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"Es geht ja kunterbunt durcheinander."

Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, befinden sich die Bundesregierung und die SPD in einem Auflösungsprozess. Es gebe in der SPD keine Ordnung und keine Autorität mehr. Bundeskanzler Schröder habe das Vertrauen in der Bevölkerung verloren und könne deshalb nicht mehr weiterregieren.

Moderation: Jochen Spengler |
    !Jochen Spengler: Ein historischer Tag heute, der 1. Juli 2005, ein Tag, an den wir uns vermutlich noch in Jahren und Jahrzehnten zurückerinnern werden. Zum fünften Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellt ein Kanzler die Vertrauensfrage. Darüber sprechen wir in den kommenden Minuten mit zwei Parlamentariern: mit Ludwig Stiegler von der SPD und jetzt zunächst mit Norbert Röttgen, dem parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Röttgen!

    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Röttgen, der Kanzler stellt heute die Vertrauensfrage. Er gibt damit sein Mandat den Wählern zurück, klebt nicht am Sessel. Das Land ist ihm wichtiger als die eigene Macht. Können Sie das am heutigen Tag schon würdigen, oder überlassen Sie das den Geschichtsbüchern?

    Röttgen: Na ja, zunächst einmal ist der Tag heute der Tag, an dem Rot-Grün erklärt und der Bundeskanzler erklärt, dass seine Politik gescheitert ist. Er hat ja ein Mandat für vier Jahre bekommen und dieses Mandat hatte einen Geburtsfehler. Er hat vor der Wahl den Menschen, den Bürgern nicht gesagt, was seine Politik sein wird. Er ist nicht ehrlich umgegangen. Zweitens hat er nie einen Kompass für seine Politik entwickelt und darum ist diese Regierung glaube ich so gescheitert, wie noch nie eine Regierung in der Nachkriegsgeschichte gescheitert ist. Es gibt immer Regierungswechsel. Wir müssen aber erst noch abwarten, ob wir einen bekommen. Wir haben noch einen Wahlkampf. Er ist aber in einer völlig umfänglichen Weise gescheitert.

    Spengler: Aber jetzt dient er doch dem Land, da er ja ohne Not noch eineinhalb Jahre hätte weiterregieren können?

    Röttgen: Nein! Dann, wenn das so wäre, wenn er ohne Not noch hätte weiterregieren können, dann hätte er ja weiterregiert. Er kann nicht mehr! Es gibt keine Chance. Es ist auch kein Dienst. Es ist auch, glaube ich, keine freie Entscheidung, sondern diese Regierung befindet sich in einem sich beschleunigenden Auflösungsprozess. Es gibt keine Ordnung mehr in der SPD, keine Autorität mehr. Sie sind ja noch nicht mal in der Lage, glaube ich, mit Anstand und Ordnung dieses Ende zu organisieren. Es geht ja kunterbunt durcheinander. Der eine stimmt so, der andere so.

    Spengler: Aber diese Inszenierung, die da heute stattfindet, ist dann doch für Sie eine echte und keine unechte Vertrauensfrage?

    Röttgen: Nach meiner Bewertung hat Herr Schröder das Vertrauen in der Bevölkerung verloren. Das ist der Kern, warum er schlicht nicht mehr weiterregieren kann.

    Spengler: Das steht aber heute nicht zur Abstimmung?

    Röttgen: Da haben Sie völlig Recht, sondern das wird dann die Abstimmungsfrage sein, wenn es zur Neuwahl kommt. Dann wird sozusagen die Frage von heute am Tag der Bundestagswahl beantwortet werden. Es ist aber der Grund, warum er diesen Weg aus meiner Sicht wählen muss, weil er wegen des nicht mehr vorhandenen Rückhalts in der Bevölkerung auch nicht mehr regieren kann. Wenn er den hätte, dann hätte er auch weiterregieren können, aber er ist in einer dramatischen Weise entzogen worden.

    Spengler: Aber wenn das jetzt das Kriterium wäre, dann müsste der Bundespräsident ja nachher sagen, nun ja, das zählt nicht, weil es zählt ja eigentlich, ob er noch die Mehrheit im Parlament hat. Gestern sind zum Beispiel 70 Entscheidungen, wenn ich richtig nachgelesen habe, von Rot-Grün durchgesetzt worden. Insgesamt gab es 31 Mal in den letzten Jahren eine Kanzlermehrheit, die Schröder gebraucht hat und immer bekommen hat. Da kann man doch dann eigentlich nicht von einer Instabilität sprechen?

    Röttgen: Ja. Noch einmal: Wie das Verfassungsrecht zu bewerten ist, haben ja andere Verfassungsorgane zu tun. Aber das, was wir dort täglich sehen - und das ist ja nur der Sachverhalt, von dem ich spreche - ist eine Auflösung nicht nur der Regierung, sondern auch der größten Regierungspartei, der SPD. Es geht ja nicht darum, ob man jetzt noch eine Entscheidung in der Verkehrspolitik oder im Abgeordnetengesetz oder an anderer Stelle im Gesellschaftsrecht vornehmen kann, sondern es geht darum, ob das, was den Kern der Probleme ausmacht, die wirtschaftliche Erholung des Landes, die Sanierung, die Gesundung der sozialen Sicherungssysteme, eine notwendige wettbewerbsfähige und gerechte Steuerpolitik, eine Zukunft hat. In diesem Kernbereich hat ja kein einziger Punkt gestern zur Abstimmung gestanden. Dort glaubt der Bundeskanzler keine Mehrheit mehr zu haben und meine These ist, er hat für das, was er vor hat, in der Bevölkerung die Mehrheit, die Unterstützung in einer dramatischen Weise verloren. Das ist der Grund, warum er heute nicht sagen kann ich diene, sondern warum er heute sagen muss ich bin am Ende.

    Spengler: Wieso beantragen Sie gegen Schröder eigentlich kein konstruktives Misstrauensvotum und lassen Angela Merkel antreten?

    Röttgen: Weil die Union in diesem Bundestag keine parlamentarische Mehrheit hat. Wir haben ja eine Bundestagswahl gehabt im Jahre 2002. Dort haben wir keine Mehrheit bekommen, sondern wir sind die Minderheit. Wir haben auch darüber keine Illusionen, dass wir im Bundestag keine Mehrheit haben. Wir wollen bei den nächsten Bundestagswahlen, wann sie auch immer stattfinden, eine Mehrheit für eine andere Politik erst noch bekommen.

    Spengler: Aber im Bundestag wird Schröder heute auch keine Mehrheit haben. Davon gehen Sie aus?

    Röttgen: Das sind die Erklärungen von den Koalitionsfraktionen, die unterschiedlich sind. Manche wollen ihm das Vertrauen aussprechen. Manche wollen sich enthalten. Andere fordern seinen Rücktritt. Es muss ja positiv die Kanzlermehrheit von 301 Stimmen zusammenkommen und es sieht so aus, dass dies nicht geschieht.

    Spengler: Der Bundespräsident muss dann prüfen. Wie sollte er entscheiden?

    Röttgen: Ich finde eines der Dinge, die wirklich nicht gut gelaufen sind, ist, dass der Bundespräsident in seiner unabhängigen Entscheiderrolle nicht ausreichend respektiert worden ist. Ich glaube nicht von unserer Fraktion, sondern von anderen. Der Bundespräsident hat die Entscheidung zunächst des Bundeskanzlers entgegenzunehmen, dass er glaubt, nicht mehr regieren zu können. Auf dieser Grundlage der Einschätzung des Kanzlers muss dann der Bundespräsident eine eigene staatspolitische Entscheidung treffen. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, dass die Verfassungsorgane auch in der Form ordentlich miteinander umgehen und diese Entscheidung steht dem Bundespräsidenten zu.