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Erzbischof Zollitsch: "Wir müssen bescheidener werden"

Erzbischof Robert Zollitsch hält in der gegenwärtigen Krise Bescheidenheit und das Denken an andere für wichtige Werte. Unsere Not sei im Vergleich zu anderen auf einem hohen Niveau, mahnt der Erzbischof und fordert die Politik auf, mehr an das Soziale zu denken.

Ezrzbischof Robert Zollitsch im Gespräch mit Bettina Klein | 09.06.2009
    Bettina Klein: Die Wirtschafts- und Finanzkrise bringt in diesen Tagen und Wochen auch Fragen nach einem notwendigen oder möglichen Wertewandel in der Gesellschaft auf. Wie sieht die Katholische Kirche die Situation in Deutschland im Moment? Darüber habe ich mit Erzbischof Robert Zollitsch gesprochen, er ist Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, und ich habe ihn zunächst gefragt, ob ihn die Situation im Augenblick hierzulande eigentlich eher mit Sorge erfüllt, oder ob für ihn mehr Gewicht hat, dass wir noch immer zu einem der reichsten Länder der Welt gehören.

    Robert Zollitsch: Mich erfüllt es natürlich schon mit Sorge, vor allem wenn ich an die Menschen denke, deren Arbeitsplätze gefährdet sind und da hängen auch vielfach Familien dran, und ich denke auch an die alten Menschen, die unsicher werden, wie weiter auch für ihr Alter vorgesorgt wird, und diese Sorge muss man teilen. Selbstverständlich ist unsere Not auf einem hohen Niveau; das hilft auch an die anderen Menschen zu denken, denen es weniger gut geht. Aber ich hoffe auch zugleich, dass diese Wirtschaftskrise dazu führt, dass wir neu nachdenklich werden und entdecken, wovon wir wirklich leben.

    Klein: Wovon leben wir wirklich?

    Zollitsch: Es sind Werte, die jetzt nicht nur Geld sind. Es geht nicht nur darum, 15 oder 25 Prozent Gewinn zu machen, wenn ich Geld anlege, sondern mal darüber nachzudenken, wofür lohnt sich zu leben. Es ist tatsächlich etwas, was über diese Welt hinausweist. Das ist für mich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Aber es geht auch, wenn ich an die Gesellschaft denke, darum, dass ich an den Anderen denke. Wir leben von der Solidarität, wir leben davon, dass jeder das ihm zustehende auch bekommt, und wir leben davon, dass ich an den Anderen denke und nicht in der Ellbogengesellschaft mich allein durchsetzen möchte. Christlich gesprochen leben wir, dass jeder an den Anderen denkt, damit auch von der Nächstenliebe.

    Klein: Und wir erleben eine Diskussion über Werte in der Gesellschaft, über die Frage, ob wir Werte umdefinieren müssen, ob wir etwas Grundsätzliches auch an unserem System, am Zusammenleben, am Wirtschaften ändern müssen. Kann die Katholische Kirche die Erfordernisse dieser gegenwärtigen Krise in politische Forderungen übersetzen?

    Zollitsch: Ja, ich bin überzeugt. Wir müssen die Solidarität neu entdecken, wir müssen neu entdecken, dass ich an den anderen denken muss, und wir müssen auch neu entdecken, dass es wirtschaftlich nicht immer so weitergehen kann. Wir müssen tatsächlich den Gürtel enger schnallen und zufrieden sein mit weniger und dabei aber auch an die anderen denken, nicht dass wir auf Kosten der ärmeren Länder immer weitermachen wollen, sondern wir müssen an die denken. Es kommt eine neue Situation dazu, dass wir etwa an die Völker der Dritten Welt denken und dass wir sagen, wir müssen bescheidener werden.

    Klein: Aber auch hierzulande führt die Frage nach der Solidarität ja in sehr unterschiedliche Überlegungen. Solidarität, um ein Beispiel zu bringen, mit den gegenwärtig von Arbeitslosigkeit bedrohten und auch mit Unternehmen, die möglicherweise auf Staatsgelder angewiesen sind, dem steht entgegen Solidarität mit künftigen Generationen zum Beispiel, die die immensen Schulden, die jetzt aufgenommen werden, abtragen werden müssen. Hat die Katholische Kirche eine Antwort, einen Rat, den sie den gegenwärtig politisch Handelnden und auch politisch unter Druck Stehenden in dieser Hinsicht geben kann?

    Zollitsch: Wir haben natürlich schon sehr lange vor zu großen Schulden gewarnt, weil dann diese Schulden von der nächsten Generation getragen werden müssen und dass das dann die nächste Generation hemmt. Darum muss man immer schauen, wie man einen Ausgleich findet, wie ich jetzt Menschen helfe und auch sinnvoll und verantwortlich helfe und nicht nur punktuell, dass es eine schnelle Hilfe ist, die vielleicht nach der nächsten Wahl schon nicht mehr zählt, sondern wir müssen viel stärker lernen, langfristig zu denken, und damit geht es auch um die nächsten Generationen, und ich glaube, wir haben in letzter Zeit zu sehr an uns gedacht und zu wenig an die künftigen Generationen.

    Klein: Kann ich daraus eine gewisse Kritik auch am gegenwärtigen Regierungshandeln ablesen?

    Zollitsch: Man ist bemüht, natürlich möglichst vielen zu helfen, und das ist gut, aber ob immer die richtige Perspektive dabei ist im Blick auf die Zukunft und nächste Generation, da setze ich schon ein Fragezeichen.

    Klein: Es ist ja ein Abwägen von verschiedenen Werten. Haben Sie das Gefühl, dass im Augenblick zu wenig an die künftigen Generationen, zu wenig an die Zukunft gedacht wird?

    Zollitsch: Wir denken schon zu lange zu wenig an die Zukunft und an die künftigen Generationen und die jetzige Krise wird sicher auch dazu führen, dass wir neu darüber nachdenken müssen, und nach der Überwindung der Krise muss eine neue Politik kommen, auch eine neue Form der Wirtschaft, die viel stärker von der Solidarität, von der Nachhaltigkeit und vom Blick auf die künftigen Generationen getragen ist.

    Klein: Was heißt das genau? Haben Sie eine Vorstellung, wie eine vielleicht reformierte Gesellschaft, wie eine vielleicht reformierte Marktwirtschaft aussehen könnte?

    Zollitsch: Einerseits müssen wir bescheidener werden und dann brauchen wir Leitplanken – Leitplanken, die das Soziale mit einbringen. Eine Marktwirtschaft hat nur dann einen Wert für uns, wenn es eine soziale Marktwirtschaft ist, wenn es an den anderen denkt, und da braucht es Vorgaben, Leitplanken im Sinne der Solidarität, auch im Sinne, dass der Schwächere, der nicht so viel leisten kann, seinen Ort findet, sein Auskommen findet, und das ist etwas eminent Menschliches und Christliches, und es ist zugleich notwendig, dass diese Gesellschaft nicht eine Ellbogengesellschaft wird, sondern eine Gesellschaft, in der sich der Großteil unserer Menschen wirklich aufgehoben weiß.

    Klein: Ich würde gerne noch an zwei Stellen nachfragen. Leitplanken, was können wir uns darunter vorstellen? Was meinen Sie?

    Zollitsch: Etwa, dass ich daran denke, wenn ich Geld anlege, ich kann nicht nur Gewinn machen, ich muss mich auch fragen, wer diesen Gewinn erwirtschaftet, oder wenn ich dann Geld anlege, dass ich auch mich frage im Blick auf die Nachhaltigkeit, im Blick auf das, wie es den anderen zugute kommt. Wir wissen alle um die Sozialverpflichtung des Eigentums. Auch Geld, das ich habe, Finanzen sind sozialpflichtig. Ich muss bei dem, was ich tue, immer auch an den Anderen denken.

    Klein: Stichwort Ellbogengesellschaft. Appelle dagegen, Appelle zur Mäßigung beider christlicher Kirchen und nicht nur dieser, denke ich, sind nicht neu. Auf der anderen Seite ist natürlich auch das sogenannte Ellbogensystem eine Triebfeder gewesen oder ist es immer noch. Geben Sie uns ein Beispiel, wo dem sogenannten Ellbogensystem Zügel angelegt werden müssen? Wo ist das möglich?

    Zollitsch: Dass Wirtschaft Gewinne machen will, ist richtig, ist notwendig; sonst können wir auch keine Arbeitsplätze erhalten. Aber wenn ich etwa dann jemand suggeriere, er könnte mittelfristig 15 oder gar 25 Prozent Gewinn machen mit seinem Geld, dann hat er etwas Wesentliches vergessen, denn das kann allenfalls kurzfristig funktionieren und es müssen dann andere bezahlen. Das geht zu Lasten anderer und hier müssen klare Obergrenzen gesetzt werden. Oder wenn ein Manager einen Betrieb an den Rand des Untergangs führt, dann kann er nicht noch erwarten, dass er hohe Abfindungen bekommt, sondern dann muss man eher überlegen, wie weit er mit zur Rechenschaft gezogen wird für das, was er verursacht hat.

    Klein: Wenn wir das zur Ausgangslage nehmen, was Sie gerade skizziert haben, wird die Partei mit dem "C" im Namen, die CDU oder auch die CSU, werden diese Parteien, die im Augenblick Regierungsverantwortung tragen, vielleicht auch nach der Bundestagswahl noch tragen werden, werden die diesem Anspruch gerecht? Passiert konkret genug in diese von Ihnen beabsichtigte Richtung?

    Zollitsch: Ich habe mit den Gesprächen, die ich mit den Parteien führte, immer auch den Appell verbunden, stärker das Soziale zu betonen, stärker auch den Menschen zu zeigen, dass sie in dieser Gesellschaft einen Ort haben, dass sie in dieser Gesellschaft aufgehoben sind, und darum habe ich auch immer verlangt, dass das Soziale neu bedacht wird, dass auch neu bedacht wird, wie Menschen Heimat finden und auch wissen, für mich wird mitgesorgt, es geht nicht nur um Gewinn, der Mensch steht im Mittelpunkt und nicht das Geld.

    Klein: Manche werfen der Union im Augenblick eine Sozialdemokratisierung vor. Wenn ich Sie richtig verstehe, würden Sie in diese Kritik nicht einsteigen?

    Zollitsch: Es geht darum, dass das Soziale stärker herausgestellt wird, betont wird und dass wir stärker auf die Menschen zugehen. Das andere ist eine Frage, die schon deswegen schnell kommt, wenn es eigentlich um die Frage der Staatszuschüsse geht, und da bin ich eher zurückhaltend, denn ich meine, die Wirtschaft muss zunächst mal herausgefordert werden, unterstützt werden, dass sie aus eigenen Kräften entscheidend dazu beiträgt, diese Krise zu überwinden.

    Klein: Stichwort katholische Soziallehre. Fällt Ihnen ein Beispiel im Augenblick ein, wo sie heute zeitgemäß wäre und wo sie stärker umgesetzt gehörte?

    Zollitsch: Wenn ich jetzt gerade an die alten Leute denke, sie müssen wissen: wenn ich ein Leben lang gearbeitet habe, dann muss auch meine Rente sicher sein. Das ist etwas Wichtiges. Oder wir müssen daran denken, dass eben eine Familie auch das Notwendige zum Leben braucht. Und ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft zu wenig familienfreundlich, zu wenig kinderfreundlich ist. Da steht eine Herausforderung da. Kinder zu haben darf nicht Armut bedeuten, sondern wir müssen da auch an die Zukunft denken, und das ist eine sehr, sehr große Herausforderung für uns.

    Klein: Herr Erzbischof, ich würde gerne noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der im Augenblick nicht nur innerhalb, aber vor allen Dingen innerhalb der Katholischen Kirche für Verwunderung sorgt, und zwar mit Blick auf die Pius-Bruderschaft. Zum Monatsende will sie bei Regensburg drei neue Priester weihen. Der Regensburger Bischof sieht darin einen Verstoß gegen das Kirchenrecht, da der Vatikan trotz Aufhebung der Exkommunikation Weihehandlungen untersagt habe. Ist die Katholische Kirche machtlos bezüglich der Pius-Bruder?

    Zollitsch: Der Papst wollte ein Zeichen setzen und der Pius-Bruderschaft die Hand reichen, indem er die vier exkommunizierten Bischöfe wieder aufgenommen hat, aber zugleich erklären ließ, dass sie damit kein Amt und keine Funktion in der Kirche haben. Infolgedessen gilt für sie das Kirchenrecht und nach dem Kirchenrecht können sie erlaubterweise keine Priesterweihe spenden, und das ist ein Verstoß gegen das Kirchenrecht, ist auch ein Verstoß gegen die Rechte des Bischofs von Regensburg, und das, muss ich sagen, ist für mich ein Affront gegen die Einheit der Kirche.

    Klein: Die Pius-Brüder selber sagen und haben es auch in einem Rundbrief Ende Mai noch mal betont, von einem generellen Verzicht auf Priesterweihen sei in den Verhandlungen mit dem Vatikan niemals die Rede gewesen. Man hat so ein bisschen den Eindruck, da steht jetzt Aussage gegen Aussage?

    Zollitsch: Diese Verhandlungen sind ja noch gar nicht geführt worden. Die haben erst begonnen in theologischen Fragen. Aber wenn der Kardinal Staatssekretär im Auftrag des Papstes erklärt, dass diese vier Bischöfe kein Amt und keine Funktion in der Kirche haben, dann ist damit klargestellt, dass es ihnen nicht gestattet ist, die Priesterweihe zu spenden.

    Klein: Rechnen Sie noch mal mit einem klaren Wort aus dem Vatikan?

    Zollitsch: Ich hoffe, dass auch hier auf diese Provokation durch die Pius-Bruderschaft dann auch die klare Antwort kommt, denn diese Diskussion innerhalb der Katholischen Kirche und über sie hinaus verunsichert ja viele Menschen.

    Klein: Herr Erzbischof, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

    Zollitsch: Ich danke auch.