Zagatta: Sie sagen, schwere Menschenrechtsverletzungen. Die Frage, die diskutiert und geklärt werden soll ist: Hat es ein Massaker gegeben, wie die Palästinenser das behaupten? Können Sie dazu schon etwas sagen?
Bartelt: Massaker ist kein juristisch verwendbarer Terminus; es ist ein Terminus, der stark emotional aufgeladen ist. Amnesty wird aus diesem Grund mit diesem Begriff nicht arbeiten können, weil Amnesty sich allein auf international kodifiziertes Recht beruft. Massaker gehört nicht dazu. Wir reden, wenn überhaupt, von Verletzung des humanitären Völkerrechts, Verletzung von Menschenrechten und Kriegsverbrechen, und da gibt es, wie gesagt, einen Verdacht darauf. Ich will nochmals betonen, dass sich die Delegation, die sich noch bis heute in Israel befindet, um Menschenrechtsverletzungen von beiden Seiten kümmert, also Frau Kahn hat gestern mit Angehörigen von Opfern von Selbstmordattentaten gesprochen, und sie betont eindeutig: Es bricht internationales Recht, wenn Zivilisten ermordet werden, gleich aus welchem Grund, gleich auf welcher Seite.
Zagatta: Israel räumt ja ein, in Dschenin mindestens 50 Palästinenser getötet zu haben, aber die israelische Armee spricht von Kämpfern und beziffert die eigenen Verluste auf 23 getötete israelische Soldaten. Deutet das nicht darauf hin, dass da kein Massenmord oder Ähnliches geplant war? Denn wenn die Israelis das gewollt hätten, hätten sie doch ohne eigene Verluste oder mit weniger eigenen Verlusten das Flüchtlingslager vielleicht bombardieren können.
Bartelt: Was die Zahlen angeht, hat Amnesty bisher noch keine Fakten schaffen können, sondern da muss sich die Delegation zunächst auf das stützen, was andere NGOs und UN-Delegationen vor Ort gefunden haben. Die Zahl der Toten ist derzeit noch nicht feststellbar. Der schottische Gerichtsmediziner Pounder, der bei der ersten Amnesty-Mission vor knapp zwei Wochen dabei war, hat gesagt: das Auffällige für ihn war, dass man nichts gesehen hat. Es gab kaum Schwerverletzte, und man geht normalerweise davon aus, dass auf einen Toten etwa drei Schwerverletzte bei derartigen Konflikten kommen. Es gibt sicherlich noch eine Menge Leichen unter den Trümmern, so dass man dazu noch keine genaueren Angaben machen kann.
Zagatta: Diese Vorfälle, das Einmarschieren der israelischen Armee liegt ja schon einige Zeit zurück. Glauben Sie, dass man da noch aufklären kann, was überhaupt passiert ist?
Bartelt: Da bin ich jetzt nicht der Experte. Deswegen fordert ja Amnesty, dass eben diese UNO-Kommission hin muss, aber auch nochmals ergänzt von einer wirklichen Expertenkommission, die dann genau die Leute dabei hat, die so etwas untersuchen können. Man wird sicherlich unter den Trümmern noch Körper finden, an denen sich dann feststellen lassen wird, auf welche Art und Weise sie ums Leben gekommen sind. Also Erkenntnisse stehen da noch aus.
Zagatta: Kooperiert denn die israelische Armee mit Ihnen? Bekommt Amnesty International von den Israelis Auskunft, oder sind Sie im Moment allein auf die Palästinenser als Informanten angewiesen?
Bartelt: Immerhin war es schon ein Erfolg, dass die Amnesty-Kommission zweimal in das Lager hinein durfte, was niemandem anders möglich war, auch nicht dem Roten Kreuz. Insofern ist da schon eine Kooperation vorhanden, und die israelische Position ist ja über die Sprecher der Armee allgemein auch den Medien bekannt. Die Interviews in Dschenin waren logischerweise zunächst mit Palästinensern, und - ich sagte es gerade schon - Frau Kahn hat auch mit Israelis gesprochen, die ihrerseits Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind.
Zagatta: Arbeitet Amnesty mit der UNO-Kommission zusammen, wenn sie dann vor Ort erscheinen kann, oder soll diese Untersuchung unabhängig von Ihren Kenntnissen erfolgen?
Bartelt: Ich würde sagen, aufbauend. Aber die Kommission als solche ist eine Kommission der UNO, nicht von Amnesty. Amnesty bietet immer seine Expertise an, aber es liegt auf Seiten der UNO, das zu entscheiden.
Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio