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"Es geht keine Beispielwirkung aus"

Der UNO-Unterhändler für das Kosovo, Albert Rohan, hat die Unabhängigkeitserklärung des Landes mit Erleichterung aufgenommen. Das Kosovo sei gleichzeitig ein Sonderfall, so dass von ihm keine Beispielwirkung ausgehe, betonte Rohan. Kurzfristig rechne er eher mit einer Verweigerung von Seiten der im Kosovo lebenden Serben, allerdings hoffe er, dass zu einem politisch günstigen Zeitpunkt beide Staaten in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen werden können.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Das Kosovo, ein neuer Staat in Europa seit gestern Nachmittag. Ein Präzedenzfall auch für andere Regionen, Fragen an den UNO-Unterhändler Albert Rohan.

    Albert Rohan: Guten Morgen!

    Klein: Wie wohl ist Ihnen bei diesem Schritt des Kosovo in die Unabhängigkeit gewesen?

    Rohan: Na ja, es ist vor allem eine gewisse Erleichterung, dass endlich eine Entscheidung gefallen ist, weil das Ärgste war ja diese Unsicherheit, was geschehen wird und auch eine gewisse Befriedigung, dass die Unabhängigkeit auf der Basis unseres Vorschlages verkündet wurde. Im Übrigen, es war nicht so, dass er im Sicherheitsrat keine Mehrheit gefunden hat, sondern dass ein ständiges Mitglied, nämlich Russland, mit einem Veto gedroht hat und daher die Annahme verhindert hat.

    Klein: Welche Teile dieses Planes werden jetzt tatsächlich umgesetzt?

    Rohan: Alle, und zwar die 80 Prozent der Vorschläge dienen ja dem Schutz der serbischen Gemeinschaft im Kosovo. Da herrscht, glaube ich, Übereinstimmung. Alle wollen, einschließlich der Regierung in Pristina, dass die etwa 120.000 Serben, die es noch im Kosovo gibt, dort bleiben, dass Flüchtlinge zurückkehren, wenn sie dies wünschen, und dass sie dort eine normales, sicheres Leben führen können. Und die Maßnahmen, die wir vorschlagen, dienen diesem Zweck, dem Schutz der Serben.

    Klein: Dennoch stehen einige Fragezeichen hinter der gestrigen Unabhängigkeitserklärung. Nur eines ist, wie werden sich die im Kosovo lebenden, Sie haben es gerade angesprochen, mehr als 100.000 Serben einbeziehen lassen, zum Beispiel jene in der Enklave Mitrovice? Rechnen Sie da mit Kooperationsbereitschaft oder doch eher mit Verweigerung?

    Rohan: Kurzfristig sicherlich eher mit einer Verweigerung. Nur müssen sich auch die Kosovo-Serben klar sein, dass, dass wenn sie im Kosovo bleiben wollen, wenn sie dort ihre Heimat, ihre Zukunft suchen, dann geht es nicht an, dass sie weder mit der Regierung vom Kosovo noch mit der Europäischen Union und ihrer Mission kooperieren. Diese Entscheidung kann man ihnen nicht abnehmen. Sie müssen die Rechte, die wir ihnen anbieten in unseren Vorschlägen, auch ausnützen. Sonst kann das nicht funktionieren.

    Klein: Die UNO steht nicht mit einer wirklichen Resolution hinter der Unabhängigkeit des Kosovo und damit ja auch nicht hinter der EU-Mission, in deren Rahmen jetzt Beamte, Polizisten, Verwaltungsfachleute ins Kosovo entsandt werden. Wie viel Macht hat die EULEX, bei Streitfragen wirklich auch durchzugreifen?

    Rohan: Die EULEX hat gemäß unseren Vorschlägen eher ganz spezifische Aufgaben. Es ist nicht eine einfache Fortsetzung der UNO-Verwaltung, wie die bisher bestanden hat, sondern es ist eine auf den Bereich von Justiz und Sicherheit beschränkte Mission. Und in diesem Bereich sind die Zustände, vor allem für die Verfolgung von organisierten Verbrechen, von politischen Verbrechen, von interethnischen Verbrechen, Dinge, die die neuen Justizinstitutionen im Kosovo noch nicht selber durchführen können. Darauf ist im Grunde die EULEX beschränkt.

    Klein: Die EU lädt sich natürlich auch eine große Verantwortung damit auf, und man kann natürlich schon fragen, was ist bei den ersten Schwierigkeiten, wenn die EULEX, wenn die Beamten einmal durchgreifen müssten, wenn sie ihre Autorität unter Beweis stellen müssen und es vielleicht gar nicht können aufgrund ihres Mandates.

    Rohan: Ich glaube, in dem Bereich, in dem ihre Aufgaben bestehen, werden sie das durchaus können, weil ja auch die Regierung vom Kosovo zu einer vollen Zusammenarbeit bereit ist. Ich glaube, ich sehe da keine echten Probleme. Wie gesagt, es ist nicht eine allumfassende Superverwaltung, sondern es ist eine Mission mit ganz spezifischen und begrenzten Aufgaben.

    Klein: Wer verhindert, wenn es eben doch, was wir alle nicht wünschen, zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zum Beispiel kommen sollte?

    Rohan: Dazu besteht die militärische Mission, die ja jetzt schon vor Ort ist mit Truppen aus verschiedensten Ländern, die wird in Hinkunft direkt unter NATO-Kommando stehen. Und deren Aufgabe ist es, für die innere und äußere Sicherheit zu sorgen. Und ich glaube schon, dass sie durchaus befähigt ist, diese Truppe, diese Aufgaben wahrzunehmen.

    Klein: Die Bedenken gegen die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo werden von vielen Völkerrechtsexperten geteilt. Russland und Serbien machen bereits heftig Druck dagegen. Sie fordern die NATO etwa auf, die Unabhängigkeit zurückzunehmen. Welche politischen Entwicklungen erwarten Sie da in der Zukunft?

    Rohan: Ich glaube, es wird in den nächsten Wochen sicherlich heftige politische Diskussionen geben, der Sicherheitsrat soll ja neuerlich einberufen werden. Aber es werden schließlich alle Staaten, die zurückhaltend sind, zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Unabhängigkeit des Kosovo eine Tatsache ist, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Und es geht jetzt darum, wie kann etwa Serbien unter voller Wahrung seines Rechtsstandpunktes eine Haltung finden, die nicht eine reine Verhinderungspolitik ist und Behinderungspolitik, auch im Interesse der Stabilität der Region. Wie gesagt, immer unter Wahrung des Rechtsstandpunktes.

    Klein: Wenn wir den Fokus noch ein wenig weiter aufziehen, die Frage nach dem Präzedenzfall wird ja immer wieder gestellt. Wie ist denn anderen Minderheiten das gleiche Recht, was die Kosovaren sich jetzt genommen haben, auszureden?

    Rohan: Schauen Sie, niemand kann verhindern, dass einzelne Unabhängigkeitsbewegungen sich auf Kosovo berufen werden. Aber, ob eine Präzedenzwirkung ausgeht von Kosovo oder nicht, hängt einzig und allein von der Entscheidung der Staatengemeinschaft ab. Und es wäre viel klüger, statt ständig von der Gefahr einer Beispielswirkung zu sprechen ...

    Klein: Oh, da ist uns offenbar die Leitung abhanden gekommen. Wir versuchen gleich noch mal, Kontakt zu Albert Rohan herzustellen.

    Klein: Und wir haben den UNO-Unterhändler Albert Rohan noch einmal am Telefon erreicht. Herr Rohan, wir waren gerade bei der Frage, ob die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zu einem Präzedenzfall führen könnte oder nicht. Sie glauben nicht daran?

    Rohan: Nein, ich glaube, es hängt, diese Frage, ganz allein von der Entscheidung der Staatengemeinschaft ab. Und es wäre klüger, anstatt immer wieder von der Gefahr einer Beispielswirkung zu sprechen, klipp und klar zu sagen, das Kosovo ist ein Sonderfall. Es kann keine Präzedenzwirkung davon ausgehen, weil wir, die Staaten, es nicht anerkennen würden. Damit wäre die Sache ein für allemal erledigt. Und, wie gesagt, einzelne Bewegungen, Unabhängigkeitsbewegungen, mögen sich auf den Kosovo berufen. Die Entscheidung aber hängt einzig und allein von den Staaten ab.

    Klein: Wie soll die Weltgemeinschaft sich denn verhalten? Mit welchen Argumenten soll sie kommen, wenn etwa Abchasien und Ossetien sich von Georgien abspalten, von Russland anerkannt werden? Kann die Weltgemeinschaft etwas anderes tun, als dann zuzuschauen?

    Rohan: Sie kann Abchasien nicht anerkennen. Damit ist die Unabhängigkeit von Abchasien im völkerrechtlichen Sinn eher nichtig, weil es hängt ja nicht von der Unabhängigkeitserklärung ab, sondern ob diese Unabhängigkeit von der Staatengemeinschaft anerkannt wird. Wenn sie das nicht tut, dann wird es keinen anerkannten, unabhängigen Staat Abchasien geben.

    Klein: Und die Wirkung in Europa, wir haben die Basken in Spanien, wir haben Nordirland, wir haben Niederlande und Belgien, die in gewisser Weise ja auch Kunstprodukte mit einem Bevölkerungsgemisch sind, das so nicht auf ewig unter einem Dach bleiben muss. Entsteht hier nicht der Eindruck, es wird mit zweierlei Maß gemessen?

    Rohan: Nein, weil Kosovo, wenn Sie sich die Vorgeschichte anschauen, die Menschenrechtsverletzungen, die ethnischen Säuberungsaktionen, die militärische Intervention der Staatengemeinschaft, acht Jahre UNO-Verwaltung, alles das gibt es in keinem anderen dieser Fälle. Und das müsste man klipp und klar sagen, das ist ein Sonderfall, es geht keine Beispielwirkung aus, wir würden eine Beispielwirkung nicht anerkennen. Und damit würde man alle diese Bemühungen, die möglicherweise kommen werden von einzelnen Unabhängigkeitsbewegungen, mit einem Schlag beenden.

    Klein: Es wird sich irgendwann die Frage stellen, Herr Rohan, wer wird wann Mitglied der Europäischen Union werden, das Kosovo, Serbien, wer zuerst? Beide Entscheidungen hätten Vorteile, es würde aber auch einiges dagegen sprechen. Wovon soll die EU das abhängig machen?

    Rohan: Ich glaube, die Beitrittsfrage zur EU ist in jedem Fall individuell zu beurteilen. Sie hängt einzig und allein davon ab, ob der betreffende Staat Mitglied werden will, erstens, und zweitens, ob er die Mitgliedschaftsbedingungen erfüllt. Wenn ein Staat die Mitgliedschaftsbedingungen zur Europäischen Union, vor allem die Kopenhagener Kriterien erfüllt, dann hat es das Recht auf Mitgliedschaft. Und ich glaube, so muss man das sehen. Es hängt nicht das eine vom anderen ab. Politisch gesehen, wäre es sicherlich günstig, wenn beide Staaten zum gleichen Zeitpunkt aufgenommen werden könnten. Aber, wie gesagt, das hängt von den Gegebenheiten ab.

    Klein: Albert Rohan war das, UNO-Unterhändler für das Kosovo. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Rohan!

    Rohan: Bitte sehr!