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Erstes Vorauskommando der Bundeswehr bricht am Wochenende nach Afghanistan auf

Capellan: Herr Gertz, bleibt es dabei, ein erstes Vorauskommando der Bundeswehr wird bereits am Wochenende nach Kabul aufbrechen?

    Gertz: Ja, das ist notwendig, zum Beispiel muss für unsere Truppe ein Quartier geschaffen werden. Die Briten sind schon vor Ort, die werden sich also die Sahnestückchen für die Unterbringung, falls es welche gibt, schon für ihre Truppen gesichert haben. Und jetzt wird es höchste Eisenbahn, dass wir gut zu sichernde Plätze für unsere eigenen Soldaten finden.

    Capellan: Wann ist denn die Bundeswehr komplett einsatzbereit?

    Gertz: Im Grundsatz braucht man für einen solchen Einsatz mindestens drei bis sechs Wochen Vorbereitungszeit, da kommt es auf den genauen Auftrag für die Kräfte an. Deshalb wird erst Anfang Januar, Ende Februar alles einsatzbereit sein.

    Capellan: Helmut Wieczorek, SPD-Abgeordneter im Bundestag und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, hat vor Weihnachten gesagt, die Bundeswehr sei hervorragend gerüstet, sie habe alles, was sie für den Einsatz in Afghanistan braucht. Sehen Sie das auch so?

    Gertz: Schön wär's, wenn das stimmen würde, was Herr Wieczorek sagt. Das ist wohl mehr das Pfeifen im dunklen Wald, um zu beschwören, dass alles paletti ist. Es ist aber nicht alles in Ordnung, es fehlt schon bei den ganz primitiven Rahmenbedingungen: Zum Beispiel fehlen Zelte, die müssen wir uns vom Balkan ausleihen, oder Wolldecken, also Dinge, die zunächst einmal für die Unterbringung und die Ausstattung nötig sind; ganz zu schweigen von dem, was für den Schutz der Soldaten notwendig ist.

    Capellan: Müssen Sie sich denn auch Soldaten auf dem Balkan ausleihen, also deutsche Soldaten, die derzeit beispielsweise in Bosnien stationiert sind?

    Gertz: Nein, das ist vorläufig nicht der Fall. Es gibt noch einen Restbestand an Einsatzkräften, die durch die drei Einsätze auf dem Balkan und durch den Einsatz gegen den internationalen Terror noch nicht gebunden sind. Aber das ist wirklich nur ein kleiner Rest, und das ist auch der Grund dafür, warum wir mit maximal 1200 Mann teilnehmen werden; insbesondere bei den Spezialkräften, bei den Unterstützungskräften geht uns die Luft aus. Da ist in der Bundeswehr der Multiplikator nicht so gut gewählt worden wie für die Kampftruppen.

    Capellan: Sie glauben aber dennoch, dass die Bundeswehr auch zukünftig alle Aufgaben erfüllen kann, die weltweit für sie ansteht?

    Gertz: Das setzt voraus, dass die Bundesregierung endlich bei der Finanzierung der Streitkräfte umsteuert und das Modernisierungsdefizit beseitigt, das wirklich arg ist. Auf der anderen Seite sind die Aufgaben, die wir in Afghanistan im Prinzip wahr zu nehmen haben, nichts grundlegend neues. Die Sicherung der Abwesenheit von Bürgerkrieg und das Aufrechterhalten der öffentlichen Ordnung, das sind Dinge, die wir in dieser oder in ähnlicher Form auch schon auf dem Balkan gemacht haben, und auch im Kosovo und in Teilen Bosniens befinden wir uns in muslimischer Umgebung. Und da sind wir auch so weit erforderlich gerüstet.

    Capellan: Da müssen die Soldaten auch nicht ganz speziell drauf vorbereitet werden?

    Gertz: Eine gewisse Einweisung in die Rahmenbedingungen und die Anforderungen für den Einsatz in diesem Land ist sicherlich erforderlich, man muss die Soldaten mit der Geschichte dieses Landes vertraut machen. Man muss ihnen klar machen, seit wie vielen Jahren dieses Land von Kriegen und Bürgerkriegen zerrissen ist, damit sie auch wissen, wie fragil der Zustand auf Grundlage des Petersberg-Abkommens sein kann, und wie gefährlich sich die Situation insgesamt entwickeln könnte.

    Capellan: Die Finanzierung des ganzen Einsatzes ist gesichert, sagt Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping. Es sind 665 Millionen Mark angesetzt für einen Einsatz von sechs Monaten, die aus Mitteln der Terror-Bekämpfung sicher gestellt werden sollen. Ist das eine saubere Lösung in Ihren Augen?

    Gertz: Nein, das ist keine saubere Lösung. Da muss man einige Fragezeichen dran machen, denn der Kampf gegen den Terrorismus wird uns in der Zukunft noch mehr beschäftigen als im Moment absehbar ist. Denken Sie nur an die etwa 1900 Mann Marinekräfte, die wir in den persischen Gold entsenden werden, das wird uns auch eine Menge Geld kosten. Und wir wissen noch nicht definitiv, was noch an weiteren Dingen auf uns zu kommt. Es wäre sinnvoller und vernünftiger, die Bundesregierung würde diesen Einsatz zusätzlich finanzieren. Aus der Portokasse kann Herr Scharping ihn nicht bezahlen, und für jeden Einsatz umschichten zu müssen ist sicherlich nicht die klügste Lösung. Denn ganz nebenbei versucht die Bundesregierung ja auch im Jahr 2002, den Dienst für die aktiven Soldaten attraktiver zu machen.

    Capellan: Sie haben eben den Schutz der Soldaten in Afghanistan angesprochen. Gibt es da Probleme, wie groß ist das Risiko für den deutschen Einsatz, für die Soldaten?

    Gertz: Es fängt schon an mit Splitterschutzwesten, auch die müssen wir uns auf dem Balkan ausleihen, weil für ein Kontingent von 1200 Soldaten nicht zusätzliches Material zur Verfügung steht. Das zeigt die Begrenztheit. Ansonsten sind wir natürlich mit den Waffensystemen, den Radpanzern, die wir auch auf dem Balkan benutzt haben, da ganz gut beraten. Mit schwerem Gerät und schweren Panzern kann man in Afghanistan sowieso so gut wie nicht operieren. Aber insgesamt wird es natürlich ein ungemütlicher Einsatz. Ein Einsatz, bei dem man nie sicher sein kann, dass nicht die Stimmungslage umkippt, dass Teile der ehemaligen Konfliktparteien aus der Reihe tanzen. Und ein Einsatz, bei dem man gut beraten ist, eine wirklich sehr gründliche Eigensicherung in jeder Lage vorzunehmen.

    Capellan: Halten Sie es eigentlich für sinnvoll, dass der Einsatz der Friedenstruppe auf Kabul und Umgebung begrenzt sein wird?

    Gertz: Da kann man deutliche Fragezeichen anfügen. Das sichert natürlich nicht die Abwesenheit von Bürgerkrieg im Land. So haben wir im Moment das Problem, dass in Teilen des Landes noch Krieg gegen den Terrorismus geführt wird, so dass da schon Abstimmungsbedarf gegeben ist. Aber die Präsenz allein in Kabul und seiner engeren Umgebung mit 5000 Soldaten, bei denen sich ja sehr viele logistische Kräfte befinden, nur der geringste Teil sind Kampftruppen, damit kann man sicherlich nicht Ruhe und Ordnung gewährleisten. Die regionale Betrachtung halte ich für einen Geburtsfehler des Mandats. Darüber wird der UNO-Sicherheitsrat nachdenken müssen, wenn er in sechs Monaten zu entscheiden hat, ob und wenn ja in welcher Form das Mandat fortgesetzt wird.

    Capellan: Ihre Prognose, wird das Mandat fortgesetzt werden müssen?

    Gertz: Meine Prognose ist mindestens zwei Jahre. Das heißt, so lange wie die Implementierung des Friedensprozesses im Petersberg-Abkommen zu Grunde gelegt wird, so lange werden wir mindestens in dem Land bleiben müssen. Ich fürchte, uns holt da neuerlich eine Daueraufgabe ein.