Dienstag, 30. April 2024

Archiv


"Es geht um die Stärkung der Legitimität"

Der Leiter der Internationalen Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat Ban Ki-Moon im Vorfeld dessen Besuchs in Berlin gegen internationale Kritik an Bans sanften Diplomatiestil in Schutz genommen. Die UNO könne nur so stark wie ihre Mitglieder sein, daher befürworte er eine Vergrößerung des Sicherheitsrates.

Moderation: Christian Schütte | 15.07.2008
    Christian Schütte: Mitgehört hat Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Einen guten Morgen!

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Schütte: Ist Ban Ki-Moon ein Zauderer?
    Ischinger: Man darf dem Generalsekretär der Vereinten Nationen nicht das vorwerfen, wofür er selbst nun wirklich verantwortlich sein kann. Die Vereinten Nationen und das Sekretariat der Vereinten Nationen ist immer nur so stark und so entschlussfähig, wie die Mitglieder es machen. Das ist eine alte Weisheit. Das war schon immer so. Das war unter dem Vorgänger so, das wird auch unter dem Nachfolger sein. Es ist eine außerordentlich schwierige Position, Generalsekretär der Vereinten Nationen zu sein. Wir müssen immer widerstreitende Interessen miteinander in Einklang bringen.

    Schütte: Müssen wir uns als Demokraten damit abfinden, dass die UNO unter Ban Ki-Moon diktatorischen Staaten nicht vor den Kopf stoßen möchte und etwa die Präsidentschaftswahl in Simbabwe lediglich bedauert?

    Ischinger: Die Antwort liegt sicherlich nicht, damit würde man es sich wohl zu einfach machen, darin, den Generalsekretär in seiner Funktion zu kritisieren. Ich denke, die Antwort liegt in der Frage, gibt es Wege, das internationale System einschließlich der Vereinten Nationen zu stärken, die Effizienz zu stärken, aber vor allen Dingen auch die Legitimität. Wir reden seit Jahren, übrigens die Bundesrepublik Deutschland vorne mit dabei, wir reden seit Jahren über die Notwendigkeit, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der hat ja nun gerade wieder in diesem Punkt seine Unentschlossenheit unter Beweis gestellt, sowohl in seiner Effizienz wie in seiner Legitimität zu stärken. Es ist schwierig, bisher ohne Ergebnis, trotzdem ein wichtiges Ziel. Und an dem sollte und wird hoffentlich die Bundesrepublik Deutschland mit Entschlossenheit festhalten.

    Schütte: Und zwar inwiefern?

    Ischinger: Es geht um zwei Punkte. Es geht um die Stärkung der Legitimität. Da wird man immer wieder darauf hinweisen müssen, dass ein Sicherheitsrat, dessen zentrale Mitgliedschaft wesentliche Teile der Welt nicht umfasst, Indien, Südamerika völlig ausgeschlossen, der ganze afrikanische Kontinent nicht einbezogen. Man darf nicht erwarten, dass die afrikanischen Staaten sich sozusagen von einem Gremium, das nicht auch ihres ist, die Vorschriften machen lassen. Deswegen gehöre ich zu denen, die der Meinung sind, eine Vergrößerung des Sicherheitsrates könnte seine Legitimität und damit auch seine Effizienz stärken. Ich bin dezidiert nicht der Meinung derer, die sagen, jede Vergrößerung des Sicherheitsrates vergrößert auch die Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung, weil es zu zwanzigst schwieriger ist, Entscheidungen zu treffen als zu fünfzehnt. Das haben wir auch in der EU erlebt, dass es gar nicht wirklich stimmt, dass dann die EU zu 25 nicht genauso gut Entscheidungen treffen kann, wie zu fünfzehnt.

    Schütte: Herr Ischinger, wenn es stimmt, dass die Vereinten Nationen in Afrika nicht so gut legitimiert sind, ist es dann akzeptabel, dass die UNO beispielsweise für die Menschenrechtsverletzungen in Darfur niemals klare Worte gefunden hat?

    Ischinger: Ja, auch hier kann ich nur sagen, wir sollten nicht die Falschen anklagen. Ich glaube, dass wir hier in Deutschland den richtigen Versuch machen, übrigens nicht erst jetzt in dieser Legislaturperiode, schon seit Jahren und Jahrzehnten, die eigenen Organisationen der afrikanischen Staaten zu stärken, die Organisation der afrikanischen Einheit. Wenn es den Afrikanern gelänge, sich zu einer entschlossenen eigenen Haltung durchzuringen in ihrer Nachbarschaft, siehe Darfur, siehe Simbabwe, dann wäre ja schon viel gewonnen. Und dieses Ziel verfolgen wir, genauso mit anderen, vor allen Dingen unter den Europäern doch seit Jahren. Das halte ich für richtig und das ist wahrscheinlich auch der einzige Weg.

    Schütte: Bleiben wir noch mal kurz im Sudan und dem möglichen Haftbefehl gegen Präsidenten Baschir. Wünschen Sie sich einen Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof?

    Ischinger: Ich denke, dass wir etwas erleben in den letzten Jahren, was sehr bedeutsam ist für das gesamte internationale System, das Prinzip der uneingeschränkten Souveränität des Staats. Ein Prinzip, das seit dem
    Westfälischen Frieden seit Hunderten von Jahren existiert, wird zunehmend infrage gestellt. Die Staaten werden in die Pflicht genommen. Dass es Haftbefehle gegen Milosevic gegeben hat, der war ja nun ein früherer Präsident, war ein wichtiger und aus meiner Sicht guter Schritt. Dass jetzt sogar Haftbefehle gibt gegen im Amt befindliche Staatsoberhäupter oder Verantwortliche, finde ich im Prinzip auch einen richtigen Schritt, weil es das Prinzip der Verantwortung, der internationalen Eingebundenheit der Staatsführungen unterstreicht. Ob das im Falle Darfur, salopp gesprochen, das Gelbe vom Ei ist, ob es uns wirklich weiterführt, wird von manchen bezweifelt, zum Teil mit beachtlichen Argumenten, weil sie sagen, das wird die Fronten eher verhärten und die Chancen, ihn tatsächlich vor den Strafgerichtshof zu bringen, seien gering. Diese Argumente sind ernst zu nehmen. Ich persönlich bin der Meinung, der Strafgerichtshof bzw. eine Anklagebehörde ist auf dem richtigen Weg. Das ist die Zukunft. Wir müssen solche Vorgänge vor den Kadi ziehen, und deswegen bin ich dafür.

    Schütte: Der Nationalismus wird aufgebrochen, sagen Sie. Auf der anderen Seite haben Sie ja selbst Verhandlungen und Gespräche mit der sogenannten Kosovo-Troika geführt und da war Ihre Zusammenfassung, alles Menschenmögliche wurde versucht, aber die beiden Seiten haben sich nicht einigen können. Insofern scheitert dann doch jede Diplomatie am Nationalismus?

    Ischinger: Na ja, wissen Sie, in der Diplomatie ist es so, dass man nie aufgeben darf. Und gerade, Sie erwähnen das Kosovo-Thema, meine Verhandlungsversuche des letzten Jahres. Gerade im Kosovo ist es so, dass auch diese Verhandlungen, selbst wenn sie nicht zum endgültigen Durchbruch geführt haben, zu einer neuen Lage geführt haben. Es gibt heute im Kosovo bessere Aussichten auf eine gute Zukunft als vor einem Jahr. Und ich bin in diesem Fall ein unerschütterlicher Optimist. Alle Vorhersagen, dass die Entwicklung im Kosovo zu einer weiteren Verhärtung in Serbien führen würde usw., haben sich doch nicht bewahrheitet. Wir haben jetzt in Serbien eine Regierung, die zumindest proeuropäisch ist und wir haben die Chance, mit dieser Regierung so weiterzuarbeiten, dass es vielleicht doch zu einem Status vivendi, zu einem Nebeneinander zwischen den Kosovaren und den Serben kommen wird, und dass wir tatsächlich auch im Südosten Europas zu einer dauerhaften Stabilität und damit auch zu der Chance wirtschaftlichen Wachstums kommen. Ich bleibe da optimistisch.

    Schütte: Herr Ischinger, zum Schluss noch eine Frage. Sie treffen sich heute in Berlin mit anderen Außenpolitikern, mit anderen Diplomaten. Dabei wird es auch um die Rolle der USA künftig gehen, wenn der neue Präsident McCain oder Obama heißt. Welche Szenarien schweben Ihnen da vor?

    Ischinger: Ja, ich bin dankbar, dass Sie das ansprechen. In der Tat beginnt heute Abend unter Teilnahme von Ban Ki-Moon und unserem Außenminister Steinmeier eine bedeutsame Tagung unter namhafter internationaler Beteiligung, auch Herr el Baradei, der ja aus Wien ist, ist dabei. Das Ziel ist, eine Rezeptur zu verfassen, die der künftigen neuen amerikanischen Regierung, aber natürlich nicht nur dieser, auch allen anderen Regierungen vorgelegt werden soll. Ich bin der Meinung, ich habe das auch verschiedentlich in den letzten Wochen gesagt und auch geschrieben, dass wir Europäer jetzt in diesem Sommer und Herbst nicht einfach tatenlos warten sollten, bis der nächste amerikanische Präsident seine Erwartungen an uns im kommenden Frühjahr, Januar, Februar präsentiert, sondern wir sollten jetzt das Angebot, die Erwartungen, die Wünsche, aber auch die Möglichkeiten formulieren und an die amerikanische Adresse so vorbereiten, dass wir im November, wenn der Mann dann gewählt ist, wenn wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, dass wir ihm das dieses Papier, dieses Projekt, dieses Angebot präsentieren können. Das halte ich für eine große Chance, gerade auch der Europäischen Union, mit oder ohne Vertrag von Lissabon. Und daran wollen wir heute Abend und morgen arbeiten.

    Schütte: Wir werden Sie darüber auf dem Laufenden halten. Wolfgang Ischinger war das, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz und Leiter einer Konferenz zur Zukunft der internationalen Zusammenarbeit in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!