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"Es geht um die Verkaufsquoten"

Der Chefkommentator der polnischen Wochenzeitung "Politika", Adam Krzeminski, hat dem Springer-Verlag vorgeworfen, im Vorfeld des Europameisterschaftsspiels zwischen Polen und Deutschland einen "medialen Krieg" entfacht zu haben. Dieser Fall zeige, wie einfach es sei, "die negativen Vorurteile und Klischees zu mobilisieren".

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Lukas Podolski: Ich habe eine sehr große Familie in Polen. Ich bin in Polen geboren und daher denke ich muss man auch ein bisschen Respekt haben für das Land und das habe ich dann auch nach den Toren gemacht.

    Dirk-Oliver Heckmann: Lukas Podolski nach seinen zwei Toren beim Spiel Deutschland gegen Polen gestern. Die Worte, sie stehen im krassen Gegensatz zu den Misstönen in der Boulevard-Presse der vergangenen Tage. 2 zu 0, Deutschland gegen Polen. Während hier in Deutschland die Stimmung langsam steigt, ist die Niederlage in Polen mit Enttäuschung aufgenommen worden. Dabei waren die polnischen Fans zunächst so optimistisch. Auch wenn sich der Wind nach der Wahl von Ministerpräsident Tusk gedreht haben mag: Wenn Polen gegen Deutschland spielt, dann ist das immer wieder Anlass für die Boulevard-Presse, Stimmung zu schüren. Das polnische Massenblatt "Fakt" zeigte vor dem gestrigen Spiel eine Fotomontage von Michael Ballack mit Pickelhaube auf dem Kopf, dahinter der polnische National-Trainer drohend ein Schwert schwingend. Das Konkurrenzblatt "Super Express" montierte dem Trainer sogar die abgeschlagenen Köpfe von Ballack und Bundestrainer Joachim Löw in die Hände. Die "Bildzeitung" jenseits der Grenze reagierte mit der empörten Schlagzeile "EM-Krieg gegen uns" und heute aktuell"2 zu 0 - Poldi putzt die Polski". Pikant an der ganzen Sache: Sowohl die "Bildzeitung" als auch das Boulevard-Blatt "Fakt" wird vom Axel-Springer-Verlag herausgegeben. - Am Telefon begrüße ich dazu Adam Krzeminski, den Kommentator der polnischen Wochenzeitung "Politika". Guten Morgen!

    Adam Krzeminski: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Krzeminski, erst einmal: Wie enttäuscht sind Sie von dem Spielverlauf und dem Ergebnis vor allem?

    Krzeminski: Ich bin insofern enttäuscht, dass ich dachte, dass es gelingt, endlich diesen Bannfluch der polnischen Mannschaft zu brechen. Bisher gab es glaube ich zwölf Niederlagen und nur vier Unentschieden. Die Polen haben noch nie gegen eine bundesrepublikanische Mannschaft gewonnen. Auch diesmal hat es nicht geklappt. Aber das, was Sie schon angesprochen haben, das hat mich geärgert, dieser mediale Krieg, diese tribalen Emotionen, die von einem Konzern aufgeputscht wurden auf beiden Seiten der Grenze. Pecunia non olet - Das Geld stinkt nicht. Es hätte natürlich auch ein anderer Konzern und nicht ein deutscher sein können, aber es war eben der Springer-Konzern, der diesen ganzen Krieg entfacht hat.

    Heckmann: Sie halten das ganze also für ein rein finanzielles publizistisches Phänomen, oder werden da nicht auch reale Stimmungen aufgegriffen?

    Krzeminski: Nein. Natürlich ist es ein finanzielles Problem. Es geht um die Verkaufsquoten. Aber dahinter verbirgt sich natürlich die immer noch heikle Nachbarschaft, die deutsch-polnische, und die beiden Seiten reagieren nach dem pawlowschen Reflex. Das heißt es ist sehr einfach, die negativen Vorurteile und Klischees zu mobilisieren. Das fing übrigens auch nicht mit dem "Fakt" an, sondern mit diesem deutschen Spot "die Polen klauen deutschen Fußball-Fans den Bus, während die schiffen". Also der Ball war zuerst auf der deutschen Spielhälfte in diesem medialen Krieg. Trotzdem finde ich, dass die Atmosphäre während des Spiels und danach zeigt, dass die Animositäten gar nicht so stark sind. Das ist genauso wie vor zwei Jahren in Dortmund. Die Medien inszenieren etwas, was es so in der Bevölkerung nicht gibt. Das bestätigen auch die Meinungsumfragen, die für die Deutschen in Polen sehr positiv sind.

    Heckmann: Das heißt sie agieren in gewisser Hinsicht im luftleeren Raum?

    Krzeminski: Das nicht. Ich habe gesagt es ist einfach, die Feindbilder und die Emotionen der Geschichte, der Vergangenheit zu mobilisieren. Übrigens vor zwei Jahren wäre es unvorstellbar, dass man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Hitler bemüht, es wird heute zurückgeschossen. Das hätte man vor zwei Jahren nicht gesagt. Auch der "Tagesspiegel" hat gestern den 1. September zitiert. Also wir rutschen wirklich medial unter die Gürtellinie.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, die Stimmung hat sich doch um einiges verändert, vielleicht auch nach der Abwahl der Kaczynski-Zwillinge, beziehungsweise ein Kaczynski ist ja noch an der Macht, der Präsident. Aber seit dem Amtsantritt der Regierung Tusk, hat sich da einiges geändert im Bild, das sich die Polen von den Deutschen machen?

    Krzeminski: Ich glaube auch vor der Wahl 2007 war die Realität anders als die verlautbarten Äußerungen der Brüder Kaczynski, denn sonst hätte Tusk die Wahlen voriges Jahr nicht gewonnen. Ich freue mich natürlich, dass Tusk gewann und dass diese Mobilisierung der antideutschen Emotionen politisch den Nationalkonservativen nicht zu Buche schlug. Aber dass in der Sportwelt diese Klischees benutzt werden, das ärgert mich.

    Heckmann: Ein Fußballspiel zwischen Deutschland und Polen, das ist also auch im Jahr 2008 noch keine Normalität?

    Krzeminski: Das ist eine Normalität. Es ist nicht normal, dass Polen noch nie gewann.

    Heckmann: Die Einschätzung von Adam Krzeminski, dem Kommentatoren der polnischen Wochenzeitung "Politika". Danke Ihnen für das Interview!