirgends eine Regierungsmehrheit in Sicht. Die Sozialdemokraten nämlich, die stärkste Kraft geblieben waren, schlossen ein Zusammengehen mit der extremen Rechten aus. Deren Anführer Jörg Haider war seit Jahren mit ausländerfeindlichen Parolen aufgetreten, polemisierte gegen die Europäische Union, der Österreich vier Jahre zuvor beigetreten war, und kokettierte hin und wieder sogar mit dem Nationalsozialismus.
    Weil die SPÖ mit den Freiheitlichen nicht konnte und nicht wollte, hätte es doch wieder zu einer Koalition aus SPÖ und ÖVP kommen müssen, sagt im Rückblick der spätere Staatspräsident Heinz Fischer, ein Sozialdemokrat:
    "Es wäre nicht einfach gewesen, aber es hätte uns manches erspart, was uns durch die Regierungsbeteiligung der Partei von Jörg Haider eingebrockt wurde, wie man in Wien sagt."
    Aber die Konservativen wollten die undankbare Rolle der Nummer zwei hinter den Sozialdemokraten nicht mehr spielen, erklärt heute der spätere Parlamentspräsident Andreas Khol von der ÖVP:
    "Weil auf diese Weise die Große Koalition und wir als Wasserträger an zweiter Stelle einbetoniert worden sind."
    Geplatzte Gespräche zwischen SPÖ und ÖVP
    Schließlich konnte sich die ÖVP nicht länger entziehen und verhandelte doch wieder mit den Sozialdemokraten. Aber im Januar platzten die Gespräche.
    "Wolfgang Schüssel hatte zuerst in gutem Glauben mit den Sozialdemokraten wirklich ausgiebig verhandelt, und das Regierungsübereinkommen mit ihnen stand unmittelbar vor dem Abschluss."
    Sagt Khol, der damals an den Verhandlungen teilnahm. Der Sozialdemokrat Heinz Fischer widerspricht entschieden:
    "Das ist eine gefärbte Darstellung. Das ist eine Rechtfertigungsdarstellung."
    Schüssels Plan mit den Freiheitlichen
    Im Wissen darum, dass die Sozialdemokraten außer einer Koalition mit der ÖVP keine Option hatten, schraubte Schüssel die Bedingungen so hoch, dass sie für die SPÖ unannehmbar wurden. Gleichzeitig handelte er, unbemerkt von der Öffentlichkeit, in sogenannten Sondierungen mit den Freiheitlichen ein fast fertiges Regierungsprogramm aus. Nach dem Bruch der Verhandlungen mit der SPÖ einigte sich der ÖVP-Chef stattdessen dann innerhalb weniger Tage mit den rechten Freiheitlichen. Haider zog sich auf den Posten des Regierungschefs im Bundesland Kärnten zurück. Obwohl seine Partei nur noch die drittstärkste war, wurde der Wahlverlierer Schüssel Kanzler. Sonst wären als einziger Ausweg nur Neuwahlen geblieben.
    "Also das wäre das Ende seiner politischen Karriere wahrscheinlich gewesen, wenn er der ÖVP nicht das Kanzleramt gebracht hätte, und das war ein Bravourstück."
    So erinnert sich der frühere Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Profil, Herbert Lackner. Der Journalist wies anhand von Protokollen nach, dass die plötzliche Kehrtwende bei der Regierungsbildung von langer Hand vorbereitet war.
    Empörung im EU-Ausland nach Tabubruch
    Auf europäischer Ebene war die Koalition mit der FPÖ ein Tabubruch. Die übrigen, damals vierzehn EU-Staaten beschlossen, Kontakte mit der neuen österreichischen Regierung auf das Nötigste zu beschränken. Die empörte sich laut, sprach von "Sanktionen" und beschuldigte die Opposition, mit "dem Ausland", wie es hieß, unter einer Decke zu stecken. Ein halbes Jahr später wurde die protokollarische Herabstufung Österreichs wieder aufgehoben.
    Die Rechtskoalition hielt drei Jahre, dann spaltete sich die FPÖ. Bei der Neuwahl triumphierten Schüssel und seine ÖVP. Doch das Tabu war unwiderruflich gebrochen. Als die wieder erstarkte FPÖ 2017 in die Regierung zurückkehrte, blieben europäische Proteste aus.