Archiv

Erziehungstipps von Franziskus
"Der Papst spricht viel von Zärtlichkeit"

Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche" hält die Kritik an Papst Franziskus' Aussage über das Schlagen von Kindern für überhöht. Es sei gefährlich, daraus einen Aufreger zu machen, sagte er im DLF. Der Papst stehe weiterhin für einen neuen Kurs - der von den deutschen Bischöfen allerdings mehr unterstützt werden müsse.

Christian Weisner im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner (dpa / Tobias Hase)
    Weisner glaubt, dass Papst Franziskus die Souveränität besitze, bei einer nächsten Gelegenheit seine Aussage zur körperlichen Züchtigung von Kindern zu erklären. Der Papst spreche viel von Zärtlichkeit. Bei dem Thema gehe es allgemein um die Präsenz von Vätern in der Erziehung und wie man Kinder mit Würde erziehen könne. Es gebe leider immer noch viele Staaten, in denen das Schlagen von Kindern nicht ausdrücklich verboten sei.
    Die katholische Kirche befinde sich unter Papst Franziskus in einer Übergangsphase. Unter Benedikt XVI. sei man es gewohnt gewesen, das alles verboten gewesen sei - in diesem Modus sei man nun nicht mehr. Die vielen "lockeren Sprüche" von Franziskus seien eine Lockerungsübung, so Weisner. Die Kirche müsse viel lernen. So sei das wirkliche Leben der Menschen wichtiger, als ihre bloße moralische Beurteilung durch die Katholische Kirche. Da sei in den vergangenen Jahrzehnten, Jahrhunderten ein Missverhältnis eingetreten. Im christlichen Glauben, in christlicher sozialer Verantwortung gehe es eigentlich um ganz andere Dinge. Von den deutschen Bischöfen forderte er in diesem Zusammenhang mehr Unterstützung für den Kurs von Franziskus - der eigentlich gar nicht neu sei, sondern sich am Zweiten Vatikanischen Konzil ausrichte.

    Hier das Interview in vollständiger Länge:
    Friedbert Meurer: Papst Franziskus hat sich gerade auch in Deutschland mit vielen unkonventionellen Äußerungen regelrecht beliebt gemacht. Einige Beispiele: "Wenn ein Mensch schwul ist, wer bin ich, über ihn zu richten." Dafür gab es viel Applaus. "Manche Menschen glauben, dass sich gute Katholiken wie Karnickel vermehren müssen." Dieses Zitat ist gerade ein paar Wochen alt. Man kann es als Plädoyer verstehen, dass auch Katholiken die Verhütung erlaubt ist. "Wenn jemand meine Mutter beleidigt, erwartet ihn ein Faustschlag." Da ging es um Meinungsfreiheit. Und jetzt der kleine Schock letzte Woche: "Kinder darf man ruhig einen Klaps geben, solange ihre Würde gewahrt bleibt."
    Christian Weisner hat das Kirchenvolksbegehren "Wir sind Kirche" initiiert, ist heute Mitglied im Bundesteam. Guten Morgen, Herr Weisner.
    Christian Weisner: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Was hat den Papst geritten, dass man Kinder schlagen darf?
    Weisner: Das ist sicher ein Ausdruck, eine Aussage, die nicht gut gewesen ist, und ich kann mir auch vorstellen, dass Papst Franziskus sogar die Souveränität besitzt, bei einer nächsten Gelegenheit zu sagen, so ist es nicht, so darf es nicht sein, so soll es nicht sein. Aber ich kann nicht verstehen, dass jetzt auf einmal so viele Menschen daraus einen Aufreger machen. Das ist, glaube ich, eine ganz falsche und gefährliche Sache. Die hören oft zu, wenn der Papst über soziale Gerechtigkeit, über die Familienprobleme spricht, und dann sagen sie, lassen wir ihn mal reden. Oder Martin Mosebach, der sagt, ich will keinen politischen Papst, ich will einen Papst, der sich nur auf den Gottesdienst bezieht und nicht auf die Lebenswirklichkeit der Menschen. Und wenn man jetzt auf einmal da einen Aufreger draus macht, dann ist das, glaube ich, das ganz Falsche. Man muss es im Gesamtbild sehen. Dieser Papst spricht sehr viel von Zärtlichkeit und in dieser Aussage ganz konkret auch geht es ja darum, erst mal, wie wichtig die Präsenz von Vätern in der Erziehung ist. Das ist das eigentliche Problem. Und es geht darum, natürlich Kinder mit Würde zu erziehen - ohne Klaps.
    "Auch in Europa noch sehr viel zu tun"
    Meurer: Die Frage ist, wenn ich das fragen darf, Herr Weisner. Ist der Papst vielleicht doch konservativer als wir glauben?
    Weisner: Der kommt natürlich aus einem ganz anderen sozialen und kulturellen Hintergrund, als wir ihn haben. Ich weiß jetzt nicht, wie weit die Situation wirklich in Lateinamerika ist. Es gibt leider seit 1989, wo es ein Übereinkommen über die Rechte des Kindes gab, noch viele Staaten, wo Klapse und wo körperliche Züchtigung auch anderer Art erlaubt ist. Auch in Deutschland sind wir ja noch gar nicht so weit. Es gibt erst seit dem Jahr 2000 das Verbot, dass weder in der Schule, noch zuhause körperlich gestraft werden kann. Aber zum Beispiel in Frankreich, in England, in Italien, in der Schweiz, da ist das nur an den Schulen verboten. Also haben auch die Staaten, wir alle hier in Europa, in den USA noch sehr viel da zu tun.
    Meurer: Legen wir dieses aktuelle Zitat mal bei Seite und kommen zu den vielen anderen, mit denen Papst Franziskus hier eigentlich auf so viel Zustimmung gestoßen ist. Dieses Zitat zu den Schwulen, "Wer bin ich, dass ich darüber richte?", was gilt denn dann in der Katholischen Kirche, das was der Papst da angedeutet hat, oder nicht doch der Lehrsatz, Homosexuelle sind Sünder, dürfen nicht zur Kommunion gehen?
    Weisner: Da sind wir im Augenblick in einer ganz, ganz schwierigen Übergangsphase. Wir sind natürlich noch gerade mit dem deutschen Papst Benedikt gewohnt, alles ist verboten, und Papst Benedikt hat alles sehr, sehr in der Kontrolle gehabt. 34 Jahre war er in Rom der oberste Kontrolleur der Glaubenskongregation und dann nachher als Papst. Und in diesem Kontrollmodus, in diesem Benedikt-Modus, in dem befinden wir uns jetzt nicht mehr. Da ist erst mal, was Franziskus mit vielen so scheinbar lockeren Sprüchen sagt, erst mal wirklich eine Lockerungsübung. Aber es ist eine Übergangsphase, erst mal zu sagen, worauf kommt es wirklich an. Es ist wichtiger, wie ein Mensch lebt, als wie nur seine Sexualität, seine moralische Beurteilung durch die Katholische Kirche erfolgt. Da ist einfach ein Missverhältnis in den vergangenen Jahrzehnten, Jahrhunderten eingetreten. Es geht eigentlich im Glauben, im christlichen Glauben, in christlicher sozialer Verantwortung um ganz andere Dinge und da müssen wir im Augenblick noch mal sehr viel lernen. Da würde ich mir wünschen, dass die deutschen Bischöfe, um jetzt gerade mal Deutschland zu sagen, diesen Kurs von Papst Franziskus noch viel, viel mehr unterstützen, als sie es bisher getan haben. Kardinal Marx, der Vorsitzende der deutschen Bischöfe, hat das im letzten Oktober in Rom deutlich gesagt, aber da höre ich von den Bischöfen noch viel zu wenig.
    "Franziskus hat den Kampf aufgenommen"
    Meurer: Man geht ja davon aus, dass es in der Kurie erhebliche Widerstände gibt gegen den Papst. Was helfen all die Interviews, wenn er nicht den Kampf aufnimmt mit dem Machtapparat im Vatikan?
    Weisner: Er hat den Kampf aufgenommen. Da bin ich ganz fest von überzeugt. Er hat wichtige Positionen wie den Kardinal Staatssekretär - das ist gewissermaßen der zweite Mann, der politische Mann, Kardinal Parolin - besetzt mit Leuten, in den Kongregationen sind jetzt Leute drin, die im Augenblick diesen neuen Kurs, der aber kein neuer Kurs ist, sondern der der Kurs des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren ist, die diesen Kurs fahren. Aber natürlich, stellen Sie sich vor, ein deutscher großer Weltkonzern, ich sage einfach mal Siemens, hat große Probleme in der Zentrale, und da kommt jemand von der Filiale in Taiwan und soll die Siemens-Zentrale in München in Ordnung bringen. Das ist natürlich kein Job, der in einem Monat, in einem Jahr getan werden kann. Franziskus denkt in Prozessen. Er hat aber diese Prozesse in vielerlei Hinsicht angestoßen. Ich will mal sagen, im Finanzbereich ist sehr viel Transparenz da, muss noch weitergehen. In der Frage, wie wir überhaupt weiterkommen - das sind diese beiden Familiensynoden im letzten Oktober und in diesem Jahr...
    Meurer: Da hat er allerdings eine Niederlage erlitten und keine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen.
    Weisner: Das ist jetzt ein kleines Unterproblem. Das zeigt im Augenblick, glaube ich, das, was sie als Niederlage bezeichnen. Das ist ein sehr realistisches Bild, wie wir als Weltkirche, 1,2 Milliarden Menschen, uns insgesamt auch in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedlich positionieren. Sie sprechen an das Thema Homosexualität und geschiedene Wiederverheiratete, das in Afrika vielleicht anders gesehen wird als in Europa. Aber wir sind im Augenblick auf einem synodalen Weg. Was es jetzt bloß braucht ist, dass die Bischöfe diesen synodalen Weg, ein Weg der Beratung, Lösungsvorschläge zu bringen, dass sie das auch wirklich machen. Da ist von der Deutschen Bischofskonferenz viel zu wenig im Augenblick, was da passiert. Die haben jetzt im Augenblick diesen römischen Fragebogen einfach so mal ins Internet gestellt, ohne eine Arbeitsanleitung, ohne eine Hilfe. Da sehe ich eine große Gefahr, dass dieses Reformprojekt von Franziskus gefährdet wird.
    Meurer: Ein Fragebogen, mit dem die Basis sozusagen nach ihren Ansichten über Moral und Sexualität befragt wurde. - Christian Weisner von der Bewegung "Wir sind Kirche" setzt immer noch auf Papst Franziskus, der die Katholische Kirche reformieren soll. Herr Weisner, danke und auf Wiederhören.
    Weisner: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.