Christoph Heinemann: In Mannheim beginnt heute ein Dialogprozess über die Zukunft der katholischen Kirche. Eine Antwort der Deutschen Bischofskonferenz auf die Fälle sexueller Straftaten, die auch, aber beileibe nicht nur innerhalb der katholischen Kirche verübt wurden.
Am Telefon ist Reinhard Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising. Guten Morgen!
Reinhard Marx: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Kardinal Marx, was versprechen Sie sich vom Dialogprozess?
Marx: Na ja, wir sind in einer Zeit des Umbruchs, das haben wir ja auch eben bei den Interviews gehört, und da ist es wichtig, dass man miteinander im Gespräch überlegt, wo stehen wir im Glauben. Also der Dialogprozess soll mithelfen, dass wir uns vergewissern über den Weg der Kirche, aber wir erfinden die Kirche nicht neu. Insofern sind die Erwartungen, dass man jetzt beim Punkt null anfängt und sich einmal die Kirche neu konstruiert, natürlich verfehlt. Aber wenn wir den Weg gehen, müssen wir ihn in großer Einmütigkeit gehen, und ich glaube, die Aufgabe der Bischöfe ist es, so sage ich einmal, die Kirche zusammenzuhalten, und die Unterschiede in den Meinungen wurden ja auch deutlich bei den Fragen und bei den Antworten, und wir müssen versuchen, jetzt wieder in die Mitte des Glaubens hinein zu sagen, so, warum sind wir denn gerne katholische Christen, was ist das, woraus wir leben. Und dann darf man auch natürlich darüber sprechen und soll auch darüber sprechen, was uns stört und was uns vielleicht hindert, den Glauben so weiterzusagen, dass er auch für die nächste Generation anziehend ist.
Heinemann: Was stört denn?
Marx: Ja, ich denke, dass einige sagen werden, die Themen wurden ja genannt, oder dass wir auch sagen, wir haben Schwierigkeiten vielleicht, das herüberzubringen, was wirklich vom Glauben her doch so befreiend ist. Mich ärgert schon sehr - das kann ich natürlich für mich selber dann auch sagen -, wenn man die katholische Kirche nennt, oder wenn man das Wort katholische Kirche sagt, dass bei einigen doch eher Widerspruch da ist, oder dass sie gar nicht die Ahnung bekommen können, dass die Verkündigung der Kirche und das, was wir als Kirche zu sagen haben, doch etwas Befreiendes, etwas Positives, etwas Ermutigendes ist, dass wir von einem Gott reden, der Horizonte aufmacht und nicht verschließt. Also da, meine ich, müssen wir uns schon auf den Weg machen, das Evangelium in einer offenen und freien Gesellschaft neu zu verkünden, kräftig zu verkünden.
Heinemann: Ist die katholische Kirche offen und frei?
Marx: Na ja, schon. Dass man unter offen und frei natürlich unterschiedliche Erwartungen hat, möglicherweise bei dem Begriff offen und frei. Ich habe mich nie als unfrei empfunden. Ich finde mich sehr aufgehoben. Ich habe ja deswegen meinen Wahlspruch gewählt: Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Das hat mich auch immer schon seit meiner Jugend gestört, dass die Freiheit sozusagen mit der Kirche nicht verbunden wird. Dabei ist das ein biblischer Begriff. Wenn wir mit Jesus in Berührung kommen, wenn wir mit Gott in Berührung kommen, dann werden wir ja nicht unfrei, dann werden wir ja wirklich von innen her ganz frei.
Heinemann: Nun ist bei einigen Gläubigen der Eindruck entstanden, sie werden als Kirchensteuerzahler gebraucht, aber wenn es um die Organisation der Kirche geht, dann entscheiden kirchliche Würdenträger, einige gut - das muss man auch sagen -, andere schlecht. Wie lange kann das noch gut gehen?
Marx: Die Organisation der Kirche ist ja doch vielfältig. Sie ist einfach nicht nur von oben her nach unten organisiert, das ist auch eine etwas einfache und schlichte Sicht.
Heinemann: Wie bitte?
Marx: Wenn ich in die Pfarreien herein gehe, dann wird ja nicht jeden Tag, sagen wir mal, über das Glaubensbekenntnis abgestimmt. Es wird ja gearbeitet, es werden Überlegungen angestellt, wie können wir den Glauben weitersagen, wie können wir die Katechese organisieren. Wir haben Gremien, wir haben selbst in Rom natürlich nicht nur einen, der bestimmt, sondern das wird auch kollegial entschieden, wir haben synodale Strukturen. So ist es nicht, als könnte man sagen, in Rom wird sich irgendwas ausgedacht und dann müssen alle anderen folgen. So einfach ist die Struktur der Kirche, glaube ich, nicht.
Heinemann: Nur die Hälfte der Gläubigen sind ja ausgeschlossen, nämlich die Frauen.
Marx: Die sind doch nicht ausgeschlossen, die reden doch mit!
Heinemann: Die entscheiden auch mit?
Marx: Na sicher entscheiden sie auch mit. Sie entscheiden doch mit: auf der Ebene der Pfarreien, in den verschiedenen Gruppierungen, in den Gremien. Im Diözesanrat in München sind wahrscheinlich 50 Prozent Frauen! Wir haben Pastoralreferentinnen. Es ist ja nicht so. Die Kirche wird doch von außen her etwas, glaube ich, vereinfacht gesehen.
Heinemann: Ja, das hängt davon ab! Machen wir mal die Probe aufs Exempel: Am kommenden Sonntag hören die katholischen Gläubigen im Evangelium das Gleichnis vom Sämann. Das ist eine sehr schöne Geschichte. Inwiefern änderte sich diese Botschaft, wenn sie von einer Priesterin oder einem verheirateten Priester vorgetragen würde?
Marx: Ja, ich glaube, das ist ja nicht das Thema.
Heinemann: Für viele schon! Haben wir doch eben gehört.
Marx: Nein, nein! Das finde ich jetzt ein bisschen schräg. - Die Frage ist: Kann eine Frau dieses Evangelium auch auslegen? - Natürlich kann sie es! Wir haben ja Katechetinnen, wir haben Religionsunterricht, wir haben in Wortgottesfeiern selbstverständlich Frauen, die das auslegen. Das ist doch gar nicht ... Das ist doch so!
Heinemann: Und warum nicht am Altar beziehungsweise an der Kanzel?
Marx: Es geht ja darum, dass die Frage, ob ein Priester in gewisser Weise Christus darstellt und wie der Stifterwille Jesu war, doch auch bindend für die Kirche ist.
Heinemann: Und das kann doch eine Frau auch, doch unabhängig, ob das jetzt vorgetragen wird im Violin- oder im Bassschlüssel.
Marx: Aber das sieht ja nun die Kirche etwas anders und der Heilige Vater Johannes-Paul II. hat das sehr deutlich entschieden. Aber das heißt doch nicht, dass Frauen nicht die Bibel interpretieren können. Das ist ja eine ganz andere Sache!
Heinemann: Schon, aber da stellt sich für viele eben die Frage, ist die Kirche tatsächlich frei und offen, wie Sie eben gesagt haben, wenn man sagt, ...
Marx: Frei und offen für alles? - Freiheit heißt doch nicht, für alles offen sein. Das ist doch eine Freiheitsvorstellung, die ist doch etwas merkwürdig.
Heinemann: Aber, Kardinal Marx, Glaubensinhalte würden doch nicht verändert dadurch, dass Frauen oder dass verheiratete Männer am Altar stehen, wirkliche Glaubensinhalte?
Marx: Nein, die Glaubensinhalte nicht. Nein. Aber es ist doch jetzt eine andere Frage, können Frauen das Amt des Priesters wahrnehmen. Das ist doch eine theologische Frage, die muss man länger erörtern, das kann man nicht einfach mit wenigen Schlagworten erledigen, sondern die Frage ist, können Frauen und Männer in gleicher Weise die Bibel lesen und auch interpretieren. Das ist doch keine Frage!
Heinemann: Die Frage ist aber doch, wer die Botschaft eigentlich in Zukunft noch verkünden soll, denn die Priesterseminare zumindest in Deutschland sind gähnend leer.
Marx: Gähnend leer ist eine Übertreibung wieder. Ich habe neulich ein Bild gesehen in einer Zeitung, da war überhaupt niemand in der Kirche, und das wurde dann als Zeichen gezeigt, das sind die Sonntagsgottesdienste. Also ich meine, man muss auch ein wenig mal schauen, was realistisch in unseren Pfarreien los ist. Natürlich mache ich mir Sorgen, das ist keine Frage. Das gilt für alle, das gilt für die evangelische Kirche genauso. Es ist ja nicht so, als hätte die katholische Kirche als Einzige ein Problem, jetzt in einer modernen pluralen Gesellschaft, in einer Freiheitskultur deutlich zu machen, dass der Weg auf Christus hin, der Weg auch in eine verbindliche Lebensweise hin, dass das ein Weg in die wahre Freiheit ist. Das ist ja nicht nur ein Problem der katholischen Kirche! Aber das müssen wir miteinander tun und natürlich würde ich mir wünschen, dass wir mehr Priester haben, aber es ist nicht so, als würden die Priesterseminare leer sein. Ich habe jetzt zehn Priester geweiht, junge Leute, die wirklich engagiert ihren Weg gehen.
Heinemann: Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat, vor Weihnachten war das oder um die Weihnachtszeit herum, zu Protokoll gegeben, dass viele Gläubige enorm frustriert seien. Rechnen Sie, Kardinal Marx, vielleicht auch im Zusammenhang jetzt mit dem Dialogprozess in absehbarer Zeit mit einem ernst zu nehmenden Aufbegehren von unten?
Marx: Ich kann also eine gewisse, sagen wir mal, Resignation, oder frustriert ... Ich kann schon verstehen, dass die Situation der Kirche für viele, na ja, als schwierig angesehen wird, auch von den vielen engagierten Leuten in der Gemeinde. Aber da muss man - und dazu soll der Dialogprozess ja auch helfen - auch ein bisschen analytisch herangehen. Einfach zu sagen, wir ändern so ein bisschen was, und dann ist alles wieder gut, das ist ja eine völlig simple Sicht der Situation des Glaubens in einer modernen Gesellschaft. Und da erhoffe ich mir vom Dialogprozess eine Ermutigung, eine geistliche Vertiefung und auch eine analytische Stärke, die aus dem Evangelium kommen muss. Wir müssen uns ja fragen, was will uns der Herr, was will uns Jesus in dieser Stunde sagen, und nicht, was will uns was weiß ich, was wollen Umfragen uns sagen oder was ist die Mehrheitsmeinung in Deutschland. Das ist ja nicht das einzige Kriterium für den Weg der Kirche, sondern die Frage ist, können wir uns wieder neu auf den Weg machen, von ihm her zu fragen, was will er uns in dieser Stunde sagen. Da erhoffe ich mir, dass dieser geistliche Weg doch eine Hilfe sein kann.
Heinemann: Was müsste sich ändern Ihrer Meinung nach und wozu, was ist die Kirche bereit zu ändern?
Marx: Zunächst einmal müssen wir uns ändern. Einige sagen, ihr müsst euch ändern, die Bischöfe müssen sich ändern. Also wenn so eine politische Debatte kommt, wer setzt sich durch gegenüber wem, dann ist natürlich schon der Kern dessen, wie eine Kirche ihren Weg geht, völlig verfehlt. Deswegen ist es ja wichtig, dass wir nicht einfach hier ein parlamentarisches Verfahren machen, sondern dass wir einen geistlichen Weg gehen wollen. Ich weiß, von außen sagen manche, ja das ist alles irgendwie Verkleisterung, oder was soll das Ganze. Ja wenn die Kirche nur ein politischer Verein ist, wo sich die einen gegen die anderen durchsetzen, dann ist das natürlich etwas, was auch vergänglich ist, das hat keinen Sinn. Und diesen Weg zu gehen, den zu versuchen - ich hoffe es; ich hoffe, dass es gelingt -, ist absolut notwendig!
Heinemann: Stichwort Durchsetzen. In mehreren katholischen Bistümern und Erzbistümern werden jetzt gerade die Führungspositionen neu besetzt. Rainer Maria Woelki wird neuer Erzbischof in Berlin, hier bei uns in Köln pfeifen die Spatzen den Namen des Limburger Bischofs Franz Peter Tebartz van Elst als Nachfolger des Kardinals Meisners von den Domdächern. Beide gelten als eher konservativ oder als wirklich konservativ. Sind solche Personalentscheidungen gut für diesen Weg, den Sie jetzt gerade vorgezeichnet haben?
Marx: Na ja, konservativ, progressiv, das sind so Schablonen.
Heinemann: Das steht ja für etwas.
Marx: Es kommt auf die Personen an und auf die soll man sich auch einlassen. Und es gibt Verfahren, wie die Bischöfe ernannt werden. Und in den Bistümern selber muss man Wege gehen. Wir in unserem Erzbistum wollen die Führungsebene neu machen, und da werden an der Führungsspitze dann des Bistums sieben Personen sein, davon sind drei Frauen. Ich werde versuchen, das so zu tun, dass eben in großer Einmütigkeit auch mit dem Diözesanrat ein Weg gegangen wird. Natürlich, der Bischof hat seine besondere Aufgabe und hat auch in gewisser Weise die Verantwortung für den Weg der Kirche. Aber wie er sich beraten lässt, wie er den Weg geht, wie er alle möglichst mit einbezieht, das ist, glaube ich, eine Herausforderung. Ob nun jemand eher konservativ oder progressiv ist, ist nicht die entscheidende Frage.
Heinemann: Kardinal Marx, unterm Strich: Ich möchte Ihnen nicht Unrecht tun, aber aus all dem, was Sie gesagt haben, höre ich ein bisschen heraus: schön, dass wir mal darüber geredet haben, aber im Prinzip wird sich nichts ändern.
Marx: Was heißt denn nichts ändern? - Natürlich: Wenn einer sagt, ich halte den Prozess erst dann für einen Erfolg, wenn im nächsten Jahr, sagen wir mal, der Zölibat abgeschafft wird, das ist doch eine unsinnige Erwartung. Wenn ich schon unsinnige Erwartungen habe, dann habe ich meine Frustration ja schon eingebaut vorher, und das, finde ich, ist kein richtiger Weg, wenn wir als Kirche zusammen unseren Aufbruch miteinander gehen wollen.
Heinemann: Reinhard Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Marx: Alles Gute!
Heinemann: Ihnen auch.
Marx: Ja, danke.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Am Telefon ist Reinhard Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising. Guten Morgen!
Reinhard Marx: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Kardinal Marx, was versprechen Sie sich vom Dialogprozess?
Marx: Na ja, wir sind in einer Zeit des Umbruchs, das haben wir ja auch eben bei den Interviews gehört, und da ist es wichtig, dass man miteinander im Gespräch überlegt, wo stehen wir im Glauben. Also der Dialogprozess soll mithelfen, dass wir uns vergewissern über den Weg der Kirche, aber wir erfinden die Kirche nicht neu. Insofern sind die Erwartungen, dass man jetzt beim Punkt null anfängt und sich einmal die Kirche neu konstruiert, natürlich verfehlt. Aber wenn wir den Weg gehen, müssen wir ihn in großer Einmütigkeit gehen, und ich glaube, die Aufgabe der Bischöfe ist es, so sage ich einmal, die Kirche zusammenzuhalten, und die Unterschiede in den Meinungen wurden ja auch deutlich bei den Fragen und bei den Antworten, und wir müssen versuchen, jetzt wieder in die Mitte des Glaubens hinein zu sagen, so, warum sind wir denn gerne katholische Christen, was ist das, woraus wir leben. Und dann darf man auch natürlich darüber sprechen und soll auch darüber sprechen, was uns stört und was uns vielleicht hindert, den Glauben so weiterzusagen, dass er auch für die nächste Generation anziehend ist.
Heinemann: Was stört denn?
Marx: Ja, ich denke, dass einige sagen werden, die Themen wurden ja genannt, oder dass wir auch sagen, wir haben Schwierigkeiten vielleicht, das herüberzubringen, was wirklich vom Glauben her doch so befreiend ist. Mich ärgert schon sehr - das kann ich natürlich für mich selber dann auch sagen -, wenn man die katholische Kirche nennt, oder wenn man das Wort katholische Kirche sagt, dass bei einigen doch eher Widerspruch da ist, oder dass sie gar nicht die Ahnung bekommen können, dass die Verkündigung der Kirche und das, was wir als Kirche zu sagen haben, doch etwas Befreiendes, etwas Positives, etwas Ermutigendes ist, dass wir von einem Gott reden, der Horizonte aufmacht und nicht verschließt. Also da, meine ich, müssen wir uns schon auf den Weg machen, das Evangelium in einer offenen und freien Gesellschaft neu zu verkünden, kräftig zu verkünden.
Heinemann: Ist die katholische Kirche offen und frei?
Marx: Na ja, schon. Dass man unter offen und frei natürlich unterschiedliche Erwartungen hat, möglicherweise bei dem Begriff offen und frei. Ich habe mich nie als unfrei empfunden. Ich finde mich sehr aufgehoben. Ich habe ja deswegen meinen Wahlspruch gewählt: Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Das hat mich auch immer schon seit meiner Jugend gestört, dass die Freiheit sozusagen mit der Kirche nicht verbunden wird. Dabei ist das ein biblischer Begriff. Wenn wir mit Jesus in Berührung kommen, wenn wir mit Gott in Berührung kommen, dann werden wir ja nicht unfrei, dann werden wir ja wirklich von innen her ganz frei.
Heinemann: Nun ist bei einigen Gläubigen der Eindruck entstanden, sie werden als Kirchensteuerzahler gebraucht, aber wenn es um die Organisation der Kirche geht, dann entscheiden kirchliche Würdenträger, einige gut - das muss man auch sagen -, andere schlecht. Wie lange kann das noch gut gehen?
Marx: Die Organisation der Kirche ist ja doch vielfältig. Sie ist einfach nicht nur von oben her nach unten organisiert, das ist auch eine etwas einfache und schlichte Sicht.
Heinemann: Wie bitte?
Marx: Wenn ich in die Pfarreien herein gehe, dann wird ja nicht jeden Tag, sagen wir mal, über das Glaubensbekenntnis abgestimmt. Es wird ja gearbeitet, es werden Überlegungen angestellt, wie können wir den Glauben weitersagen, wie können wir die Katechese organisieren. Wir haben Gremien, wir haben selbst in Rom natürlich nicht nur einen, der bestimmt, sondern das wird auch kollegial entschieden, wir haben synodale Strukturen. So ist es nicht, als könnte man sagen, in Rom wird sich irgendwas ausgedacht und dann müssen alle anderen folgen. So einfach ist die Struktur der Kirche, glaube ich, nicht.
Heinemann: Nur die Hälfte der Gläubigen sind ja ausgeschlossen, nämlich die Frauen.
Marx: Die sind doch nicht ausgeschlossen, die reden doch mit!
Heinemann: Die entscheiden auch mit?
Marx: Na sicher entscheiden sie auch mit. Sie entscheiden doch mit: auf der Ebene der Pfarreien, in den verschiedenen Gruppierungen, in den Gremien. Im Diözesanrat in München sind wahrscheinlich 50 Prozent Frauen! Wir haben Pastoralreferentinnen. Es ist ja nicht so. Die Kirche wird doch von außen her etwas, glaube ich, vereinfacht gesehen.
Heinemann: Ja, das hängt davon ab! Machen wir mal die Probe aufs Exempel: Am kommenden Sonntag hören die katholischen Gläubigen im Evangelium das Gleichnis vom Sämann. Das ist eine sehr schöne Geschichte. Inwiefern änderte sich diese Botschaft, wenn sie von einer Priesterin oder einem verheirateten Priester vorgetragen würde?
Marx: Ja, ich glaube, das ist ja nicht das Thema.
Heinemann: Für viele schon! Haben wir doch eben gehört.
Marx: Nein, nein! Das finde ich jetzt ein bisschen schräg. - Die Frage ist: Kann eine Frau dieses Evangelium auch auslegen? - Natürlich kann sie es! Wir haben ja Katechetinnen, wir haben Religionsunterricht, wir haben in Wortgottesfeiern selbstverständlich Frauen, die das auslegen. Das ist doch gar nicht ... Das ist doch so!
Heinemann: Und warum nicht am Altar beziehungsweise an der Kanzel?
Marx: Es geht ja darum, dass die Frage, ob ein Priester in gewisser Weise Christus darstellt und wie der Stifterwille Jesu war, doch auch bindend für die Kirche ist.
Heinemann: Und das kann doch eine Frau auch, doch unabhängig, ob das jetzt vorgetragen wird im Violin- oder im Bassschlüssel.
Marx: Aber das sieht ja nun die Kirche etwas anders und der Heilige Vater Johannes-Paul II. hat das sehr deutlich entschieden. Aber das heißt doch nicht, dass Frauen nicht die Bibel interpretieren können. Das ist ja eine ganz andere Sache!
Heinemann: Schon, aber da stellt sich für viele eben die Frage, ist die Kirche tatsächlich frei und offen, wie Sie eben gesagt haben, wenn man sagt, ...
Marx: Frei und offen für alles? - Freiheit heißt doch nicht, für alles offen sein. Das ist doch eine Freiheitsvorstellung, die ist doch etwas merkwürdig.
Heinemann: Aber, Kardinal Marx, Glaubensinhalte würden doch nicht verändert dadurch, dass Frauen oder dass verheiratete Männer am Altar stehen, wirkliche Glaubensinhalte?
Marx: Nein, die Glaubensinhalte nicht. Nein. Aber es ist doch jetzt eine andere Frage, können Frauen das Amt des Priesters wahrnehmen. Das ist doch eine theologische Frage, die muss man länger erörtern, das kann man nicht einfach mit wenigen Schlagworten erledigen, sondern die Frage ist, können Frauen und Männer in gleicher Weise die Bibel lesen und auch interpretieren. Das ist doch keine Frage!
Heinemann: Die Frage ist aber doch, wer die Botschaft eigentlich in Zukunft noch verkünden soll, denn die Priesterseminare zumindest in Deutschland sind gähnend leer.
Marx: Gähnend leer ist eine Übertreibung wieder. Ich habe neulich ein Bild gesehen in einer Zeitung, da war überhaupt niemand in der Kirche, und das wurde dann als Zeichen gezeigt, das sind die Sonntagsgottesdienste. Also ich meine, man muss auch ein wenig mal schauen, was realistisch in unseren Pfarreien los ist. Natürlich mache ich mir Sorgen, das ist keine Frage. Das gilt für alle, das gilt für die evangelische Kirche genauso. Es ist ja nicht so, als hätte die katholische Kirche als Einzige ein Problem, jetzt in einer modernen pluralen Gesellschaft, in einer Freiheitskultur deutlich zu machen, dass der Weg auf Christus hin, der Weg auch in eine verbindliche Lebensweise hin, dass das ein Weg in die wahre Freiheit ist. Das ist ja nicht nur ein Problem der katholischen Kirche! Aber das müssen wir miteinander tun und natürlich würde ich mir wünschen, dass wir mehr Priester haben, aber es ist nicht so, als würden die Priesterseminare leer sein. Ich habe jetzt zehn Priester geweiht, junge Leute, die wirklich engagiert ihren Weg gehen.
Heinemann: Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat, vor Weihnachten war das oder um die Weihnachtszeit herum, zu Protokoll gegeben, dass viele Gläubige enorm frustriert seien. Rechnen Sie, Kardinal Marx, vielleicht auch im Zusammenhang jetzt mit dem Dialogprozess in absehbarer Zeit mit einem ernst zu nehmenden Aufbegehren von unten?
Marx: Ich kann also eine gewisse, sagen wir mal, Resignation, oder frustriert ... Ich kann schon verstehen, dass die Situation der Kirche für viele, na ja, als schwierig angesehen wird, auch von den vielen engagierten Leuten in der Gemeinde. Aber da muss man - und dazu soll der Dialogprozess ja auch helfen - auch ein bisschen analytisch herangehen. Einfach zu sagen, wir ändern so ein bisschen was, und dann ist alles wieder gut, das ist ja eine völlig simple Sicht der Situation des Glaubens in einer modernen Gesellschaft. Und da erhoffe ich mir vom Dialogprozess eine Ermutigung, eine geistliche Vertiefung und auch eine analytische Stärke, die aus dem Evangelium kommen muss. Wir müssen uns ja fragen, was will uns der Herr, was will uns Jesus in dieser Stunde sagen, und nicht, was will uns was weiß ich, was wollen Umfragen uns sagen oder was ist die Mehrheitsmeinung in Deutschland. Das ist ja nicht das einzige Kriterium für den Weg der Kirche, sondern die Frage ist, können wir uns wieder neu auf den Weg machen, von ihm her zu fragen, was will er uns in dieser Stunde sagen. Da erhoffe ich mir, dass dieser geistliche Weg doch eine Hilfe sein kann.
Heinemann: Was müsste sich ändern Ihrer Meinung nach und wozu, was ist die Kirche bereit zu ändern?
Marx: Zunächst einmal müssen wir uns ändern. Einige sagen, ihr müsst euch ändern, die Bischöfe müssen sich ändern. Also wenn so eine politische Debatte kommt, wer setzt sich durch gegenüber wem, dann ist natürlich schon der Kern dessen, wie eine Kirche ihren Weg geht, völlig verfehlt. Deswegen ist es ja wichtig, dass wir nicht einfach hier ein parlamentarisches Verfahren machen, sondern dass wir einen geistlichen Weg gehen wollen. Ich weiß, von außen sagen manche, ja das ist alles irgendwie Verkleisterung, oder was soll das Ganze. Ja wenn die Kirche nur ein politischer Verein ist, wo sich die einen gegen die anderen durchsetzen, dann ist das natürlich etwas, was auch vergänglich ist, das hat keinen Sinn. Und diesen Weg zu gehen, den zu versuchen - ich hoffe es; ich hoffe, dass es gelingt -, ist absolut notwendig!
Heinemann: Stichwort Durchsetzen. In mehreren katholischen Bistümern und Erzbistümern werden jetzt gerade die Führungspositionen neu besetzt. Rainer Maria Woelki wird neuer Erzbischof in Berlin, hier bei uns in Köln pfeifen die Spatzen den Namen des Limburger Bischofs Franz Peter Tebartz van Elst als Nachfolger des Kardinals Meisners von den Domdächern. Beide gelten als eher konservativ oder als wirklich konservativ. Sind solche Personalentscheidungen gut für diesen Weg, den Sie jetzt gerade vorgezeichnet haben?
Marx: Na ja, konservativ, progressiv, das sind so Schablonen.
Heinemann: Das steht ja für etwas.
Marx: Es kommt auf die Personen an und auf die soll man sich auch einlassen. Und es gibt Verfahren, wie die Bischöfe ernannt werden. Und in den Bistümern selber muss man Wege gehen. Wir in unserem Erzbistum wollen die Führungsebene neu machen, und da werden an der Führungsspitze dann des Bistums sieben Personen sein, davon sind drei Frauen. Ich werde versuchen, das so zu tun, dass eben in großer Einmütigkeit auch mit dem Diözesanrat ein Weg gegangen wird. Natürlich, der Bischof hat seine besondere Aufgabe und hat auch in gewisser Weise die Verantwortung für den Weg der Kirche. Aber wie er sich beraten lässt, wie er den Weg geht, wie er alle möglichst mit einbezieht, das ist, glaube ich, eine Herausforderung. Ob nun jemand eher konservativ oder progressiv ist, ist nicht die entscheidende Frage.
Heinemann: Kardinal Marx, unterm Strich: Ich möchte Ihnen nicht Unrecht tun, aber aus all dem, was Sie gesagt haben, höre ich ein bisschen heraus: schön, dass wir mal darüber geredet haben, aber im Prinzip wird sich nichts ändern.
Marx: Was heißt denn nichts ändern? - Natürlich: Wenn einer sagt, ich halte den Prozess erst dann für einen Erfolg, wenn im nächsten Jahr, sagen wir mal, der Zölibat abgeschafft wird, das ist doch eine unsinnige Erwartung. Wenn ich schon unsinnige Erwartungen habe, dann habe ich meine Frustration ja schon eingebaut vorher, und das, finde ich, ist kein richtiger Weg, wenn wir als Kirche zusammen unseren Aufbruch miteinander gehen wollen.
Heinemann: Reinhard Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Marx: Alles Gute!
Heinemann: Ihnen auch.
Marx: Ja, danke.
Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.