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"Es geht um den gesamten deutschen Fussball!"

Durak: Die Fußballeuropameisterschaften in Portugal. Heute wird es das entscheidende Spiel Deutschland gegen Tschechien geben. Wir sollten eigentlich gewinnen, um weiterzukommen, es sei denn, wir verlassen uns auf die Schwäche der Holländer. Denn wir könnten wohl auch weiterkommen mit besserem Punktestand - es ist kompliziert aber möglich. Beobachter in Portugal ist Uli Stielike, Bundestrainer der U21. Guten Tag, Herr Stielike.

    Stielike: Guten Tag.

    Durak: Wir sollten gewinnen, aber wie denn? Leidenschaft fordert Teamchef Rudi Völler von den Spielern. Was würden Sie fordern?

    Stielike: Das Problem, das wir im Moment haben, ist, dass wir nicht wissen, auf welche tschechische Mannschaft wir treffen. Wir haben die Tschechen zwar bei beiden Spielen hier bei der Europameisterschaft gesehen, sowohl gegen Lettland als auch gegen Holland, aber ich bezweifle, dass die Tschechen mit der gleichen Mannschaftssaufstellung ins Spiel gehen werden. Die Tschechen waren bisher in diesem Turnier mit die offensivste Mannschaft, und das ist eigentlich etwas, was unserer Mannschaft zu Gute kommen müsste. Das haben wir zumindest im Spiel gegen Holland gesehen, wo wir gegen eine ähnlich offensiv ausgerichtete Mannschaft eben sehr gut ausgesehen haben. Wenn aber jetzt die Tschechen aus einer verstärkten Defensive agieren, dann könnten wir natürlich vor die gleichen Probleme gestellt werden wie gegen Lettland.

    Durak: Dann haben wir zu wenig Spitzen vorne?

    Stielike: Ja, gut, das ist aber ein Problem, was hausgemacht ist. Wenn man sich die Aufstellungen in der Bundesliga anschaut, dann weiß man, dass wir gerade im Offensivbereich circa 70 Prozent an Ausländern auf den Bundesligaplätzen haben. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass wir in der Offensive Schwächen bekunden.

    Durak: Wie kommt es zu dieser Situation, dass wir zu wenig eigene Männer vorne haben, die richtig gute Stürmer sind? Ist unser Fußballnachwuchs einfach nicht talentiert genug oder was wird falsch gemacht?

    Stielike: Die Bundesligisten richten eben gerade in diesen Bereichen, alles, was Kreativität betrifft und was eben zum Torabschluss kommt, ihren Blick über die Grenzen. Die Bewegung innerhalb des DFBs geht schon verstärkt dahin, Jugendliche in diesem Bereich heranzuziehen. Aber das ist ein langwierige Prozess, den wir jetzt hier während der Europameisterschaft nicht auffangen können.

    Durak: Es gab ja schon diesbezüglich Kritik vor vielen Monaten, dass die Nationalmannschaft im Vorfeld solcher Ereignisse nicht genügend von den Vereinen unterstützt wird. Würden Sie dies, was Sie eben beschrieben haben, auch dazu zählen?

    Stielike: Man muss auch da die Bundesligavereine ein bisschen verstehen. Wenn jetzt Bayern München auf Real Madrid oder Arsenal London trifft, das heißt, wenn deutsche Mannschaften in den europäischen Wettbewerben auf ausländische Mannschaften treffen, dann wollen sie natürlich auch die gleichen Wettbewerbsbedingungen haben. Das heißt, wenn es eine Ausländerregulierung geben sollte, dann kann das nur über die FIFA oder die UEFA passieren. Dann müssten eben alle nach den gleichen Richtlinien agieren. Ist es nicht so, dann wird sich eben Deutschland nicht außen vor nehmen können.

    Durak: Wir haben von Rudi Völler gehört, dass Bastian Schweinsteiger durchaus Chancen hat, heute eingesetzt zu werden - Lukas Podolski weiß ich nicht so recht. Ist es falsch, um das mal direkt zu fragen, so junge Spieler, die vielleicht noch nicht so die Erfahrung haben, aber doch hungrig sind, so wenig einzusetzen wie bisher?

    Stielike: Sehen Sie, wir haben in Deutschland circa 20 Millionen Nationaltrainer, und wir haben sehr viele Journalisten, die eben auch in sämtliche Richtungen argumentieren. Tatsache ist, dass hier bei der Europameisterschaft junge Spieler teilweise Leistungsträger sind. Wenn ich einen Wayne Rooney bei England sehe, wenn ich einen Ibrahimovic in Schweden sehe, dann sind das junge Spieler, die hier nicht nur als Ergänzungsspieler dabei sind, sondern richtige Säulen ihrer Mannschaft sind. Aber das können sie auch nur sein, weil sie bereits seit zwei oder drei Jahren in der ersten Division spielen. Unsere jungen Spieler, gerade die Namen, die Sie jetzt genannt haben, sind gerade mal sechs Monate im regelmäßigen Einsatz. Das dann eben automatisch auf ein so hohes Niveau, wie es hier bei der Europameisterschaft gefordert wird, zu übertragen, ist sehr schwierig.

    Durak: Wie lange sind denn die jungen Männer noch formbar, wenn sie denn mit 16, 17, 18, 19 Jahren in die großen Bundesligavereine kommen?

    Stielike: Da spielen natürlich außer dem Talent andere Dinge mit hinein, zum Beispiel die Mentalität, zum Beispiel die Erziehung, das Umfeld, in dem sich ein junger Spieler bewegt. Das sind alles viele Komponenten, die zusammenspielen müssen, um letztendlich ganz oben dabei zu sein. Allein das Talent reicht nicht aus. Ich habe in meiner fünfzehnjährigen aktiven Laufbahn weitaus mehr Talente gesehen, die es nicht geschafft haben, als solche, die es geschafft haben aus den besagten Gründen.

    Durak: Werden die jungen Fußballspieler zu früh hochgelobt?

    Stielike: Teilweise ja, und viele können eben damit dann auch nicht umgehen. Das ist nun mal leider so. Viele zerbrechen eben bereits in frühen Jahren an diesen Dingen, die man eben einem siebzehn-, achtzehnjährigen Spieler bei seinem ersten Profivertrag bereits bietet.

    Durak: Was halten Sie denn von der breiten Arbeit ganz unten im Fußball?

    Stielike: Das ist sehr wichtig. Das ist die Basis, und da ist ja genau der Ansatzpunkt des DFB mit seiner Erweiterung des Förderprogramms, dass man eben jetzt 380 Stützpunkte in ganz Deutschland eingerichtet hat, um eben in der Breite zu fördern, um früher an die Jugendlichen heranzukommen. Aber einmal mehr: Wer eben im Jugendbereich arbeitet, der muss auch gleichzeitig das Wort "Geduld" in den Mund nehmen und in anderen Zeitspannen rechnen als hier, wo es praktisch eben nur um das nackte Ergebnis geht.

    Durak: Und die jungen Fußballspieler selbst, werden sie im Vorfeld sozusagen schon verdorben durch das Schauen auf das ganz große Geld, was man möglicherweise schnell verdienen kann?

    Stielike: Ja, das ist auch ein Phänomen, das sich gerade bei den jungen Spielern findet, dass diese Spieler immer noch diesen Trieb und diese Spielfreude haben, die man sich unbedingt beibehalten muss bei allem Geld, was man verdienen kann. Gerade das ist der Ausdruck eines Ronaldo zum Beispiel bei Portugal, der jetzt im Laufe der Europameisterschaft in die Mannschaft gekommen ist. Wenn man diesen Jungen agieren sieht, mit welchem Willen, mit welchem Tatendrang und teilweise auch mit welcher Ungestümheit zu Werke geht, das ist einfach sensationell.

    Durak: Diese Frage muss sein: Sollte Deutschland nicht über die Vorrunde hinwegkommen, was sagt uns das dann eigentlich?

    Stielike: Das Kuriose ist nun mal eben, dass bei einer Europameisterschaft alles von einem Spiel abhängig ist, wie jetzt im Falle Deutschlands das Spiel gegen die Tschechen. Gewinnst du, dann ist alles wieder eitel Sonnenschein, verlierst du, dann wird unheimlich Kritik über die Mannschaft hereinhageln. Das ist das Kuriose, dass man eben immer wieder alles von einem Ergebnis abhängig macht. Ich hoffe, dass die Spieler eben auch verstehen, um was es jetzt in diesem Spiel geht. Es geht praktisch um den gesamten deutschen Fußball.

    Durak: Haben Sie einen Tipp?

    Stielike: Ich wäre mit einem 1:0 zufrieden. Das sind aber Ergebnisse, wo man bis zur letzten Sekunde zittern muss.

    Durak: Besten Dank für das Gespräch.