Archiv


"Es geht hier nicht um irgendetwas, es geht um Quelle"

Um den erwarteten Ansturm bald arbeitsloser Quelle-Mitarbeiter aufzufangen, ist die Arbeitsagentur zu Quelle gekommen: In einem Mini-Arbeitsamt können die Betroffenen ihre Zukunft organisieren, in einem "beispiellosen Akt der Solidarität", so Mitorganisator Rainer Bomba.

    Jochen Spengler: Mehr als 2000 Quelle-Mitarbeiter verlieren zum 1. November ihren Arbeitsplatz. Das heißt, für sie ist heute der letzte Arbeitstag. Ein bitterer Moment.
    Die Abwicklung des ehemaligen Vorzeigeunternehmens Quelle ist also in vollem Gange. Mehr und mehr Mitarbeiter stehen auf der Straße. Doch anders als üblich in solchen Fällen müssen sie nicht den Gang zum Arbeitsamt antreten; vielmehr ist das Arbeitsamt zu ihnen gekommen. Innerhalb weniger Tage wurde ein Mini-Arbeitsamt in jenen Nürnberger Quelle-Stockwerken eingerichtet, wo früher die grau-blauen Versandpakete gepackt wurden. Und mit einem derjenigen, die die Idee dazu hatten, sprechen wir jetzt. Rainer Bomba ist Chef der bayerischen Arbeitsagenturen. Guten Morgen, Herr Bomba.

    Rainer Bomba: Einen wunderschönen guten Morgen aus Nürnberg!

    Spengler: Herr Bomba, wie kommt man auf so eine ungewöhnliche Idee, das Mini-Arbeitsamt zu den Mitarbeitern zu bringen?

    Bomba: Es ist im Grunde genommen ein Erfordernis. Insgesamt geht es bei Quelle ja in dieser Region um über 4000 Mitarbeiter, und wenn 4000 Mitarbeiter auf die Arbeitsagentur Nürnberg zukommen, dann stehen die Schlangen bis zum Bahnhof. Wir haben uns gesagt, wir machen das anders, wir nehmen unsere Mitarbeiter, gehen in die Räume von Quelle. Das ist gut für die Quelle-Mitarbeiter, weil sie in den angestammten Räumlichkeiten, in einer gewohnten Umgebung, mit unseren Spezialisten reden können, und ich habe dazu auch alle Spezialisten aus Bayern nach Nürnberg geschafft. Wir haben über 100 Mitarbeiter in den Räumen von Quelle zurzeit und ich denke, wir konnten dort für die Mitarbeiter etwas tun.

    Spengler: War das eigentlich schwierig, Ihre Mitarbeiter zu dieser Art Solidarität zu bewegen? Es ist ja nicht so ganz einfach, vom hintersten Zipfel Bayerns aus dann nach Nürnberg zu kommen.

    Bomba: Nein, ganz im Gegenteil. Wir verspüren momentan einen beispiellosen Akt der Solidarität, insbesondere unter den Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit. Ich hatte den Aufruf letzte Woche gestartet und innerhalb von zwei Stunden hatte ich von allen Direktoren meiner Agenturen die Zusage, dass Personal in der benötigten Größe zur Verfügung steht.

    Spengler: Was ist das? Ist das mehr als Mitleid mit Menschen, die ihren Job verlieren?

    Bomba: Nein. Wir müssen auch sehen: Es geht hier nicht um irgendetwas, es geht um Quelle. Jeder kennt die blauen Päckchen. Wenn ich mich daran erinnere: Mein erstes Fahrrad habe ich von Quelle. Meine Mutter ist Sammelbestellerin. Man hat Weihnachten fieberhaft auf die Päckchen gewartet. Quelle ist im Grunde genommen auch Kultur. Diese Solidarität, die wir hier momentan auch unter den Unternehmen in Nürnberg spüren, es werden viele Stellen für Quelle gemeldet, die ist beispielhaft und das hat natürlich auch mit dem Geist von Quelle zu tun.

    Spengler: Sie haben die Solidarität von den Unternehmen angesprochen. Wie äußert die sich?

    Bomba: Wir haben momentan viele Telefonate mit Unternehmen, die uns explizit für Quelle-Mitarbeiter Stellen anbieten, und das sind mittlerweile nicht mehr wenige, es sind inzwischen mehrere Hundert Stellen, die wir hier verarbeiten, die wir in unser System eingeben und dann natürlich auch im Rahmen der Sofortvermittlung in den Räumen von Quelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anbieten.

    Spengler: Nun gibt es bundesweit mehr als 10.000 Quelle-Mitarbeiter, in Bayern etwa 5000. Nicht für alle wird es einen Job geben. Was tun Sie für die anderen?

    Bomba: Ja, es ist so, dass die Qualifizierung der Mitarbeiter von Quelle im Vordergrund steht. Nicht jeder ist gut oder hoch qualifiziert. Diejenigen finden natürlich sofort einen Arbeitsplatz, denn mit 4,5 Prozent Arbeitslosigkeit in Bayern liegen wir da relativ gut, und die Zahl der offenen Stellen ist auch noch relativ hoch. Aber für jemand, der lange Zeit einfache Tätigkeiten gemacht hat, vielleicht am Band gestanden hat, Päckchen gepackt hat und das vielleicht dort auch sehr gut gemacht hat, für den wird es momentan schwierig. Hier greifen wir tief in unsere arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Hier versuchen wir zu qualifizieren, hier versuchen wir, Hilfestellung zu leisten bei dem Weg in den Arbeitsmarkt. Aber wir müssen realistisch sein. Für jeden können wir nicht sofort etwas tun.

    Spengler: Wagen Sie denn eine Einschätzung, wie viel Prozent in absehbarer Zeit eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben werden?

    Bomba: Klar ist momentan, dass wir mehrere Hundert in diesem Jahr noch vermitteln können. Das ist überhaupt kein Problem. Mit den weiteren Mitarbeitern gehen wir in die Qualifizierung und wenn der Arbeitsmarkt im nächsten Jahr anzieht, dann werden wir natürlich in der Lage sein, auch einen großen Teil zu vermitteln, denn eines ist klar: ein anziehender Arbeitsmarkt und die demographische Entwicklung, die wir momentan haben – das heißt, es sind ja im Grunde genommen zu wenig Kräfte auf dem Arbeitsmarkt -, helfen uns dann natürlich und geben uns etwas Rückenwind. Aber klar und deutlich: es wird ein langer Weg und wir werden da viel Geld und viel Mühe reinstecken müssen.

    Spengler: Herr Bomba, Sie haben es eben schon angedeutet. Besonders schwer haben es die Mitarbeiter, die einfache Tätigkeiten verrichtet haben, also die am Band. Kann man das so sagen, dass es für die, die besser qualifiziert sind, leichter wird?

    Bomba: Auf jeden Fall. Wir merken das momentan auch im Rahmen der Sofortvermittlung. Wir haben in den Räumen von Quelle auch Vermittlungsbüros eingerichtet, in denen sich die Mitarbeiter sofort bei einem Vermittler erkundigen können, Vermittlungsvorschläge ausgedruckt bekommen, teilweise schon sofort telefonisch Kontakte aufnehmen, und die Bewerbungsaktivitäten laufen in vollem Gange. Wenn jemand eine gute Qualifikation hat und auch eine gewisse Mobilität an den Tag bringt, dann ist das Geschäft eigentlich relativ einfach. Schwieriger wird es, wenn multiple Hemmnisse zusammenkommen, Alter, fehlende Qualifikation, fehlende Mobilität. Dann wird es etwas länger dauern, aber auch da bin ich guter Hoffnung, dass wir im nächsten Jahr doch einiges erreichen können.

    Spengler: Nun fallen in unserem Sozialstaat die Betroffenen ja nicht ins Bodenlose, sondern sie bekommen 60 bis 67 Prozent vom letzten Netto-Gehalt, wenn sie denn arbeitslos sein sollten. Spüren Sie dennoch so etwas wie Verzweiflung bei den Menschen?

    Bomba: Ich muss sagen, ich bin außerordentlich positiv überrascht über die Quelle-Mitarbeiter, denen man ja zwei Monate vor Weihnachten wirklich den Stuhl unter dem Hintern weggezogen hat. Sie sind außerordentlich nett, sie sind freundlich, sie nehmen unsere Hilfe an. Sie sind zwar auch teilweise verzweifelt - wir haben ja auch einen psychologischen Dienst eingerichtet in den Räumlichkeiten von Quelle -, aber die Soforthilfe, die wir anbieten können, zeigt den Menschen natürlich auch: Punkt 1, ich bekomme meine Lohnersatzleistungen, und Punkt 2, der Markt in Bayern gibt ja auch noch Arbeitsplätze her. Ich denke, das ist momentan ganz wichtig und die beispiellose Solidarität unter den Unternehmen und der Bevölkerung hier in Franken gibt den Mitarbeitern von Quelle auch ein bisschen das Gefühl, wir fallen nicht ins Bodenlose.

    Spengler: Alles in allem, Ihre Aktion, die Sie dort gestartet haben, zu den Menschen zu gehen, würden Sie sie als erfolgreich bezeichnen?

    Bomba: Auf jeden Fall! Auf jeden Fall. Wir werden heute Bilanz ziehen. Wir sind heute den letzten Tag bei Quelle. Wir werden die Aktivitäten dann in die Agenturen verlegen. Aber wir haben mit mehreren Tausend Quelle-Mitarbeitern gesprochen und ich kann jetzt eines klar und deutlich hier auch schon am Telefon sagen: Wir werden die Leistungsgewährung, also die Auszahlung des Arbeitslosengeldes, trotz der widrigen Umstände, die wir haben – wir haben es ja in dem Vorbericht gehört -, sicherstellen. Die Menschen bekommen ihr Arbeitslosengeld rechtzeitig.

    Spengler: Rainer Bomba, Chef der bayerischen Arbeitsagenturen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Bomba.

    Bomba: Ich danke Ihnen.