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Erwachsen werden und komisch sein

James Bond dominiert derzeit die Kinos. Doch auch einige "kleine" Filme gehen an den Start. In "Sag, dass du mich liebst" geht es um den Verlust der Mutter und in "Lore" schlägt sich eine 15-Jährige durch das zerstörte Nachkriegs-Deutschland.

Von Hartwig Tegeler | 31.10.2012
    Heino Jaeger? Wer war Heino Jaeger? Ein Großer und Gescheiterter, würden Loriot oder Hans-Dieter Hüsch, die den Kollegen immer verehrten, auf die Frage antworten. Und auch Olli Dietrich verbeugt sich in seiner Ditsche-Performance vor ihm. Hier ein Auszug aus einem dieser Heino-Jaeger-Stegreif-Sketche:

    "Ja also, wenn einer meine Tochter verführt, ja, näh, also, muss mich nich´ falsch verstehen, näh, ich bin ja auch verheiratet, näh, das, das läuft nich´, näh, so einfach, so einfach läuf´ der Hase nich´ ..."

    Gerd Kroske zeichnet das Leben dieses Komikers, Malers, Satirikers und Radiomachers in seinem Dokumentarfilm "Heino Jaeger. Look before you kuck" nach. 1938 geboren, überlebte Jaeger den Bombenangriff auf Dresden, war aber immer geprägt von seinen traumatisierten Erfahrungen und stemmte sich stur gegen den Wunsch der Deutschen, die Nazizeit ad acta zu legen.

    "Ja, also Brände und Ruinen. Ja, Abbruchviertel, wurden natürlich auch dokumentiert."

    Erzählt ein Freund im Film von Gerd Kroske. Kroskes Film zeichnet ein Bild dieses unbekannten wie wichtigen Künstlers, der alkoholabhängig wurde und 1997 nach Jahren in einer psychiatrischen Anstalt einen Schlaganfall erlitt. Die Rundfunkreihe "Fragen Sie Dr. Jaeger", Ende der 1960er-Jahre entstanden, ist übrigens auf CD erschienen. Eine gute Ergänzung zu diesem Film.

    "Heino Jaeger - Look before you kuck" von Gerd Kroske - empfehlenswert.

    Einem Journalist, der 1945, direkt nach Kriegsende, durch Deutschland reiste, erschienen die traumatisierten Überlebenden wie lebende Leichen, die wie zwischen Leben und Tod in diesem zerstören Land "wandelten". Die Zeichnungen von Heino Jaeger, die Gerd Kroske in seinem Film zeigt, strahlen davon etwas aus. Ebenso wie die Bilder, die die australische Filmemacherin Cate Shortland in "Lore" gefunden hat. Der Krieg ist zu Ende, Lores Eltern - hochdekorierte Nazis - wollen weg, ...

    "Lore, weck die Zwillinge auf, wir müssen packen."

    ... doch dann,

    "Ihr geht zum Bahnhof und kauft Fahrkarten nach Hamburg."

    dann lassen sie die Kinder allein zurück.

    "Ihr kommt nicht mehr wieder? Stimmt´s?"

    Und so muss sich Lore mit ihren Geschwistern allein durchschlagen. Vom Schwarzwald aus nach Norden. Cate Shortlands Film "Lore" ist ein düsteres Roadmovie durch die Hölle des zerstörten Deutschlands. Lore findet Hilfe bei einem jungen Juden, einem KZ-Überlebenden, der bei der 15-Jährigen extrem ambivalente Gefühle auslöst. Denn sie fühlt sich in ihrem erotischen Erwachen zu Peter hingezogen, aber auf der einen Seite ...
    "Warum magst du ihn eigentlich nicht?"

    ... ist er für sie das, was ihre Nazi-Eltern ihr über die Juden vermittelte:

    "Er ist ein Parasit. Mutti würde ihn nicht mögen."

    Mühsam wie schmerzhaft muss sich Lore in der Konfrontation mit der Realität, die bis in jeden Winkel gezeichnet ist von Tod, Leid und Zerstörung, von ihrer alten Nazi-Prägung freimachen, um so erwachsen zu werden. Ihre Coming-of-Age-Geschichte, denn das ist "Lore" eben auch, bettet Cate Shortland in die Bilder einer Welt, die zwischen Traum und Albtraum wanken. Vor allem macht diese Kinofigur deutlich, dass es eine "Stunde Null" - datiert auf das Jahr 1945 - nie gegeben hat.

    "Lore" von Cate Shortland - herausragend.

    Das Mädchen in ihrer Adoleszenzphase wird in "Lore" von Saskia Rosendahl gespielt und man weiß sofort: Von ihr wird man noch viel hören. Ein Eindruck, den auch Hermine in den "Harry Potter"-Filmen vermittelte. Jetzt spielt Emma Watson ihre erste Hauptrolle in "Vielleicht lieber morgen". Wie "Lore" ein Coming-of-Age-Drama, wo sich Emma Watson als eine von drei aufmüpfigen Teenagern mit der verordneten Normalität der Erwachsenen und vieler Gleichaltrigen nicht abfinden will. Auch wenn dieser Film recht konventionell in Genrebahnen verläuft, ist es faszinierend zu sehen, wie Emma Watson immer mehr zur großen Schauspielerin reift.

    Karin Viard ist seit Jahren ein französischer Kinostar. Sie hat mit Francois Ozon oder Julie Delpy gearbeitet, und ihr neuer Film "Sag, dass du mich liebst" von Pierre Pinaud ist wie um diese ausdrucksstarke Schauspielerin herum gebaut. Karin Viard spielt die Radiomoderatorin Mélina, die einsamen Herzen in ebensolchen Nächten eine Stütze ist:

    "Ich lese gerade, dass Sie 60 Jahre alt sind. In dem Alter kann man doch noch viel erleben."

    Doch Mélina heißt eigentlich Claire, lebt selber einsam in ihrer Pariser Wohnung und hat panische Angst vor Bazillen und Kontakt zu anderen Menschen. Claire wurde von ihrer Mutter als Kind in ein Waisenhaus gegeben. Und diese Mutter trifft sie nun in der Vorstadt. Welten prallen aufeinander. Passenderweise in einer Altkleider-Sammelstelle.

    "Guten Tag! - Guten Tag! Ah, wir kennen uns doch. - Könnte ich vielleicht irgendetwas tun, ohne mit den Kleidern in Kontakt zu kommen? - Da bleibt ja nicht mehr viel übrig, würde ich sagen. Kannst uns ja zuschauen. - War ein Scherz."

    Karin Viard spielt brillant, doch Pierre Pinauds Film "Sag, dass du mich liebst" krankt daran, dass die Welt der mondänen Radiomoderatorin und die des Arbeiterviertels in der Vorstadt so überzeichnet wirken, dass uns das Schicksal dieser Frau, die ihre Wurzeln sucht, ziemlich egal bleibt.

    "Sag, dass du mich liebst" von Pierre Pinaud - annehmbar.