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"Es gab einfach keine Alternative zu Dieter Althaus"

Die CDU Thüringen hat sich zu sehr auf Dieter Althaus fixiert, sagt der Politikwissenschaftler Dietmar Herz, "ein nicht zu vermeidender Fehler". Nun verhandeln zunächst SPD und die Linke - und Herz sieht die SPD in einer taktisch günstigen Position.

04.09.2009
    Dietmar Herz: Es gab einige Phasen des Wahlkampfs, wo er wieder ganz der Alte schien, dann am Ende hat er den großen Fehler gemacht, seinen Unfall zu thematisieren in einer boulevardhaften Art, entgegen der impliziten Absprache aller Parteien, das Thema aus dem Wahlkampf herauszulassen. Damit hat er sich sehr geschadet. Als der Mann von Frau Christandl, die ja ums Leben kam bei dem Unfall, ihm Pietätlosigkeit vorgeworfen hat, hat er dann wieder zurückgerudert. Er wurde dann sehr nervös in der letzten Wahlkampfphase.

    Dirk Müller: War das der große Fehler, Herr Herz, dass die CDU noch einmal mit Dieter Althaus in dieses Wahlrennen gegangen ist?

    Herz: Das war ein nicht zu vermeidender Fehler, weil die CDU sich in den ganzen Jahren, in den sechs Jahren, in denen Althaus Ministerpräsident war, auf diese Person fixiert hat und Althaus die Partei und die Regierung nach seinen Wünschen gestaltet und geformt hat. Es gab einfach keine Alternative zu Dieter Althaus, und insofern blieb der Union nichts anderes übrig, als wieder mit Dieter Althaus in den Wahlkampf zu gehen.

    Müller: Da hat es keine Alternative zu Dieter Althaus gegeben aufgrund der vergangenen sechs Jahre, aufgrund dieser Konzentration auch auf seine Person. Warum gibt es jetzt plötzlich eine Alternative?

    Herz: Na ja, weil es jetzt ein Alternative geben muss. Es wäre ja auch im Frühjahr natürlich gegangen, wenn Althaus nicht hätte zurückkommen können, dann wäre im Frühjahr vermutlich Frau Dietzel Ministerpräsidentin geworden, weil sie dieses Amt dann ja schon amtierenderweise ausgeübt hat. Aber die Partei hat die Perzeption gehabt, dass es keine Alternative dazu gibt. So wurde das damals ja auch diskutiert. Jetzt ist das natürlich eine etwas andere Situation, erstens muss es eine Alternative geben, weil er zurückgetreten ist, zweitens hat er diese Wahlniederlage zu verantworten, und das war vor vier Monaten nicht so. Und es gab ja dann viele in der CDU, die glaubten, man könne sich in eine ganz bequeme Koalition retten, also, wenn die CDU sehr viel stärker geworden wäre, wäre vielleicht eine schwarz-gelbe Koalition denkbar gewesen, es wäre vielleicht eine Jamaika-Variante denkbar gewesen oder es wäre denkbar gewesen, aus einer Position der Stärke heraus mit der SPD zu verhandeln. Alle diese Optionen sind weg.

    Müller: Jetzt gibt es die Option, dass die CDU sich eventuell in einer neuen Regierung, wo sie immer noch die stärkste Partei ist, dann regeneriert und erholt?

    Herz: Ja, es ist eine Art Märchen, dass sich Parteien in der Opposition nur regenerieren können. Das kann der Fall sein, das muss aber nicht der Fall sein. Also, die CDU könnte sich durchaus in der Regierung regenerieren, aber es ist auch nicht gesagt, dass es eine große Koalition gibt. Es gibt noch sehr, sehr viele Hindernisse auf dem Weg zu einer großen Koalition. Das Wichtigste davon ist jetzt weg, aber die Differenzen zwischen der CDU und der SPD sind immer noch sehr, sehr groß, da müssten vonseiten der CDU noch ganz große, sehr schmerzhafte Zugeständnisse gemacht werden. Und dann gibt es eine Präferenz in der SPD und in der Wählerschaft der SPD für eine Linksoption, das heißt, wenn Bodo Ramelow über seinen Schatten springt und auf das Amt des Ministerpräsidenten zugunsten von Matschie verzichtet, dann wäre die rot-rot-grüne Option die wahrscheinliche.

    Müller: Wie kann das sein, dass ein Sozialdemokrat mit 18 Prozent jetzt die politische Landschaft aufmischt?

    Herz: Na ja, ihm ist eine ganze Reihe von Dingen geglückt. Zuerst hat er die Partei – im letzten Jahr vor allem und im Jahr davor – einigen können, die sehr in sich zerstritten war. Er hat sie einigen können, er hat sie zu klaren, programmatischen Aussagen – auch im Hinblick auf Koalitionsbildung – führen können. Das hat ihn in eine sehr starke Position in der Partei versetzt. Er hat sich selber klugerweise gefesselt, indem er sagte, die SPD wird keinen linken Ministerpräsidenten mitwählen. Er hat es so oft gesagt, dass diese Selbstfesselung nun so wirksam ist, dass damit auch die Partei gefesselt ist. Auch das war sehr klug, weil er damit seine innerparteilichen Gegner auf Distanz gehalten hat. Und dann hat er entgegen dem Bundestrend natürlich vier Prozent zugelegt. Insofern ist er nicht ein Verlierer der Wahl, wie Frau Merkel das in einem Statement sozusagen angedeutet hat, sondern er ist der strategische Sieger der Wahl, auch wenn er nur den dritten Platz bekommen hat.

    Müller: Nur den dritten Platz, er kandidiert für die SPD, ja nicht für die FDP, die wollte mal die 18 Prozent, die hat die SPD jetzt bekommen, das heißt, diese Machtpokeroption, über die Christoph Matschie jetzt verfügt, ist politisch absolut legitim und nachvollziehbar?

    Herz: Die ist politisch legitim und nachvollziehbar. Das gibt es in vielen parlamentarischen Systemen. Es gibt in Deutschland die Konvention, dass die stärkste Partei auch immer den Bundeskanzler stellt oder den Ministerpräsidenten in einem Land stellt.

    Müller: ... die ja nicht absurd ist.

    Herz: Nein, die hat eine gewisse Logik, aber das muss in einer komplizierteren Parteienlandschaft nicht unbedingt so sein. Das ist eine Regel, die letztlich aus einem Zwei-Parteien-System oder aus einem Drei-Parteien-System hervorgegangen ist.

    Müller: Herr Herz, jetzt dürfen wir Sie hier im Deutschlandfunk nicht in die Nacht entlassen, ohne klipp und klar zu fragen: Wer wird neuer Ministerpräsident in Thüringen?

    Herz: Ja, das ist eine ganz schwierige Frage. Also, wenn Bodo Ramelow nachgibt, wird es Christoph Matschie. Wenn Bodo Ramelow nicht nachgibt, Christine Lieberknecht. Momentan würde ich sagen, dass die Chancen gut sind, dass Ramelow nachgibt, weil ich glaube, dass aus strategischen Gründen für ihn die Regierungsfähigkeit und die Teilhabe an der Regierung für die Linkspartei wichtiger ist als das Amt des Ministerpräsidenten, und fünf Jahre Oppositionsführer im Thüringer Landtag ist keine sehr erfreuliche Perspektive.