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"Es gab zu wenig Herzensrepublikaner"

Justus H. Ulbricht, Kurator der Ausstellung "Weimar 1919 – Chancen einer Republik", führt das Scheitern derselben auf "eine fatale Kombination aus innenpolitischen Problemen und außenpolitischen Schwierigkeiten" zurück. Vom Mut der Gründer profitiere unser heutiges Grundgesetz.

Justus H. Ulbricht im Gespräch mit Jochen Spengler | 06.02.2009
    Jochen Spengler: Was wäre eigentlich aus Deutschland geworden, wenn der Versuch, der heute vor 90 Jahren in Weimar begann, nicht im braunen Chaos geendet, sondern geklappt hätte? – In der Residenzstadt kam am 6. Februar 1919 die Nationalversammlung zur konstituierenden Sitzung zusammen. Im Chaos nach dem Ersten Weltkrieg, das auch die Monarchie hinwegfegte, da starteten engagierte Bürger den ersten Versuch einer demokratischen Republik in Deutschland, woran heute in Weimar mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen erinnert wird.
    Den Kurator dieser Ausstellung begrüße ich nun in einem Studio im thüringischen Jena. Guten Morgen, Justus H. Ulbricht.

    Justus H. Ulbricht: Guten Morgen!

    Spengler: "Weimar 1919 – Chancen einer Republik", so heißt die Ausstellung. Warum wollen Sie gerade auf die Chancen aufmerksam machen?

    Ulbricht: Weil mir persönlich relativ viel über das Scheitern gesprochen wird. Ich finde, wenn man Demokratiegeschichte erzählen möchte, um auch Mut zu machen in der gegenwärtigen Demokratie, dann muss man auf die Errungenschaften, die Chancen, den Aufbruch, den Enthusiasmus des Anfangs auch mal verweisen. Immerhin hat diese Republik über lange Jahre viele Menschen zu Bürgern gemacht. Aus Untertanen wurden Bürger und darauf möchten wir verweisen, ohne diesen Anfang auch schön zu reden oder ohne zu verdrängen, wie die Republik dann irgendwann auch gescheitert ist und zu Ende ging.

    Spengler: Sie haben es gerade angesprochen: die Republik ist gescheitert. Und wenn man Weimar hört, also mir geht es zumindest so, dass ich Weimar eher mit etwas Misslungenem in Verbindung bringe. Es wird vor Weimarer Verhältnissen gewarnt. Früher hieß es auch "Bonn ist nicht Weimar". Worauf spielte dieser Spruch eigentlich an, "Bonn ist nicht Weimar"?

    Ulbricht: Das Scheitern der Republik ist natürlich das große Trauma der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, und was danach kam war ein noch größeres Trauma. Das war abzuarbeiten nach 1945, nach 1949, nach der Gründung beider deutscher Staaten. Insofern ist klar, dass man über Jahrzehnte auch in der politischen Bildung dieses Scheitern zum Thema gemacht hat und sich gefragt hat, woran ist es denn gescheitert, dieses Experiment.

    Spengler: Rufen Sie es uns noch mal in Erinnerung. Woran ist es denn gescheitert? Was waren die Gründe?

    Ulbricht: Multifaktorielle Gründe. Ich denke mal erstens, natürlich gab es eine Radikalisierung auf der linken, aber noch viel stärker auf der rechten. Es gab zu wenig Herzensrepublikaner, es gab eine fatale Kombination aus innenpolitischen Problemen und außenpolitischen Schwierigkeiten und vor allen Dingen ökonomischen Schwierigkeiten am Ende der 20er-Jahre, und dann ist es eben leider Gottes so gewesen, dass die Mehrheit der deutschen Eliten in Distanz, wenn nicht gar in Feindschaft zur Republik standen und dann jemandem in den Sattel geholfen haben, der mit Republik eben aufgeräumt hat, nämlich Adolf Hitler. Der hat ja legal die Macht bekommen, von Mehrheiten überliefert bekommen. Die Machtergreifung war eine Machtübertragung. Das hat etwas beendet, was eben doch über lange Jahre eine echte Chance für die deutsche Gesellschaft gewesen ist, und wir wollen auf den Anfangspunkt setzen und die Perspektive etwas verändern und sagen, es ist eine Nachgeschichte. Es ist der Weg von einer Untertanengesellschaft in eine Bürgergesellschaft. Es gab dort ganz viele mutige Bürger, die gesagt haben, "yes, we can", wir können dieses Land ändern, wir haben jetzt ein Zeitfenster von wenigen Monaten, um Grundlagen zu legen in Form der Verfassung, um ein anderes Deutschland zu bauen. Ich finde dieses Experiment und diesen Weg sehr faszinierend und darauf wollten wir mit unserer Ausstellung hinweisen.

    Spengler: Das ist begonnen worden wie gesagt in Weimar. Warum eigentlich in Weimar? Warum nicht in Berlin?

    Ulbricht: Berlin war nicht zu sichern. In der Blutweihnacht 1918 und im Spartakus-Aufstand 1919 ist klar geworden, dass man die Protagonisten der Republik nicht wirksam schützen konnte. Man hätte unmöglich über 400 Parlamentarier in Berlin wirksam schützen können, auch vor einem Attentat.

    Spengler: Schützen vor wem?

    Ulbricht: Schützen vor den Radikalinskis der Linken wie der Rechten, vor denen, die bewaffnet waren, vor denen, für die Politik Kampf war. Die hatten nichts anderes gelernt, vier Jahre vorher im Ersten Weltkrieg. Deswegen geht man aus Berlin heraus, zumal Berlin auch das Symbol des alten Wilhelminismus ist. Potsdam ist nicht weit, der Geist Friedrichs des Großen im schlecht verstandenen Sinne. Das wollte man nicht, also geht man nach Weimar, eine zu sichernde Stadt, eine Kleinstadt, eine Residenzstadt. Mit 5.000 Soldaten war da Ruhe und Ordnung herzustellen. Und dann war es auch noch ein symbolisch besetzter Ort: Weltbürgertum und Humanität. Das was Friedrich Ebert in seiner berühmten Rede am Anfang der Versammlung beschwört, das sind goethesche Werte und die wollte man eher betonen als preußische und hat das auch als Signal ans Ausland verstanden, schaut auf Deutschland, dieses neue Deutschland, diese Republik, die gerade erst laufen lernt, fängt in anderem Geist an. Dafür war Weimar eben auch der richtige Ort.

    Spengler: Wenn Sie zusammenfassen würden, was waren denn, was sind denn für Sie die Errungenschaften der Weimarer Republik?

    Ulbricht: Die Grundrechte für Bürger sind in einer Weise damals erstmalig formuliert worden. Davon hat noch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland profitiert. Die Trennung von Kirche und Schule ist eine wichtige Errungenschaft, überhaupt die stärkere Trennung von Staat und Kirche. Wir hatten das Thema eben in anderer Weise bei Heiner Geißler. Dann das Stärken des Parlamentes im verfassungsrechtlichen Zusammenhang. Wir wissen, dass der Präsident der Weimarer Republik zu stark war. Das hat man am Ende gemerkt. Aber dennoch muss man sagen, der Parlamentarismus hat gewonnen in der Verfassungsgrundlegung 1919. Die Aufwertung der Parteien und dann vor allen Dingen natürlich ganz entscheidend die Aufwertung der Frauen. Die Frauen waren wählbar, die Frauen wählten, das Wahlalter wurde gesenkt, junge Erwachsene konnten plötzlich sich an der Gestaltung von Demokratie beteiligen, das Drei-Klassen-Wahlrecht war abgeschafft. Das heißt, diese Gesellschaft wurde offener, pluraler, aber natürlich auch dann heterogener und antagonistischer. Das ist eben Demokratie. Wenn man die Tür sozusagen aufmacht, muss man mit dem dann zu Streiche kommen, was durch die Tür hineinkommt, und das war für die Weimarer Republik teilweise eben auch ein Problem.

    Spengler: Es lohnt sich, über Weimar noch einmal nachzudenken. – Justus H. Ulbricht, Kurator der Ausstellung "Weimar 1919 – Chancen einer Republik", heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Ulbricht.

    Ulbricht: Bitte schön!